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Coronavirus – Professor Christian Drosten hat immer recht – nein!


Medienkritik in Corona-Zeiten
Professor Drosten hat immer recht – nein!

  • Lamya Kaddor
MeinungVon Lamya Kaddor

Aktualisiert am 17.04.2020Lesedauer: 6 Min.
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Christian Drosten: Durch seinen Podcast und seine TV-Auftritte steht der Virologe in der Corona-Krise im Mittelpunkt.Vergrößern des Bildes
Christian Drosten: Durch seinen Podcast und seine TV-Auftritte steht der Virologe in der Corona-Krise im Mittelpunkt. (Quelle: imago-images-bilder)

Wissenschaft und Medien sind ein Minenfeld. Es gibt teils scharfe Kritik an ARD, ZDF und anderen in der Coronavirus-Pandemie. Ein Kritiker ist der Virologe Christian Drosten. Hat er mit seiner Schelte recht? Das hat sich unsere Kolumnistin Lamya Kaddor gefragt.

Christian Drosten ist "Der Corona-Aufklärer der Nation", "Die Stimme der Krise", "Eine Instanz in Corona-Zeiten". Er wird zum "Hoffnungsträger", ist "Der Informant" und "Der Corona-Professor“. "Deutschland hat den besten Mann für die Virus-Krise" und wirkt derzeit wie "verdrostet". Hallo? Was ist da los? Das sind keine Auszüge aus Boulevard-Medien, sondern unter anderem aus Handelsblatt, Süddeutscher Zeitung, Zeit, FAZ und Deutschlandfunk. Ein Wissenschaftler wird zum Helden verklärt. Mit welchem Recht? Der mediale Umgang mit Christian Drosten zeigt, hier läuft mal wieder etwas gewaltig verkehrt.

Der Direktor des Instituts für Virologie an der Berliner Charité scheint ein besonnener, kluger und versierter Forscher zu sein. Wer seinen empfehlenswerten Podcast beim NDR zum Coronavirus kennt, kann das erahnen. Dennoch ist auch er nur "ein" Virologe unter vielen, es gibt nämlich nicht nur an der Charité eine Virologie in Deutschland.

Kein Wissenschaftler weiß alles

Hört ihn an, aber macht aus ihm keinen Heiligen! Keine Wissenschaftlerin und kein Wissenschaftler weiß alles. Wissenschaft schafft Wissen, und dieses Wissen ist die Summe von Forschung und ihren Ergebnissen, und Forschungsergebnisse bauen stets auf das Wirken anderer auf. Forschungsergebnisse wiederum sind das Produkt ausgewählter Methoden. Diese können zum Ziel führen, niemand weiß jedoch, ob sie der einzige oder beste Weg sind. Deshalb lebt Wissenschaft vom Austausch, vom Vergleich und vom fachlichen Streit.


Was die Virologie gerade durchmacht, erlebt mein Fachbereich, die Islamwissenschaft oder die Erziehungswissenschaft, seit Jahrzehnten – und andere wie die Klimaforschung seit Jahren. Plötzlich spielt sich die Nation zum Scharfrichter auf. Jeder kann auf einmal mitreden. Die vorlautesten Bürgerinnen und Bürger halten sich auf einmal für die eigentlichen Experten. Weil sie aus irgendwelchen obskuren alternativen Medien etwas erfahren haben. Nun ist also die Virologie dran. Offenbar ist das ein Muster und trifft jeden Wissenschaftsbereich, der plötzlich massiv in die Öffentlichkeit gesogen wird. Wen interessierte schon Virologie vor Corona? Wen interessierte schon Islamwissenschaft vor dem 11. September 2001?

Nur eine Handvoll Männer taugt offenbar als Experte?

Mit ihrem Hype-Faktor tragen Medien zu solchen Entwicklungen bei. Und das ist ein gesellschaftliches Problem. Weil Christian Drosten zum "Virologengott" stilisiert wird, muss ihn plötzlich jedes Medium in diesem Land zum Interview haben. Jede Talkshow will sich mit dem "Star der Szene" schmücken. Und wenn er mal nicht kann, greift man auf die Ersatz-Virologen Alexander Kekulé, Jonas Schmidt-Chanasit oder Hendrick Streeck zurück. Wer im TV zappt, kann sich sicher sein, dass er neben Lothar Wieler, der qua Amt als Chef des Robert Koch-Instituts gesetzt ist, täglich einen oder mehrere dieser vier Männer auf verschiedenen Kanälen zu Gesicht bekommt – und davon am nächsten Tag auch noch im Radio hört und in der Zeitung liest.

Die "Gesellschaft für Virologie" mit Sitz in Erlangen hat nach eigenen Angaben circa 1.000 Mitglieder. Hinzu kommt die Deutsche Gesellschaft für Hygiene und Mikrobiologie mit noch mal rund 2.000 Mitgliedern. Ganz zu schweigen von Forscherinnen und Forschern jenseits des deutschsprachigen Raums. Unter all diesen Fachleuten sollen es nur drei oder vier sein, die uns durch diese Corona-Krise begleiten? Wie kommt man dazu? Und warum ausgerechnet diese Personen, die allesamt Männer sind?

Es steht der Öffentlichkeit nicht zu, einzelne Menschen zu herausragenden Repräsentanten einer Fachrichtung zu machen. Erstens fehlt der Öffentlichkeit die Kompetenz dazu. Wir alle sind nämlich in der Mehrzahl keine Virologinnen und Virologen, um das zu beurteilen. Zweitens gibt es eben in der Wissenschaft grundsätzlich keine Erleuchteten, keine Heilsbringer. Es gibt führende Kapazitäten auf bestimmten Gebieten. Es gibt Leiterinnen und Leiter von Institutionen, aber nur weil Leute führende Posten besetzen, sind sie nicht automatisch die Besten ihres Fachs (das ist nicht auf Christian Drosten gemünzt, sondern generell gemeint). Die "Besten" wollen nämlich mitunter nicht ins Wissenschaftsmanagement, keine zusätzlichen Verwaltungsaufgaben übernehmen, wie es Chefs tun müssten. Sie wollen im Labor stehen, sich in Bücher vertiefen, kurz:+ sie wollen forschen – und gegebenenfalls lehren. Eine Formel wie Fachbereichsleiter = bester Mann oder Institutsleiterin = beste Frau, existiert nicht.

Wir müssen mit dem Mythos dieser medialen Erzählung brechen

Folglich ist es völlig daneben, einen Menschen zum "Chef-Virologen" zu ernennen. Wer das tut, hat Wissenschaft und Forschung nicht verstanden. Und nicht nur das: Wer das tut, verzerrt die Realität. Bürgerinnen und Bürger mögen zwar wie immer den Wunsch haben, einfache, klare und eindeutige Aussagen präsentiert zu bekommen. Wissenschaft aber kann das nicht leisten. Es ist ein Mythos der medialen Erzählungen, mit dem wir brechen müssen.

Fachjournalistinnen und Fachjournalisten tun das übrigens: In ihren Magazinen und Sendungen findet man nämlich genau das nicht: immer dieselben Forschenden. Damit räumen sie gleichzeitig ein verbreitetes Argument ab, mit dem Medien ihre Einseitigkeit oft begründen: Interviewpartner müssten redegewandt sein und sich verständlich äußern können. Wenn ein Mensch gut genug für Wissenschaftssendungen ist, taugt er gewiss auch für die eine oder andere Primetime.


Epidemische Coronaviren sind das Fachgebiet von Christian Drosten. Deshalb ist seine Stimme von hoher Bedeutung. Trotzdem bleibt er nur eine herausragende Einzelstimme in einem großen Chor. Also lasst den Mann bitte in Ruhe. Lasst ihn seinen Job machen. Es reicht, wenn er täglich einen Podcast macht. Wozu muss sich jedes Medium noch um ein Interview mit ihm bemühen?

Inzwischen bekommt er, wie fast jeder, der im öffentlichen Fokus steht, auch noch Hassmails. Das ist eine weitere Folge der Vergöttlichung. Jemand habe ihn per Mail für den Freitod des hessischen Finanzminister Thomas Schäfer verantwortlich gemacht, berichtete Drosten diese Woche. Um mit solchen Anfeindungen umzugehen, braucht man ein dickes Felle – und das kann nur über lange Zeit wachsen, wenn überhaupt.

Drostens Medien-Schelte ist richtig

Zeitungen machen Karikaturen von ihm. Wozu muss man von Wissenschaftlern Karikaturen zeichnen und drucken? Karikaturen sollen primär die Mächtigen und herrschenden Klassen aufs Korn nehmen. Aber Drosten ist kein Herrschender. Es ist richtig, wenn er vehement betont, dass die Politik entscheidet, nicht die Wissenschaft! Aus einem einzigen Grund werden von ihm Karikaturen angefertigt: Weil ihn die Öffentlichkeit hypt. Weil ein großes Nachrichtenmagazin zu einem Bild von ihm titelt: "Plötzlich regieren uns Virologen".

Tonspur Wissen" von t-online.de und der Leibniz Gemeinschaft spricht Ursula Weidenfeld jeden Tag mit Experten über Themen rund um das Coronavirus.Hinweis für Podcast-Hörer:

Christian Drosten hat somit recht mit seiner Medienschelte. Einige mögen ihn jetzt für eine Mimose, eine Diva, ein Zicke halten. "Aber er begibt sich doch selbst in die Öffentlichkeit mit seinen Podcasts, seinen TV-Auftritten, seinen Interviews, seinen Social Media-Aktivitäten", sagen manche. Stimmt. Doch niemand weiß im Vorfeld, was es bedeutet, in der Öffentlichkeit zustehen, wenn man einen bestimmten Bekanntheitsgrad überschritten hat; die meisten Menschen werden zufällig Personen des öffentlichen Interesses, nicht weil sie es planen, und erst wenn es so weit ist, erkennen sie die ganzen Dimensionen. Christian Drosten ist innerhalb eines Monats aus dem Nichts an die Spitze der öffentlichen Aufmerksamkeit katapultiert worden. Das kann ihn nicht zum Medienprofi machen. Nach der Corona-Krise werden die Medien Christian Drosten wieder fallen lassen. Niemanden wird er mehr groß interessieren. Einmal von Null auf Hundert und dann von Hundert auf Null. Auch das ist für einen Menschen schwer zu ertragen.

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Für "echte" Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler kann es zudem schädlich sein, große öffentliche Aufmerksamkeit zu haben. Wer mit der Öffentlichkeit anstatt mit einem Fachpublikum kommuniziert, muss Sachverhalte vereinfacht darstellen, damit sie verstanden werden. In der eigenen Zunft bekommt man dadurch schnell den Stempel "mediengeil" aufgedrückt und gilt schnell als Wichtigtuer, als Blender. Das kann einem das Brot- und Buttergeschäft eines Wissenschaftlers (Drittmittelvergabe, Akkreditierung von Studiengängen, Veröffentlichung in Fachmagazinen, Einladung zu Fachtagungen etc.) ziemlich verhageln. Auch aus diesem Grund scheuen viele Koryphäen den Gang an die Öffentlichkeit.

Wir brauchen die "wahren" Experten gegen die "Scharlatane"

Was ist am Ende die Konsequenz daraus? Dass sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nicht mehr öffentlich äußern? Wollen wir das? Nein, wir brauchen sachliche und fachliche Einschätzungen, um uns vernünftige Meinungen bilden zu können, und nicht von "Scharlatanen" in die Irre geleitet zu werden. Ich ärgere mich seit Jahren maßlos darüber, dass die "wahren" Islamexpertinnen sich bedeckt halten, und doch kann ich es ihnen nicht verübeln, wenn sie keine Lust darauf haben, ihre Arbeiten von Medien verzerren oder sich anfeinden, beleidigen und bedrohen zu lassen.

Es kann nicht in unserem Interesse sein, von wertvollen wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht zu erfahren. Wissenschaft und Medien befinden sich in einem heiklen Spannungsfeld. Beide Seiten müssen viel behutsamer und verständnisvoller miteinander umgehen, wenn wir alle profitieren wollen. In der Corona-Krise wird das offenkundig und es wird auch danach noch gelten.

Lamya Kaddor ist Islamwissenschaftlerin, Religionspädagogin, Publizistin und Gründerin des Liberal Islamischen Bunds e.V. (LIB). Derzeit leitet sie ein Forschungsprojekt an der Universität Duisburg-Essen. Ihr aktuelles Buch heißt "Die Sache mit der Bratwurst. Mein etwas anderes deutsches Leben" und ist bei Piper erschienen. Sie können unserer Kolumnistin auch auf Facebook oder Twitter folgen.

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