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Rechte Siedler im Harz: Weda Elysia polarisiert Dorfgemeinschaft


Völkische Siedler im Harz
Ein rechtsextremer Verein macht sich breit

Von Charlotta Siemer, Tobias Eßer, Daiki Sakakibara

07.01.2024Lesedauer: 6 Min.
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Das Haus Lindenquell in Wienrode: Von hier aus agiert der rechtsextreme Verein Weda Elysia.Vergrößern des Bildes
Das Haus Lindenquell in Wienrode: Von hier aus agiert der rechtsextreme Verein Weda Elysia. (Quelle: Tobias Eßer/t-online)

Im Harz hat sich eine Siedlergemeinschaft namens Weda Elysia angesiedelt. Die Stimmung im Dorf ist angespannt, der Verfassungsschutz alarmiert und nur wenige Menschen möchten darüber reden. t-online war vor Ort.

Ein kleines gelbes Haus lädt im Herzen von Wienrode zu Kaffee und Kuchen. Es schmiegt sich ein zwischen Fachwerkhäusern und Höfen des kleinen Dorfes mit etwa 800 Einwohnern im Osten des Harzes. Durch die Fenster des Gasthofs ist einfaches Holzmobiliar zu erkennen, auf dem es sich die Gäste bequem machen und gemeinsam Zeit verbringen könnten. Alles wirkt idyllisch. Doch der Gasthof und sein Betreiber spalten die Dorfgemeinschaft.

Im Jahr 2018 kaufte ein Verein den Gasthof Haus Lindenquell: Weda Elysia nennt er sich. Seine Mitglieder renovieren ihn nach und nach, er stand lange leer.

Es ist ein Verein, den der Verfassungsschutz in Sachsen-Anhalt als "gesichert rechtsextrem" einstuft. Er gehört zur völkischen Anastasia-Bewegung, die ihren Ursprung in der Fantasy-Buchreihe des russischen Autors Wladimir Megre hat. In den Büchern propagiert Megre die radikale Abkehr von der modernen Gesellschaft – und ein geschlossenes, antisemitisches und völkisches Weltbild. Mehr zur Anastasia-Bewegung lesen Sie hier.

20 Grundstücke für Rechtsextreme

Der Verein ist eng mit weiteren Akteuren der rechtsextremen Szene verbunden. Auf seinem Telegram-Kanal teilt er Videos, in denen Verschwörungserzählungen verbreitet werden – unter anderem geht es um den "Großen Austausch" und um die Verharmlosung des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine.

Narrativ des "Großen Austauschs"

Der Begriff bezeichnet ein Narrativ der Neuen Rechten. Sie behaupten, dass die "eingeborene" Bevölkerung Europas durch Migration insbesondere aus afrikanischen Ländern und dem Nahen und Mittleren Osten ausgetauscht werden soll. Innerhalb der Neuen Rechten wird dies sowohl als bewusst gesteuerter Prozess, oftmals einhergehend mit verschwörungstheoretischen Aufladungen, als auch als Ergebnis demografischer Entwicklungen dargestellt. Besonders die synonym verwendete Formulierung "Umvolkung" bezieht sich direkt auf den gleichlautenden nationalsozialistischen Terminus.

Laut Verfassungsschutz hat der Verein 15 Mitglieder und will Rückzugsräume schaffen. 20 Grundstücke habe er in Wienrode bereits übernommen, berichtete der MDR von einer Informationsveranstaltung des Verfassungsschutzes im benachbarten Blankenburg im November. Mit Aktivitäten vor Ort versuche der Verein, den Menschen die eigene Ideologie näherzubringen.

Oliver Meißner, evangelischer Pfarrer im Ort, sagt im Gespräch mit t-online, dass sich die Stimmung im Ort definitiv verändert habe, seit die Siedler den Gasthof gekauft haben – auch aufgrund ihrer großen Präsenz. An ihrem Haus hängt ein Banner "Für ein friedliches Miteinander in unserem schönen Wienrode". Meißner widerspricht am Telefon: "Sie tun eigentlich nichts, um ein friedliches Miteinander zu ermöglichen."

Weda Elysia will friedlich wirken

Rolf Frankenberger, Extremismusforscher an der Universität Tübingen, sieht darin eine Strategie der Bewegung. Nach außen hin stelle man sich als friedliche Bürger dar, die sich in die Gemeinschaft integrieren wollen. "Aber wenn man sich ihre Ideologie anschaut, die antisemitische Verschwörung, sind sie nicht mehr die friedlichen Leute."

Bei den Nachwahlen zum Ortschaftsrat im November 2023 kandidierten zwei Mitglieder des Vereins. Eine von ihnen, Anja Maria Schulz, wurde mit 101 Stimmen in das örtliche Parlament gewählt. Die Kandidaten der Wahlliste "Schönes Wienrode", für die sie kandidierte, erreichte 204 Stimmen, die der zweiten Wahlliste der CDU 986 Stimmen. Weda Elysia wolle sich in das Dorf einbringen, erklärte der Vorsitzende Maik Meinhard Schulz dem MDR. Auf eine Anfrage von t-online reagierte der Verein nicht.

"Wenn ihnen das friedliche Miteinander des Dorfes so am Herzen liegen würde, hätten sie ja nicht kandidieren müssen", sagt Meißner zur Wahl. Die Mitglieder des Vereins wüssten, dass sie umstritten sind. Mit der Wahl wuchs die öffentliche Aufmerksamkeit auf den Ort nochmal etwas mehr.

Pfarrer will über rechte Umtriebe aufklären

Seine Aufgabe sieht Meißner vor allem in der Aufklärung. "Keiner hier kann sagen, er wüsste nicht, wofür die stehen." Vor der Wahl habe er Menschen ermutigt, ohne Angst in die Wahlkabine zu treten. Nach der Wahl habe er nun etwas mehr Hoffnung, denn mit 986 Stimmen hätten sich viele gegen den Verein ausgesprochen. Meißner plant mit der Gemeinde jetzt weitere Veranstaltungen zu kultureller und gesellschaftlicher Vielfalt.

Im Jahr 2019 organisierten auch Mitglieder der Linken eine Gegendemonstration zum Julfest, dem altgermanische Fest zur Wintersonnenwende. Schon im Terrorstaat der Nationalsozialisten wurde versucht, das christliche Weihnachtsfest zum "Julfest" umzudeuten – eine Tradition, die rechtsextreme Bewegungen heutzutage übernommen haben. Weda Elysia begeht es in jedem Jahr als germanisierten Weihnachtsmarkt, mit geschmückten Bäumen und Hütten, in denen Speisen und Getränke angeboten werden.

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Unbekannte schlitzen Reifen auf

In der Nacht vor der Demonstration gegen das Julfest in Wienrode schlitzten Unbekannte damals die Reifen von sechs Fahrzeugen im Ort auf. Unter den Geschädigten sei unter anderem die damalige Ortschaftsrätin Stephanie Halupnik gewesen, berichtet die "Volksstimme" aus Magdeburg. Halupnik trat im Juli 2023 von allen Ämtern zurück – und schweigt bis heute über die Gründe.

Wer die Reifen in Wienrode aufschlitzte, konnte die Polizei bisher nicht ermitteln. Allerdings schließen sie nicht aus, dass die Verantwortlichen aus dem Umfeld von Weda Elysia kommen. Mehr noch: Es sei auffällig, dass die Taten in so einem engen zeitlichen Rahmen mit dem vom Verein organisierten Weihnachtsmarkt stattgefunden hätten, berichtete ein Polizeisprecher im Jahr 2019 der "Volksstimme".

Pfarrer: Verantwortung liegt bei allen im Ort

Die Angst vor ähnlichen Vorfällen halte viele Menschen davon ab, sich öffentlich zu äußern, Partei zu ergreifen oder sich zu engagieren, sagt Meißner. Wer sich in Wienrode über Weda Elysia umhören will, findet kaum Gesprächspartner. "Wir sprechen nicht mehr mit den Medien darüber. Ihr sorgt doch für den ganzen Trubel", ist die Antwort eines Handwerkers am Straßenrand. "Passt auf, wie und worüber ihr berichtet, sonst kann das unschön enden."

Die Verantwortung, sich zu positionieren, sieht Pfarrer Meißner dennoch bei allen im Ort. Das Problem alleine dem Staat, der Kirche oder dem Verfassungsschutz zu überlassen, sei zu einfach. Jeder müsse für sich entscheiden, ob er eine Veranstaltung von Weda Elysia besuche, "und wenn man dort seinen Kaffee trinkt, dann ist das eine Entscheidung."

Anwohner Manfred R.: "Man kann die Leute nicht alleine lassen"

Manfred R. aus dem benachbarten Blankenburg sieht das etwas anders. Er war lange Lokalpolitiker und besitzt ein Grundstück in Wienrode. Die völkischen Siedler beobachtet er schon seit Langem. R. glaubt, die Dorfgemeinschaft müsse nun mit Weda Elysia leben. Aber "man kann die Leute im Ort damit auch nicht alleine lassen", sagt er, als t-online ihn auf der Straße anspricht. Der Rechtsstaat müsse handeln – allerdings erst, wenn der Verein gegen Gesetze oder die freiheitlich demokratische Grundordnung verstoßen sollte, was er bisher noch nicht getan hat.

Dem Bürgermeister, der damals für den Verkauf des Gasthofs zuständig war, könne er keine Vorwürfe für das Auftauchen der Siedler machen, sagt Manfred R. Als Weda Elysia das Haus Lindenquell kaufte, habe es schon viele Jahre leer gestanden. Ein Investor aus Westdeutschland habe es nach der Wende gekauft und es dann verfallen lassen. "Da waren alle erst mal glücklich, als es neue Käufer gab." Wer dann mit den neuen Käufern in das Dorf kam, sei erst später klar geworden.

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Weda Elysia plant sogenannte Familienlandsitze, auf denen Familien bestehend aus Vater, Mutter und Kindern traditionell zusammenleben und sich mit eigenem Obst- und Gemüseanbau selbst versorgen sollen.

Anastasia-Bewegung wächst in Deutschland

Dass Bewegungen wie Weda Elysia derzeit vermehrt wachsen und sich auch in anderen Regionen Deutschlands ähnliche völkische Siedlungen gründen, erklärt Extremismusforscher Frankenberger damit, dass Teile der Gesellschaft nach Orientierung und nach einem Sinn im Leben suchten. "Da können solche Bewegungen attraktiv wirken." Auch in den 1920er-Jahren habe es ähnliche Bündnisse gegeben, in denen sich Nationalismus mit Umweltschutz und einer ausgeprägten Traditions- und Brauchtumspflege vermischt habe.

Dass Weda Elysia den Antisemitismus aus den Anastasia-Büchern teilt, daran hat Matthias Pöhlmann, Ansprechpartner für Sekten, Psychogruppen, Neureligionen und Weltanschauungen der evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern, keinen Zweifel: "Ich sage immer: Ein bisschen Anastasia geht nicht. Und Distanzierungen vom Antisemitismus in den Büchern von Wladimir Megre hat es vonseiten Weda Elysias nie gegeben."

Mobilisierung über den Harz hinaus

Weda Elysia kann aber nicht nur in Wienrode Menschen hinter sich vereinen: Max Roth (Name von der Redaktion geändert) erzählt: "Die Mobilisierung des Vereins ist für die Verhältnisse im Harz sehr gut." Er ist Aktivist bei der Gruppe Antifa Harz und erklärt sich bereit, anonym auf einem Parkplatz in der Region über den Verein zu sprechen. Die Gruppe beobachtet Weda Elysia schon seit der Übernahme des Gasthofs.

Auch bei ihnen sei die Angst vor Übergriffen eingezogen: Beim letzten großen Fest des Vereins seien etwa 120 Personen anwesend gewesen. "Davon kamen allerdings nur etwa 20 bis 30 Menschen aus dem Dorf", berichtet der Aktivist. Es seien auch schon rechtsextreme Siedler aus den Niederlanden gesichtet worden. Die Mobilisierung zu Veranstaltungen scheint international ebenfalls zu funktionieren.

Die Verbindungen zu Rechtsextremen findet Experte Frankenberger wenig überraschend. Zwischen der Ideologie von Weda Elysia und der von Rechtsextremen gebe es viele Überschneidungen. "Und das ist gefährlich", betont der Experte. Durch den Kontakt zu Rechtsextremen aus anderen Orten könne sich deren radikale Ideologie auch bei Weda Elysia etablieren.

"Beispiel dafür, wovor alle Experten seit Jahren warnen"

Wienrode brauche jetzt eine starke Zivilgesellschaft, um ein weiteres Erstarken der Anastasia-Bewegung zu verhindern, sagt Pöhlmann. "Weda Elysia ist eine Herausforderung für die demokratische Zivilgesellschaft", erklärt er. "Was wir jetzt brauchen, ist eine Allianz der willigen Demokraten." Die Wienroder müssten Demokratie in ihren eigenen Reihen fördern und sich eindeutig gegen antisemitische und rassistische Aussagen wehren.

Doch Weda Elysia scheint weiter wachsen zu wollen. Dafür sprechen der laut Manfred R. abgeschlossene Kauf weiterer Grundstücke am Rand von Wienrode und die Vernetzung mit Neonazis aus dem In- und Ausland. Zuletzt seien mehrere Rechtsextreme aus der Dortmunder Neonaziszene ins 20 Kilometer entfernte Halberstadt gezogen, berichten linke Gruppen.

"Weda Elysia ist aus meiner Sicht ein perfektes Beispiel dafür, wovor alle Rechtsextremismusexperten seit Jahren warnen", sagt Aktivist Max Roth. "Die kommen hier an, geben sich ein bürgerliches Image und treten im Dorf niemandem auf die Füße. Ich würde das genauso machen, wenn ich ein rechtsextremes Projekt gründen wollte."

Verwendete Quellen
  • Recherche vor Ort in Wienrode, Blankenburg und Thale
  • Telefongespräch mit Matthias Pöhlmann
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