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Rechte Gewalt in Deutschland: Der Anschlag von Hanau muss ein Weckruf sein


Rechte Gewalt in Deutschland
Der Anschlag von Hanau muss ein Weckruf sein

  • Lamya Kaddor
MeinungVon Lamya Kaddor

Aktualisiert am 20.02.2020Lesedauer: 6 Min.
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Einer der Tatorte in Hanau: Polizei und Rettungskräfte sind in der Nacht zum Donnerstag im Großeinsatz.Vergrößern des Bildes
Einer der Tatorte in Hanau: Polizei und Rettungskräfte sind in der Nacht zum Donnerstag im Großeinsatz. (Quelle: Boris Rössler/dpa)

Viele halten Rechtsterrorismus für weniger bedrohlich als islamistischen Terror. Doch das ist ein gefährlicher Fehlschluss: Es ist höchste Zeit für einen Aktionsplan gegen Rassismus.

Die genauen Hintergründe der schrecklichen Tat von Hanau sind noch nicht geklärt. Aber nach bisherigen Informationen deutet sich ein rechtsextremistisches Motiv an. Der Tatort – zwei Shisha-Bars – und der Ablauf – eindringen, schießen, zum nächsten Tatort fahren, Suizid – scheinen dies zu bestätigen. Darüber hinaus gibt es ein Bekennerschreiben des mutmaßlichen Täters Tobias R., der sich in der Vergangenheit wohl mehrfach rassistisch geäußert hatte.

Keine Frage, unser Land ist gesättigt mit Terrorismus und Gewalt. Seit Islamisten die ganze Welt mit ihren verbrecherischen Taten überziehen, sehnt man sich nach Ruhe. Deutlich weniger Menschen als noch vor ein paar Jahren haben Interesse daran, von Terror zu lesen, zu hören oder zu sehen. Entsprechend ist die öffentliche Aufmerksamkeit dafür zurückgegangen. Nachrichten über Terror sind längst kein automatischer Anlass mehr für Breaking News, Sondersendungen und Aufmacher.

Im Halbschatten, der dadurch geworfen wird, hat sich jedoch eine Bedrohung entwickelt, die unsere volle Aufmerksamkeit erfordert. Sie hat längst eine kritische Größe erreicht, die für unsere Gesellschaft von signifikanter Bedeutung ist. Hanau weist genau darauf hin. Wenn wir nicht endlich entschlossener reagieren, ist die nächste und übernächste Katastrophe nicht mehr weit.

Rechter Terror ist eine Gefahr für die gesamte Gesellschaft

Angehörige gehasster Gruppen befürchten seit Langem, dass erst viele Menschen getötet werden müssen, bis endlich ankommt, dass Rechtsterror für die gesamte Gesellschaft eine Gefahr darstellt – und Attentäter nicht nur Mohammed, sondern auch Tobias heißen. Wir können nicht hinnehmen, dass in unserem Land Menschen auf offener Straße ermordet werden – aus welchem Motiv auch immer.

Aber jahrelang haben sich unsere Sicherheitsbehörden auf die wichtige und notwendige Bekämpfung von Islamismus konzentriert. Unsere Behörden haben zu lange geschlafen, wenn es um die Bedrohung von Rechts geht. Die wurde nicht ernst genommen, sondern als Minderheitenproblem abgetan. Erst seit rund einem Jahr haben die Behörden das Thema ernsthaft auf dem Schirm.

Erst letzte Woche ging eine rechte Terrorzelle hoch

Vergangene Woche wurde bekannt, dass die mutmaßliche rechte Terrorzelle "Der harte Kern" mit mindestens vier Mitgliedern und acht Unterstützern offenbar bürgerkriegsähnliche Zustände in Deutschland herbeiführen wollte. Die Polizei nahm sie hoch, nun sitzen die Männer in Untersuchungshaft. Sie sollen Angriffe auf sechs Moscheen ausgelotet haben. Dass selbst das Bundesinnenministerium sagt, es sei erschreckend, was hier zutage getreten ist, lässt erahnen, wie gefährlich die Männer um Werner S. alias "Teutonico" gewesen sein müssen.

Und damit noch nicht genug: Kurz bevor die Gruppe aus dem Verkehr gezogen wurde, hatte es erneut Bombendrohungen gegen mehrere Moscheen in NRW gegeben – nach einer ganzen Serie im vergangenen Jahr.

Es scheint, als seien andere Formen von Terrorismus wichtiger

Dennoch liegt eine seltsam verstörende Ruhe über diesem Land. Natürlich wird über die Vorfälle berichtet, natürlich wird in der Politik Entsetzen geäußert. Trotzdem spüren Bürgerinnen und Bürger eine gewisse Hemmung bei diesem Thema – insbesondere, wenn der Terrorismus zugleich eine eindeutig islamfeindliche oder antimuslimische Ausrichtung hat. Sie beschleicht das Gefühl, Politik und Medien würden Begriffe wie islamfeindlich oder antimuslimisch nur zögerlich benutzen und andere Formen von Terrorismus für gravierender halten.

Das kann man nur verstehen, wenn man sich an den Umgang mit islamistischem Terror erinnert. Nach dem Anschlag von Anis Amri auf dem Berliner Breitscheidplatz jagte ein ARD-Brennpunkt den anderen. Ex-"Spiegel"-Chefredakteur Georg Mascolo und ich waren 2015, abgesehen von Politikerinnen und Politikern, die meistgeladenen TV-Talkshow-Gäste. Gesetze wurden reihenweise erlassen oder verschärft, Anti-Terror-Poller in unseren Fußgängerzonen aufgestellt…

Daran werden die Reaktionen auf den heutigen Rechtsterrorismus gemessen – und im Ergebnis fallen sie eindeutig zurückhaltender aus. Was nicht per se schlecht ist. Zum einen haben islamistische Terroristen in Europa mehr Menschen auf dem Gewissen als Rechtsterroristen, zum anderen brauchen wir keine Hypes – denn in die ist die Aufmerksamkeit für Islamismus bisweilen abgeglitten.

Rechtsterrorismus verleugnen hat Tradition

Zur Wahrheit gehört aber auch: Die Bundesrepublik hat eine gewisse Tradition bei der Relativierung von Rechtsterrorismus – spätestens seit dem Oktoberfestattentat von 1980. Der bis damals verheerendste Terrorakt der deutschen Nachkriegsgeschichte mit 13 Toten und über 200 Verletzten wurde als Tat eines verwirrten Einzeltäters abgetan. Analog zum Islamismus heute konzentrierte sich damals alles auf Linksterrorismus.

Bedenkt man nun, dass es einflussreiche Kräfte gibt, die nach wie vor versuchen, Islamophobie als reine Erfindung von Islamisten herunterzuspielen, oder die Islamfeindlichkeit als bloßes Totschlaginstrument für Islamkritik abzustempeln, erklären sich die Sorgen vieler Menschen in diesem Land von selbst. Diese Sorgen muss man ernst nehmen.

Und auch die Gefahr einer Gewaltspirale ist nicht zu unterschätzen: Während Islamisten Rechte zu Vergeltungsaktionen animieren, stacheln Rechte Islamisten und Linke zugleich an. Das Gerede vom "Bürgerkrieg" ist zwar übertrieben, aber nicht völlig absurd.

Wir brauchen einen Plan

Rechtsterroristen sind für unser Gemeinwesen genauso zerstörerisch wie islamistische; beide arbeiten mit denselben Methoden. Politik und Gesellschaft müssen handeln – nicht kopflos, sondern geplant und koordiniert.

Es ist Zeit für einen bundesweiten Aktionsplan gegen antimuslimischen (Rechts-)Terrorismus. Dazu gehören der Einsatz von Sicherheitsbehörden, Aufklärungskampagnen und Präventionsprojekte. Wir dürfen Hanau, Terrorzellen wie "Der harte Kern" oder Bombendrohungen gegen Moscheen nicht als Einzelfälle abtun, sie sind es nicht. Hinter diesen Taten stehen dieselben Narrative wie hinter dem NSU, dem Mord an Walter Lübcke oder dem Terroranschlag von Halle. Einige füttern sie im legitimen öffentlichen Diskurs, andere tun es mit Hasskommentaren, einzelne greifen zu Terror.

Aus Worten werden Taten. Wenn seit Jahren auf bestimmte Gruppen geschimpft wird, muss irgendwann einer kommen, der endlich zur Tat schreitet. Einer, der die unerwünschten Personen wegschafft, die man in einer "verfluchten Demokratie" nicht loswerden kann. Als so jemand sah sich offenbar der Attentäter von Hanau.

Derzeit prüft niemand systematisch, ob es übergeordnete Zusammenhänge gibt. Ob die gleichen Menschen, die mir Hassmails schreiben, auch Aiman Mazyek oder Ahmad Mansour anfeinden. Ob Hater, die bei Pegida mitmachen, zugleich in Onlineforen hetzen, "kritische" Briefe zum Umweltsau-Lied an den WDR schreiben, antisemitische Videos auf YouTube konsumieren, gegen Feministinnen zu Felde ziehen… Dass es hier Querverbindungen gibt, ist offenkundig. Belastbare Erkenntnisse? Fehlanzeige.

Wir brauchen mehr Informationen

Wir brauchen eine sicherheitspolitische Debatte. Ich will auch jenseits wissenschaftlicher Zirkel und Betroffenengruppen etwas dazu hören. Es muss ersichtlich werden, dass man sich um solche Zusammenhänge kümmert. Was haben die Mitglieder des "Harten Kern" vorher gemacht? Wo waren sie aktiv? Hatten sie auch antisemitische Vorgeschichten? Waren sie mit anderen Extremisten in Europa vernetzt? All das muss ans Licht der Öffentlichkeit.

Die "Welt am Sonntag" fand bereits heraus, dass es offenbar Verbindungen zu den islamfeindlichen Flüchtlingsgegnern der "Soldiers of Odin" in Finnland gab, der Bayerische Rundfunk, dass einer der Verdächtigen bei rechten Bürgerwehren in Nürnberg aktiv war. Die Öffentlichkeit braucht mehr solcher Informationen, und die Schaltzentralen der Sicherheitsbehörden sowie die zivilgesellschaftlichen Organisationen im Kampf gegen Extremismus müssen damit arbeiten.

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Der Christchurch-Attentäter hatte bewiesenermaßen Verbindungen nach Europa, wie t-online.de-Redakteur Lars Wienand ausführlich beschrieben hat. Der El Paso-Attentäter bezog sich in seinem "Manifest" wiederum auf Christchurch und feierte Donald Trumps geplanten Mauerbau. Bevor der Norweger Anders Breivik zu seiner blutigen Tat schritt, hob er in seinem "Manifest" gleich mehrere Menschen hervor, die sich kritisch bis feindlich und abwertend über Muslime und ihren Glauben geäußert hatten.

Wir haben ein Recht auf Details

Es muss gezielt kommuniziert werden, wer, wie, was macht. Zudem brauchen wir endlich eine klare Sprache: Die Motive des Hanau-Attentäters sind nicht nur "fremdenfeindlich", sondern rassistisch. Menschen in Shisha-Bars sind nicht per se "Fremde". Man kann auch nicht alles pauschal unter Rechtsterrorismus abhandeln. Das greift zu kurz. Die Bedrohung ist mittlerweile so akut, dass die Bevölkerung ein Recht auf Details hat, genauso wie sie ein Recht auf die Details der Islamistenszene hat.

Wir müssen mehr über die ideologischen Verbindungen der rechtsextremen Täter und Täterinnen erfahren, niemand wird plötzlich zum Terroristen. Sondern es gibt immer eine Vorgeschichte der Radikalisierung. Bei den Islamisten haben wir ausführlich danach gesucht: im Koran, in der Politik des Westens, in Diskriminierungserfahrungen – und so weiter. Wie sieht das bei Rechtsextremisten aus? Darauf hätten ich und viele andere gerne Antworten.

Lamya Kaddor ist Islamwissenschaftlerin, Religionspädagogin, Publizistin und Gründerin des Liberal Islamischen Bunds e.V. (LIB). Derzeit leitet sie ein Forschungsprojekt an der Universität Duisburg-Essen. Ihr aktuelles Buch heißt "Die Sache mit der Bratwurst. Mein etwas anderes deutsches Leben" und ist bei Piper erschienen. Sie können unserer Kolumnistin auch auf Facebook oder Twitter folgen.

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