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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Neuer Außenminister in London Putin weckt böse Erinnerungen

Außenminister Johann Wadephul fliegt zu Gesprächen mit westlichen Partnern und der Ukraine nach London. Im Mittelpunkt steht vor allem das russische Angebot, in Istanbul erneut verhandeln zu wollen. Plant Wladimir Putin eine List?
Aus London berichtet Patrick Diekmann.
Als Johann Wadephul kurz nach Mitternacht in London landet, kommt der neue Außenminister direkt aus Israel. Nahostkonflikt, der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine, am Rande noch der Konflikt zwischen Indien und Pakistan – und in diesen Zeiten ist mindestens ein Gedanke auch immer in Washington und bei der Frage, welches politische Beben US-Präsident Donald Trump womöglich als Nächstes auslösen könnte.
All diese Themen füllen – jedes für sich – dicke Dossiers der Bundesregierung. Fast täglich kommen neue Informationen hinzu und so muss sich ein neuer Außenminister zunächst einmal einarbeiten – so auch Wadephul, der schon vor seiner Amtsübernahme tief in vielen außen- und sicherheitspolitischen Themen steckte.
In der britischen Hauptstadt steht nun wieder der Ukraine-Krieg im Fokus. Am Montag werden Deutschland, Frankreich, Polen, Spanien, die Europäische Union, Italien, Großbritannien und die Ukraine im sogenannten Weimarer-Dreieck-Plus-Format über eine Stärkung der euro-atlantischen Sicherheit und über die Unterstützung der Ukraine verhandeln.
Dabei geht es im Kern diesmal nicht um weitere militärische Unterstützungen für die ukrainische Armee, sondern vor allem um den Vorstoß von Wladimir Putin. Der Kremlchef behauptet plötzlich, dass er verhandeln will – jedenfalls sagt er das. Kurzfristig könnte es tatsächlich schon am Donnerstag zu einem persönlichen Treffen zwischen Putin und seinem ukrainischen Amtskollegen Wolodymyr Selenskyj in Istanbul kommen.
Vieles ist noch unklar. Damit setzt Putin die westlichen Staaten unter Zugzwang und zielt vor allem auf Donald Trump, der den Ukraine-Krieg fast um jeden Preis beenden möchte. Russland kennt dabei die westlichen Schwächen gut, kennt den unbedingten Wunsch nach Frieden in großen Teilen Europas. Deshalb ist aus der Perspektive der Ukraine Vorsicht geboten. Noch hat Moskau keine Zugeständnisse angeboten, und Putin hat schon einmal mit Blick auf eine mögliche Friedenslösung mit Platzpatronen geschossen. Diesmal soll sein Plan nicht aufgehen, nicht schon wieder.
Was plant Russland?
Putin wurde vom sowjetischen Geheimdienst KGB ausgebildet. Er versteht es, Sehnsüchte und Hoffnungen zu bedienen, um am Ende vor allem selbst daraus Kapital zu schlagen. Der Kremlchef sieht sich in seinem Ukraine-Krieg zumindest in der Theorie einer wirtschaftlichen und militärischen Übermacht im Westen gegenüber. Deshalb war es stets ein zentrales politisches Ziel, die westliche Unterstützung der Ukraine möglichst kleinzuhalten.
Moskau drohte mit dem Einsatz von Atomwaffen, schürte Ängste vor dem nächsten Weltkrieg. Ob Putin nun ein weiteres Täuschungsmanöver im Schilde führt, ist unklar. Eines liegt aber auf der Hand: Trump ist unberechenbar und er verliert laut eigenen Aussagen die Geduld mit dem russischen Präsidenten. Putin wäre gut beraten, diese Gefahr ernst zu nehmen. Denn die Amerikaner haben schlichtweg weltweit die größten militärischen und wirtschaftlichen Reserven.
Internationale Konflikte sind oft auch ein Zahlenspiel, aber nicht ausschließlich. Denn Putin könnte erneut mit schmutzigen Tricks spielen.
So würde zum Beispiel eine vorgetäuschte Verhandlungsbereitschaft aktuell Russland in die Karten spielen. Denn weckt er in Washington erfolgreich die Hoffnung, dass eine Verhandlungslösung nun realistisch wäre, kann er seine Offensiven in der Ukraine weiterführen und hätte Zeit gewonnen.
Sollte das die Strategie des Kreml sein, scheint der Plan zumindest vorerst aufzugehen.
EU und Ukraine werben für ihre Position
Anders dagegen sieht man es in Europa. Ein großer Teil der EU-Staaten und die Ukraine trauen Putin nicht über den Weg. Hier verfolgen unter anderem Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Polen die Position: Ohne Waffenstillstand sind die Gesprächsangebote aus Russland nicht ernst zu nehmen. Oder anders: Wenn Putin wirklich Frieden möchte, soll er aufhören zu schießen.
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"Deutschland erwartet von Russland jetzt einen Waffenstillstand und dann die Bereitschaft zu Verhandlungen", sagt Wadephul in London. "Die Ukraine ist dazu bereit", fügt der CDU-Politiker hinzu. Andernfalls drohten Russland weitere Sanktionen des Westens sowie neue Waffenlieferungen an die Ukraine. Zuvor hatte sich bereits Bundeskanzler Friedrich Merz ähnlich geäußert.
Auch die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas sagte am Montag in London: "Es braucht zwei für einen Frieden, nur einen für einen Krieg."
Diese Position klingt logisch, denn Putins Vorstoß weckt böse Erinnerungen. Bereits kurz nach dem Kriegsausbruch im Frühjahr 2022 hatten Delegationen der Ukraine und Russlands in Istanbul verhandelt. Zwar stellte die russische Propaganda die Ukraine und vor allem ihre westlichen Verbündeten als Schuldigen dafür hin, dass die Verhandlungen gescheitert waren. Aber mit der Wahrheit hat das wenig gemein.
Schon damals beharrte Russland auf Maximalforderungen. Die Ukraine hätte nicht nur auf die von Russland annektierten Gebiete inklusive der Schwarzmeerhalbinsel Krim verzichten müssen. Sie hätte auch langfristig auf einen Nato-Beitritt verzichten und ihre Armee stark verkleinern müssen. Es wäre ein Blankoscheck für den Kremlchef gewesen, sich in ein paar Jahren das komplette Land mit Gewalt einzuverleiben.
Im sogenannten Istanbuler Memorandum gab es für keine dieser Konfliktfragen sowie in der Frage nach Sicherheitsgarantien für die Ukraine nie eine Lösung. Die Verhandlungen scheiterten letztlich, weil die russischen Kriegsverbrechen in Butscha und Irpin im April 2022 bekannt wurden.
Schachzug bietet Russland strategische Möglichkeiten
Nun sucht Russland vielleicht erneut das Gespräch, und die Europäer sind mit Blick auf diese erste negative Erfahrung höchst vorsichtig. "Es wird Konsequenzen haben, wenn Putin nicht zu einem Waffenstillstand bereit ist", sagt Wadephul am Montag in London. Auch die USA hätten nun eine höhere Bereitschaft, die Sanktionen noch einmal zu verschärfen. "Man sollte in Moskau nicht unterschätzen, dass der Westen bereit ist, sehr viel Druck auszuüben", so der Außenminister. Auch weitere Waffenlieferungen an die Ukraine wären denkbar.
Keine Verhandlungen ohne Waffenstillstand. Trotz dieser klaren Haltung stellt der Kreml das westliche Bündnis durchaus vor eine schwierige Aufgabe. Denn die EU-Staaten und die Ukraine müssen sich zunächst unterhaken, eine klare gemeinsame Position vertreten. Weiterhin geht es aber darum, die US-Regierung mit an Bord zu haben.
Momentan kann niemand verlässlich sagen, ob der Konflikt aktuell ein Momentum erreicht hat, an dem auch Russland an einer Friedenslösung interessiert ist. Fest steht nur eines: Putin hat mit seinem Vorstoß schon jetzt viel erreicht. Es gibt Unruhe im Westen, gleichzeitig stehen weitere westliche Strafmaßnahmen gegen Russland nicht mehr im Zentrum der Betrachtungen. Das gibt dem Kreml nun weitere strategische Möglichkeiten, auch wenn er eigentlich den Krieg weiterführen möchte.
Putin könnte einerseits schleppende Verhandlungen mit der Ukraine führen und diese am Ende scheitern lassen. Dann hätte er Zeit gewonnen. Sollten Selenskyj und seine Verbündeten eine Waffenruhe zur Grundlage für Verhandlungen machen, würde die russische Propaganda auf allen internationalen Kanälen streuen, dass Kiew nicht an einem Frieden interessiert sei oder dass der Westen Selenskyj zum Weiterkämpfen zwingen würde.
In beiden Fällen würden die Kämpfe in der Ukraine weitergehen und deshalb sei es laut westlichen Diplomaten wichtig, dass die Verbündeten sich auch in London nicht nur in einer Reaktion auf Putins Vorstoß verlieren. Stattdessen müsse es weiterhin auch um die Stärkung der ukrainischen Armee und eine Verschärfung der Strafmaßnahmen gegen Russland gehen, solange Putin diesen Krieg weiterführt, heißt es. Selbst wenn tatsächlich ein Momentum für Frieden entsteht, dann wäre man doch auf das Gegenteil vorbereitet – und hätte nicht schon wieder unnötig Zeit verloren.
- Begleitung von Außenminister Wadephul