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Diskriminierung in Deutschland: "Auch Ausländer können Rassisten sein"


Diskriminierung
Auch Ausländer können Rassisten sein

  • Lamya Kaddor
MeinungVon Lamya Kaddor

Aktualisiert am 30.03.2019Lesedauer: 4 Min.
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Pegida-Demonstration in Berlin: Auch unter den Rechtspopulisten gibt es einige Ausländer.Vergrößern des Bildes
Pegida-Demonstration in Berlin: Auch unter den Rechtspopulisten gibt es einige Ausländer. (Quelle: imago-images-bilder)

Nicht nur Deutsche können rassistisch sein. Es gibt auch Ausländer, die sich den Rechtspopulisten andienen. Nur leider kümmert sich in Deutschland niemand darum. Das könnte sich rächen, meint Kolumnistin Lamya Kaddor.

Zeit, mit einem alten Klischee aufzuräumen: Auch Ausländer können Rassisten sein. Meistens wird dieser Vorwurf ja hierzulande gegenüber Deutschen erhoben, deren Eltern, Großeltern, Ur-Großeltern, Ur-Ur-Großeltern usw. allesamt und ausnahmslos irgendwo zwischen List auf Sylt und Haldenwanger Eck im Allgäu geboren wurden.

Das ist nicht nur ungerecht, sondern auch ein verbreiteter Kurzschluss. Die Gemeinsamkeit einer Zuwanderungsgeschichte baut weder zwangsläufig eine Brücke zwischen Menschen, noch schmiedet sie ein eisernes Band der Solidarität.

"Wie blöd ist das denn?"

So rätseln bis heute viele darüber, dass jüngst von AfD-Mitgliedern mit Migrationshintergrund ein Verein gegründet wurde. "Sag mal, Lamya, hast du das gehört, wie können die so was machen?", wurde ich in den vergangenen Tagen häufiger gefragt. "Da ist sogar eine Iranerin dabei. Wie blöd ist das denn?", fragten andere. "Schon 1. April?" – "Bin ich so ein Hinterwäldler, weil ich einfach nicht verstehe, wie sich Menschen mit Migrationshintergrund für solch eine Partei hergeben können?"

Der Verein nennt sich "Die Neudeutschen". Mit nur 20 Mitgliedern und ziemlich durchschaubaren Absichten, wie der AfD ein weniger rechtes Image zu verpassen, wäre er nicht weiter der Rede wert, wenn durch seine Existenz nicht ein Phänomen in den Vordergrund gerückt würde, über das man sich in Deutschland bislang viel zu wenig Gedanken macht.

Sowohl auf wissenschaftlicher als auch auf politischer Ebene sind Themen wie "Deutschnationalismus", Rassismus oder auch Islamfeindlichkeit unter Menschen mit Migrationshintergrund wenig bis gar nicht präsent. Hier schlummert ein Problem mit viel gesellschaftlichem Sprengstoff. Das deutet sich auch in meinem Forschungsprojekt zur Islamfeindlichkeit im Jugendalter an der Uni Duisburg-Essen an, wo wir diese Themen derzeit allerdings nur streifen können. Ihre Bedeutung wird in einem Einwanderungsland weiter wachsen.

Forschung ist dringend notwendig

Bereits heute hat fast jeder vierte Deutsche (rund 20 Millionen Menschen) familiäre Wurzeln im Ausland. Familien, die beispielsweise als (Spät-)Aussiedler aus der ehemaligen Sowjetunion kamen, haftet seit Längerem das Vorurteil an, sie seien besonders anfällig für Nationalismus, völkisches Denken oder Rechtspopulismus in einem deutschen Sinn. Scheinbar bestätigend wurde dann auch der Initiator und Gründungsvorsitzende der "Neudeutschen", der Bundestagsabgeordnete Anton Friesen, in Kasachstan als Sohn einer russischen Mutter und eines deutschstämmigen Vaters geboren.

Es gibt zahlreiche Medienberichte über die politische Orientierung von "Aussiedlern", aber vergleichsweise wenig wissenschaftlich fundierte Fakten, obwohl es sich um eine der größten Zuwanderergruppen in Deutschland handelt. Mit Jannis Panagiotidis von der Uni Osnabrück forscht in Deutschland seit wenigen Jahren gerade mal ein Juniorprofessor explizit zu Menschen mit russlanddeutschem Migrationshintergrund.

Letztlich gibt es in Deutschland nur zu türkischstämmigen Migranten größere Forschungsbemühungen. Das macht es bei Angehörigen anderer Gruppen, die als "nicht weiß" kategorisiert werden, entsprechend schwieriger zu klären, warum sich manche von ihnen rechtspopulistischen Bewegungen deutscher Prägung nahe fühlen, obwohl deren in der Regel völkisches Denken Menschen wie sie ebenfalls ausgrenzt.

Auf der Grenze zur Volksverhetzung

Es gibt zahlreiche mehr oder weniger prominente Deutsche mit Migrationshintergrund, die seit Jahren auf der Grenze zur Volksverhetzung balancieren und mithelfen, das Geschäft der Diskriminierung nationaler, religiöser oder ethnischer Minderheiten zu betreiben – stets im Schutz der irrationalen Annahme, "Ausländer" könnten schließlich keine Rassisten sein oder Muslime keine Islamfeinde. Da ist es erstaunlich, dass sich noch niemand eingehender mit diesem Phänomen befasst hat. Von gesellschaftlichem Interesse wäre das schon allein deshalb, um die Auswirkungen im öffentlichen Diskurs bewerten zu können.

Dennoch lassen sich aus den allgemeinen Erkenntnissen, die man bislang in der Migrationsforschung gewonnen hat, ein paar Hinweise auf mögliche Erklärungen ziehen. Rassismus und Fremdenfeindlichkeit sind nicht an Landesgrenzen gebunden. Für manche Araber sind Deutsche "ohne Ehre", einige Türken halten Araber für rückständig, manche Chinesen Afrikaner für faul, manche Polen Russen für primitiv etc.

Treten solche Sichtweisen in den jeweiligen Herkunftsländern oder Herkunftsregionen auf, ist das nicht weiter überraschend. Hier greifen die bekannten sozialpsychologischen Erkenntnisse. Aber was, wenn Rassisten in einem gesellschaftlichen Kontext auftreten, in dem sie selbst zu einer "abgewerteten" Minderheit gehören?

"Bessere" Ausländer?

Grundsätzliche Erklärungen dafür könnten Verteilungskämpfe und Konflikte sein, die Einwanderer mit nach Deutschland gebracht haben etwa zwischen Kurden und Türken, zwischen Bürgern aus dem ehemaligen Jugoslawien oder anderen. Die Deutsch-Iranerin Laleh Hadjimohamadwali, Mitinitiatorin der "Neudeutschen", sowie andere emigrierte Iraner mussten unter dem islamistischen Regime in Teheran leiden und arbeiten das nun auf.

Ein weiterer Erklärungsansatz: Diese Menschen wähnen sich als die besseren "Ausländer". Sie verunglimpfen andere in der Hoffnung, selbst weniger abgewertet und beschimpft zu werden. Wer so handelt, der sucht dann womöglich auch Schutz in einer vermeintlich starken Gemeinschaft. Wer Rechtspopulisten nahe steht, bekommt von den gerade im Internet besonders aktiven rechten Hetzern weniger oder keinen Hass ab, sondern stattdessen Unterstützung.

Bei Gegenwind von den "Rot-grün-Versifften" hält man zusammen und setzt dem gemeinsam etwas entgegen. Solche Strategien sind bereits im Zusammenhang mit Salafisten, Sektenmitgliedern oder ähnlich autoritären Gruppen bekannt. Andere rassistische "Ausländer" versprechen sich von ihrem Verhalten, den angeblichen Schutz durch Assimilation zu stärken. Sollten Rechtspopulisten oder Schlimmere tatsächlich an die Macht kommen, hoffen sie, zu den "guten Ausländern" gezählt zu werden.

Ein gefährlicher Irrglaube

Eine trügerische Hoffnung, wie die Geschichte zeigt. Wie übrigens solche Überlegungen allesamt ziemlich naiv sind. Die Gruppen am rechten Rand werden von Menschen angetrieben, die identitäres Denken pflegen und eine Herrschaft der "Weißen" vor Augen haben. Menschen mit dunklerer Hautfarbe passen nicht dazu, egal, was sie denken und sagen. Aus Sicht von Identitären können "Ausländer" somit nur als "nützliche Idioten" betrachtet werden, aber niemals als gleichwertig.


Nützlich sind sie in dem Sinne, dass man sie in der gegenwärtigen Phase der Propaganda gebraucht, um Nazi-, Rassismus- oder Islamfeindlichkeitsvorwürfe abzuwehren. Denn in Diskussionen können die Propagandisten immer darauf hinweisen, dass ja selbst "Ausländer" die Dinge so sehen wie sie.

Lamya Kaddor ist Islamwissenschaftlerin, Religionspädagogin und Publizistin. Sie ist Gründungsvorsitzende des Liberal-Islamischen Bundes (LIB e.V.). Derzeit leitet sie ein Forschungsprojekt an der Universität Duisburg-Essen. Ihr neues Buch heißt "Die Sache mit der Bratwurst. Mein etwas anderes deutsches Leben" und ist bei Piper erschienen. Sie können unserer Kolumnistin auch auf Facebook oder Twitter folgen.

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