t-online - Nachrichten fΓΌr Deutschland
Such IconE-Mail IconMenΓΌ Icon

MenΓΌ Icont-online - Nachrichten fΓΌr Deutschland
Such Icon
HomePolitikKolumne - Lamya Kaddor

Antisemitismus: Judenfeindlichkeit gibt es in jeder Menscheits-Epoche


Judenhass unter Muslimen kommt nicht von ungefΓ€hr

  • Lamya Kaddor
Eine Kolumne von Lamya Kaddor

Aktualisiert am 30.01.2020Lesedauer: 6 Min.
Meinung
Was ist eine Meinung?

Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung ΓΌbernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

Bei einer Al-Quds-Kundgebung verbrennen Teilnehmer in Berlin eine Israel-Flagge (Archivbild): Antisemitismus unter Muslimen ist ein Problem, findet t-online.de-Kolumnistin Lamya Kaddor.Vergrâßern des Bildes
Bei einer Al-Quds-Kundgebung verbrennen Teilnehmer in Berlin eine Israel-Flagge (Archivbild): Antisemitismus unter Muslimen ist ein Problem, findet t-online.de-Kolumnistin Lamya Kaddor. (Quelle: imago-images-bilder)

Was ist Antisemitismus unter Muslimen? Und warum darf Friedrich Merz nicht darΓΌber reden? Eine Klarstellung.

Dass Konservatismus in Deutschland Riesenprobleme hat – sich jenseits von Abgrenzung und Ausgrenzung anderer – ΓΌberzeugend zu definieren, ist inzwischen gelΓ€ufig. Friedrich Merz und Philipp Amthor haben das diese Woche eindrΓΌcklich belegt, als sie ausgerechnet zum 75. Jahrestag der Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz auf Einwanderer beziehungsweise auf Muslime und deren Schuld am Antisemitismus zeigten.

Das ist AfD-Stil

Angemessen wΓ€re es gewesen, sich zumindest an diesem Tag auf die Urheber des Holocausts und die gemeinsame Verantwortung, die uns allen daraus erwachsen ist, zu konzentrieren. Da die beiden nun ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt auf andere gezeigt haben, kann man das eigentlich nur als ungelenken Versuch deuten, deutsche Verantwortung zu relativeren, um dadurch konservativen Nationalisten und Schlussstrich-Rhetorikern zu schmeicheln. Das ist AfD-Stil.

Das Timing von Friedrich Merz und Philipp Amthor ist Àußerst fragwürdig, ihr Hinweis, dass Antisemitismus nicht nur aus Deutschland kommt, natürlich nicht. Es darf bei der Kritik an den beiden CDU-Politikern folglich nicht darum gehen, Antisemitismus unter Muslimen oder anderen Gruppen zu verschweigen: Antisemitismus unter Muslimen ist ein signifikantes und hâchst relevantes Problem. Verschiedene Studien und Befragungen etwa der "Anti-Defamation League" zeigen, dass die Ablehnung von Juden in Deutschland in muslimischen Milieus zum Teil deutlich grâßer ist als in nichtmuslimischen. Auch wenn man über die Erhebungen und deren Auswertungen diskutieren kann: Das sind alarmierende Ergebnisse!

VorwΓΌrfe gegenΓΌber Juden

Sie kommen nicht von ungefΓ€hr – historisch und theologisch. Zur Zeit Mohammeds bekΓ€mpfte, vertrieb oder vernichtete die neue Gemeinde der ersten Muslime um den Propheten als AnfΓΌhrer die drei großen jΓΌdischen StΓ€mme in Medina: die Banu Qainuqa, Banu Nadir und Banu Quraiza. Im Koran finden sich – neben wertschΓ€tzenden auch – diverse ablehnende Γ„ußerungen ΓΌber Juden und VorwΓΌrfe, sie seien gegenΓΌber Gott vertragsbrΓΌchig geworden etwa in Sure 4: Vers 155. Oder Juden wΓΌrden Gottes Wort entstellen (2:75; 5:13) und hΓ€tten die eigenen Propheten ermordet (3:21; 5:70). Auch Strafschilderungen finden sich, wonach Juden fΓΌr ihr Verhalten in Affen und Schweine verwandelt worden seien (5:60; 7:166).

Nach fundierten Koranexegesen ließe sich daraus zwar keine generelle Abwertung des Judentums und keine stereotypen Zuschreibungen ableiten, da sich die Handlungen und Aussagen auf konkrete VorfΓ€lle und bestimmte Akteure beziehen und nicht verallgemeinernd auf alle Juden gemΓΌnzt sind, dennoch bieten diese Koranstellen fΓΌr viele natΓΌrlich AnknΓΌpfungspunkte fΓΌr antisemitische Diskurs-StrΓ€nge – ob man eben will oder nicht.

"Komm tΓΆte ihn!"

Γ„hnliches gilt fΓΌr die im Islam neben dem Koran so wichtigen Hadithe, die Überlieferungen aus dem Leben Mohammeds. Die Stunde der Auferstehung werde erst kommen, ist beispielsweise in den beiden zentralen Hadithsammlungen zu lesen, wenn die Muslime die Juden bekΓ€mpfen und tΓΆten, bis sie sich hinter Felsen und Baum verstecken, Felsen und Baum den Muslimen jedoch zurufen: "Oh, Muslim, oh, Diener Gottes! Da ist ein Jude hinter mir. Komm und tΓΆte ihn!"

BerΓΌhmt geworden ist auch der "Pakt von Umar" in den Jahren nach Mohammeds Tod, der zwischen Muslimen und Nichtmuslimen geschlossen und spΓ€ter eine Art Richtschnur fΓΌr die Diskriminierung der jΓΌdischen BevΓΆlkerung wurde. Darin finden sich Vorschriften ΓΌber Kleidung, Reittiere (Pferde waren nicht erlaubt), das Tragen von Waffen oder das Verwenden von Symbolen. Ziel war immer, eine Situation zu schaffen, in der die sozialen Abstufungen eingehalten und deutlich wurden. Ganz gleich, ob es so ein Pakt tatsΓ€chlich gegeben hat (die ersten Jahrzehnte nach Mohammeds Tod sind historisch kaum belegt), die ErzΓ€hlungen darΓΌber sind existent.

Judenfeindlichkeit in jeder Epoche

Im Verlauf der Geschichte kam es in der islamischen Welt ebenso zu Übergriffen auf Juden wie in der christlichen. Ein Augenzeuge im muslimischen Granada des Jahres 1066 schreibt: "Die Juden flüchteten sich in das Innere des Palasts, doch der Pâbel verfolgte sie dorthin, ergriff sie und tâtete sie. Dann erschlugen sie alle Juden der Stadt mit dem Schwert und nahmen große Mengen ihres Eigentums an sich." Der Islamwissenschaftler Bernard Lewis spricht von einem weiteren Pogrom 1495 im marokkanischen Fes.

Selbst wenn Leute wie der Princeton-Historiker Mark Cohen nun ausfΓΌhren, die Verfolgung der Juden unter islamischer Herrschaft komme "auch nicht im Entferntesten" jΓΌdischem Leiden im Herrschaftsbereich der westlichen Christenheit gleich, fΓΌr jede islamische Epoche lassen sich Hinweise auf Judenfeindlichkeit finden. So erwuchs im 19. Jahrhundert die "DamaskusaffΓ€re". Mitglieder der jΓΌdischen Gemeinde wurden 1840 aufgrund von Ritualmord-VorwΓΌrfen im damaligen Osmanischen Reich gefoltert und hingerichtet.

Allianz mit Hitler

Knapp hundert Jahre SpÀter diente sich der palÀstinensische Großmufti Mohammed al-Husseini den Nazis an und wurde spÀter sogar von Hitler in Berlin empfangen. Mit al-Husseini war der Stein ins Rollen gekommen, den Kampf um PalÀstina mit der Judenfeindlichkeit zu verknüpfen. Nach dem Zweiten Weltkrieg systematisierte Sayyid Qutb, Vordenker der Muslimbrüder, diese Verbindung in seinem Pamphlet "Unser Kampf mit den Juden". Der Patron des Islamismus zeichnet darin ein Bild, das Juden als dauerhafte Gegner der Muslime von der Zeit Mohammeds bis heute konstruiert.

Es sei eindeutig, schreibt er, dass die Juden "die schlimmsten Feinde" fΓΌr die islamische Gesellschaft seien. Qutb geht sogar so weit zu sagen, Gott habe Hitler geschickt, um ihn ΓΌber die Juden herrschen zu lassen, und schlussfolgert: "Und heute haben sich die Juden wieder dem BΓΆsen zugewendet – in Form von 'Israel', welches die Araber, die EigentΓΌmer des Landes, von Leid und Elend kosten lΓ€sst."

Die "Protokolle" bei der Hamas

Das vom Antisemitismus angetriebene Verweben islamischer Traditionen und islamistischer Ziele setzt sich bei der Terrororganisation Hamas fort. In deren Charta von 1988 findet sich der oben erwΓ€hnte Fels-und-Baum-Hadith. Zudem gibt es darin einen expliziten Bezug auf die erfundenen "Protokolle der Weisen von Zion", jenem zentralen Machwerk antisemitischer VerschwΓΆrungslegenden. Seit die "Protokolle" in den Zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts ins Arabische ΓΌbersetzt wurden, fanden sie mit dem Aufkommen des Nahostkonflikts enorme Verbreitung in der arabischen Welt; in Teilen der BevΓΆlkerung gelten sie bis heute noch als echt. Selbst der Scheich der al-Azhar in Kairo, Muhammad Tantawi, bemΓΌhte sich in seiner Doktorarbeit von 1966 darum, die "Protokolle" im Hinblick auf den Nahostkonflikt als zuverlΓ€ssige Quelle zu nutzen.

Viele Forscherinnen und Forscher weisen zwar mit Recht darauf hin, dass Muslime bis in die Neuzeit die theologischen und religiΓΆsen AnknΓΌpfungspunkte, die es im Islam fΓΌr Antisemitismus gibt, kaum bedient haben. Richtig ist auch, dass seit der Damaskus-AffΓ€re meist irgendwelche EuropΓ€er ihre antisemitischen Finger mit im Spiel hatten. Doch das sind maximal ErklΓ€rungen. Sie Γ€ndern nichts an der heutigen RealitΓ€t des Antisemitismus unter Muslimen.

Antisemitismus im Fernsehen

Abgesehen davon ist der Antisemitismus nicht nur Teil islamistischer Diskurse. FΓΌr populΓ€re Fernsehserien wie "Ein Reiter ohne Pferd", die im Γ€gyptischen Fernsehen Anfang der Nullerjahre im Ramadan lief, dienten die "Protokolle der Weisen von Zion" dem Augenschein der TV-Folgen nach als Szenario, wie der Antisemitismusforscher Wolfgang Benz festgestellt hat. Ein Jahr spΓ€ter folgte im syrischen Fernsehen als traditionelle Ramadan-Serie: "Al-Schatat" (Die Diaspora), in der laut Benz sΓ€mtliche Stereotype des Judenhasses in Szene gesetzt wurden.

Loading...
Loading...
Loading...

Man kΓΆnnte auch die tΓΌrkische Filmproduktion "Tal der WΓΆlfe" als Beispiel auffΓΌhren, die 2006 ein gewaltiger Erfolg war. Und damit ist lΓ€ngst noch nicht Schluss: Offizielle SchulbΓΌcher in der islamischen Welt enthalten Nahost-Karten, auf denen Israel nicht eingezeichnet ist, Texte zum Zweiten Weltkrieg, in denen der Holocaust nicht erwΓ€hnt wird, und Γ€hnliches.

Zahlreiche Menschen, die in einem solchen Umfeld aufgewachsen sind, sind inzwischen nach Deutschland gekommen – und mit ihnen zusΓ€tzliche Herausforderungen im Kampf gegen Antisemitismus. Die fΓΌrchterlichen antisemitischen Attacken in den vergangenen Monaten auf offener Straße oder in Schulen demonstrieren die Problematik ebenso wie der al-Quds-Tag gegen Israel, der jΓ€hrlich in Berlin vorwiegend von Menschen mit nahΓΆstlichem Familienhintergrund begangen wird. 2005 tauchten auf der Frankfurter Buchmesse bei einem iranischen Verlag antisemitische Schriften auf – darunter wieder die "Protokolle der Weisen von Zion".

Mein Parforceritt durch Geschichte und Gegenwart sollte eines unmissverstΓ€ndlich klarmachen: Niemand kann sagen, dass Antisemitismus unter Muslimen kein gravierendes Problem ist. Um es zu lΓΆsen, brauchen wir weitere Expertise, weitere Forschung und weitere KapazitΓ€ten.

Was wir nicht brauchen, sind "Whataboutism", gegenseitige Aufrechnungen von Schandtaten und der Fingerzeig auf andere. Antisemitismus ist zu ernst, um damit Parteipolitik zu machen. Wie ich vergangene Woche an dieser Stelle bereits schrieb: Demokratinnen und Demokraten kΓΆnnen Antisemitismus nur gemeinsam effektiv bekΓ€mpfen.

Lamya Kaddor ist Islamwissenschaftlerin, ReligionspΓ€dagogin, Publizistin und GrΓΌnderin des Liberal Islamischen Bunds e. V. (LIB). Im PrΓ€ventionsprojekt "Extreme Out – Empowerment statt Antisemitismus" hat sie sich mit der Frage der Judenfeindlichkeit unter jungen Muslimen auch praktisch auseinandergesetzt. Derzeit leitet sie ein Forschungsprojekt an der UniversitΓ€t Duisburg-Essen. Ihr aktuelles Buch heißt "Die Sache mit der Bratwurst. Mein etwas anderes deutsches Leben" und ist bei Piper erschienen. Sie kΓΆnnen unserer Kolumnistin auch auf Facebook oder Twitter folgen.

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...

ShoppingAnzeigen

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...

t-online - Nachrichten fΓΌr Deutschland


TelekomCo2 Neutrale Website