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Pfleger Ricardo Lange warnt: "Für den Herbst erwarte ich eine Vollkatastrophe"


Intensivpfleger warnt
"Für den Herbst erwarte ich eine Vollkatastrophe"

InterviewVon Charlotta Siemer

Aktualisiert am 14.07.2022Lesedauer: 4 Min.
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Ärzte und Pfleger auf einer Corona-Intensivstation: Intensivpfleger Ricardo Lange macht sich Sorgen wegen einer drohenden Herbstwelle.Vergrößern des Bildes
Ärzte und Pfleger auf einer Corona-Intensivstation: Intensivpfleger Ricardo Lange macht sich Sorgen wegen einer drohenden Herbstwelle. (Quelle: Jens Schlueter/getty-images-bilder)

Um die deutschen Kliniken steht es schlecht. Pfleger Ricardo Lange befürchtet Schlimmes – denn schon aktuell sei der Mangel eklatant.

Die wirtschaftliche Lage der Kliniken in Deutschland sei so schlecht wie nie, sagt Gerald Gaß, Vorsitzender der Deutschen Krankenhausgesellschaft, am Mittwoch im Deutschlandfunk. Grund dafür sei unter anderem der Wegfall der finanziellen Corona-Unterstützungen des Staates. "Wir kippen jetzt reihenweise um wie die Fliegen", ergänzt Kerstin Ganskopf, Geschäftsführerin des Friedrich-Ebert-Krankenhauses in Neumünster.

Die wirtschaftlich schlechte Situation hängt auch eng mit dem Pflegenotstand zusammen. Immer mehr Betten in den Krankenhäusern müssen aufgrund von Personalmangel gesperrt und Operationen verschoben werden. In Nordrhein-Westfalen streiken Pflegekräfte für eine bessere Patientenversorgung, nicht für mehr Geld.

Im Interview mit t-online spricht der Intensivpfleger Ricardo Lange über den Einfluss von Corona auf die aktuelle Situation, seine Befürchtungen für den kommenden Herbst und seine Erwartungen an die Politik.

t-online: Herr Lange, wie ist die Situation in den Krankenhäusern aktuell?

Ricardo Lange: Immer mehr Pflegekräfte fallen aus, weil sie selbst mit Corona infiziert sind und somit fehlt natürlich Personal. Es stehen insgesamt wohl auch 2.000 Betten weniger zur Verfügung. So ist die offizielle Meldung. Die Schichten werden ohnehin so knapp an der Personaluntergrenze geplant, dass wirklich nur die Mindestanforderung erfüllt ist. Und wenn dann noch Personal wegfällt, ist das natürlich eine Katastrophe. Das merken wir deutlich.

Ricardo Lange ist Krankenpfleger auf Intensivstationen. Er wurde vom damaligen Gesundheitsminister Jens Spahn zur Bundespressekonferenz eingeladen, um über den Klinikalltag zu berichten. Damit erlangte er bundesweite Bekanntheit. Über die Bedingungen in seinem Beruf schrieb er Anfang des Jahres ein Buch.

Welchen Anteil haben dabei Corona-Infektionen beim Personal und welchen der sowieso vorhandene Personalmangel?

Das lässt sich nicht genau beziffern, aber klar ist, dass der Engpass in den Kliniken das Personal ist und bleibt. Da kommen knappe Personalplanungen, Kündigungen während der Corona-Zeit und die aktuelle Corona-Welle zusammen. Der vorgeschriebene Normalfall, dass jede Intensivpflegekraft tagsüber zwei Patienten betreut, ist im Moment nicht die Realität.

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Hat die Knappheit nicht auch mit der Urlaubszeit zu tun?

Ein bisschen Einfluss hat das vielleicht schon, weil natürlich weniger Leute einspringen können, wenn sie im Urlaub sind, wobei einige Kollegen gerade ihre Reisen abbrechen, um zu helfen. Ein vernünftig ausgestattetes System sollte aber die Urlaubszeit doch kompensieren können. Die Pläne dafür werden in Krankenhäusern schließlich ein Jahr im Voraus gemacht. Dabei wird auf eine gleichmäßige Verteilung geachtet. Auch hier rächt sich schließlich, dass alles knapp bemessen ist.

Wie beurteilen Sie die Lage im Vergleich zu vorherigen Sommern?

Die Ausfallquote durch Krankheiten ist definitiv höher. Vor ein paar Jahren gab es noch kein Corona, mit dem sich Kollegen infizieren konnten.

Was erwarten Sie für den kommenden Herbst und Winter?

Eine Vollkatastrophe. Es wird ja immer gefragt, ob wir für den Herbst gut vorbereitet sind. Meine Antwort lautet: Nein. Wir sind mittlerweile im dritten Pandemiejahr und es wurde nichts für die Personalaufstockung getan. In Nordrhein-Westfalen streiken Pflegekräfte seit knapp drei Monaten. Die streiken nicht für mehr Geld, sondern die streiken für mehr Entlastung, also für mehr Erholungszeit. Und die streiken für eine bessere Patientenversorgung in Form eines besseren Personalschlüssels.

Es ist doch keine neue Erkenntnis, dass die Zahlen steigen werden, mehr Pflegekräfte ausfallen und mehr Corona-Patienten in die Kliniken kommen werden. Die müssen isoliert werden, der Arbeitsaufwand wird steigen. Da sehe ich schlicht schwarz. Und so ist es auch kein Wunder, dass die Motivation bei Pflegekräften nachlässt. Die Prioritätensetzung von Politik und Klinikbetreibern verstehe ich einfach nicht mehr.

Was müsste aus Ihrer Sicht mit Blick auf den kommenden Herbst getan werden?

Die Bundesregierung hat die Pflicht, höchstmöglichen Schaden von der Bevölkerung abzuwenden. Dazu gehören natürlich nicht nur die Corona-Infektionen und die Corona-Toten. Dazu gehört auch, dass zum Beispiel Krebspatienten ihre Vorsorgeuntersuchungen wahrnehmen können. Das kostet unter Umständen ja auch Menschenleben, wenn ein Tumor zu spät erkannt wird. Deshalb muss alles getan werden, um den Kollaps des Gesundheitssystems zu vermeiden. Ich spreche bewusst nicht von Überlastung – denn die haben wir schon seit Jahren.

Was braucht es dafür konkret?

Die Fehler der Vergangenheit auszugleichen, ist eine gewaltige Aufgabe. Hätte man zu Beginn der Pandemie mit Anreizen dafür gesorgt, dass sich mehr Menschen für eine Ausbildung in der Pflege entscheiden, wären diese Menschen nach knapp drei Jahren jetzt schon fast fertig. In der Pandemie hätte man nicht nur um den Corona-Bonus herumreden, sondern ihn auch wirklich mal auszahlen sollen.

Uns geht es nicht um die Zahlung an sich, aber es wurde erst versprochen, dann wurde es nicht gehalten, dann hat nur ein Teil der Pflegekräfte den Bonus bekommen – das ist ja auch ein deutliches Zeichen der Politik, was ihnen das Personal wert ist. Und man hätte sich darum bemühen müssen, dass das Personal nicht so ausgebrannt ist. Das hätte dann vielleicht dazu geführt, dass nicht so viele Menschen den Job verlassen. Wenn man das alles ordentlich gemacht hätte, dann stünde jetzt mehr Personal zur Verfügung. Nach vorne gerichtet könnte man jetzt einen Anreiz für ehemalige Pflegekräfte schaffen, in den Beruf zurückzukehren.

Sie sprechen von "Anreizen". Wie stellen Sie sich solche Anreize vor?

Geld ist immer ein Anreiz für die erste Stunde. Bei einer Wiedereinstiegsprämie würden bestimmt einige sagen, dass sie das gut gebrauchen können. Das kann aber nur für die erste Stunde sein. Dann hat man mehr Personal gelockt und man muss sich dann bemühen, dieses Personal auch zu halten. An Geld gewöhnt man sich nämlich. An schlechte Arbeitsbedingungen gewöhnt man sich aber nicht. Wir werden uns nie an das Gefühl gewöhnen, Patienten im Stich lassen zu müssen. Und wir werden uns auch nie daran gewöhnen, dass aufgrund des Personalmangels auch Menschen sterben. Das ist ja auch kein Geheimnis mehr.

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Pflegekräfte müssen wieder gerne zur Arbeit gehen, dürfen nicht mehr emotional ausgebeutet werden und eine sichere Patientenversorgung muss möglich sein. Auch familienfreundliche Dienstpläne müssen wieder möglich sein, das bedeutet keine drei oder vier Wochenendschichten im Monat und etwas flexiblere Arbeitszeiten für Alleinerziehende. Privatleben und Arbeitsleben müssen vereinbar sein. Und für mich ist auch ein ganz großer Knackpunkt: Menschen in sozialen Berufen sollten mit ungefähr 60 in Rente gehen können. Allein durch den Schichtdienst geht schon so viel Lebenszeit verloren und da sollten Menschen, die sich für andere ein Stück weit aufopfern, früher in Rente gehen dürfen.

Herr Lange, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Telefonat mit Ricardo Lange
  • deutschlandfunk.de: "Gaß: 'Manchen Kliniken droht die Pleite'"
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