So kann Deutschland Herr der Corona-Lage werden
Der Teil-Lockdown im November sollte Weihnachten retten. Stattdessen werden angesichts steigender Corona-Zahlen die ZΓΌgel nun nach und nach straffer gezogen. Wird es jetzt wieder so wie im FrΓΌhjahr?
Die Zahlen sinken einfach nicht. Trotz vieler EinschrΓ€nkungen, die in Deutschland besonders seit Anfang November gelten, vermeldet das Robert Koch-Institut (RKI) erst am Donnerstag wieder einen Corona-HΓΆchststand. 23.679 Neuinfektionen binnen eines Tages β so hoch waren die Zahlen zuletzt nicht. Und auch nicht im FrΓΌhjahr, als noch viel strengere Regeln zur EindΓ€mmung der Pandemie galten. Was lΓ€uft schief? Ist das alles zu lasch?
"Die Regeln sind nicht so, dass den Menschen die Dramatik der Lage bewusst wird", sagt Professor Hajo Zeeb vom Leibniz-Institut fΓΌr PrΓ€ventionsforschung und Epidemiologie in Bremen. Viele sΓ€hen nicht mehr die Gefahr, sich anzustecken. Sie hΓ€tten sich an die MaΓnahmen gewΓΆhnt und seien nachlΓ€ssiger. Er plΓ€diert wie auch die Nationale Wissenschaftsakademie Leopoldina fΓΌr einen "harten Lockdown".
Mehr Infektionen, trotzdem weniger MaΓnahmen
RΓΌckblick auf Mitte MΓ€rz: Das ΓΆffentliche Leben in Deutschland kommt weitgehend zum Stillstand. Die meisten GaststΓ€tten, LΓ€den und Dienstleister dΓΌrfen keine Kundschaft empfangen. Nur LebensmittelgeschΓ€fte, Drogerien, Apotheken, Tankstellen und Banken sind offen. In den Werken groΓer deutscher Autobauer wie VW und BMW kommt es wegen der Ansteckungsgefahr zum Produktionsstopp.
Γber Wochen dΓΌrfen sich damals nicht mehr als zwei Menschen aus verschiedenen Haushalten treffen. Die Grenzen zu den Nachbarn sind abgeriegelt. Als die meisten Schulen und Kitas geschlossen werden, ist die Zahl der TodesfΓ€lle in Deutschland noch einstellig, bundesweit bestΓ€tigt das RKI seinerzeit rund 3.000 Ansteckungen. Erst nach Ostern gibt es schrittweise wieder Lockerungen.
Und heute? Rund 20.000 Menschen sind hierzulande im Zusammenhang mit einer Corona-Infektion gestorben, Hunderte weitere kommen tΓ€glich dazu. Den Menschen allerdings stehen aktuell noch so einige FreirΓ€ume offen. Zwar sind Kultur-, Sport- und GaststΓ€tten fΓΌr die Γffentlichkeit auch jetzt wieder groΓteils gesperrt. Doch ΓΆffnen bisher noch alle GeschΓ€fte fΓΌr den Weihnachtseinkauf, Arbeiter stehen weiter an den FlieΓbΓ€ndern, Berufspendler drΓ€ngeln sich in teils ΓΌberfΓΌllte Busse und Bahnen. Und ins Dauerthema Schulen kommt erst allmΓ€hlich Bewegung. Der Begriff dafΓΌr: "Lockdown light".
"Das hat nicht geklappt"
WΓ€hrend also im FrΓΌhjahr eine MaΓnahmen-Decke ΓΌber ganz Deutschland gelegt wurde, wollten Bund und LΓ€nder von November an ΓΌber gezielte Nadelstiche vor allem die Freizeit-Kontakte der Menschen reduzieren β ohne dabei Wirtschaft und Bildung herunterzufahren. "Das hat aber nicht geklappt", sagt Zeeb. Um das Infektionsgeschehen halbwegs in den Griff zu bekommen, geht er davon aus, dass jeder seine Kontakte auf ein Viertel reduzieren mΓΌsse. Das sei mit den gegenwΓ€rtigen MaΓnahmen allerdings nicht geschehen, konstatiert der Epidemiologe.
Die ersten BundeslΓ€nder greifen nun zu hΓ€rteren MaΓnahmen. Im Hotspot Sachsen etwa sollen von kommender Woche an Schulen und Kitas schlieΓen. Γffnen dΓΌrfen dann nur noch LebensmittellΓ€den und GeschΓ€fte fΓΌr den Grundbedarf wie Apotheken, Drogerien und Friseure. Berlin will zwar auch das Shoppen einstellen, aber erst kurz vor dem Weihnachtsfest.
RKI-PrΓ€sident Lothar Wieler fordert die Menschen unabhΓ€ngig von Vorgaben aus der Politik auf, ihre Kontakte weiter einzuschrΓ€nken: um mehr als 60 Prozent. Bislang seien im Schnitt aber nur etwa 40 Prozent erreicht worden. Auch er sieht eine "gewisse ErmΓΌdung" in der BevΓΆlkerung. Das Risikobewusstsein habe sich teilweise verΓ€ndert.
Teil-Lockdown dΓ€mpfte Hoffnungen
StΓΌck fΓΌr StΓΌck haben sich in den vergangenen Monaten viele wieder mehr Kontakte erlaubt. Dazu kommt noch, dass es einer reprΓ€sentativen Umfrage zufolge fΓΌr etwa jeden siebten BundesbΓΌrger keine eindeutigen Beweise fΓΌr die Existenz des Coronavirus gibt. Bei ihnen ist die Bereitschaft, sich an Corona-Regeln zu halten, womΓΆglich nicht so ausgeprΓ€gt. Unter dem Strich hΓ€nge die Entwicklung "in hohem MaΓe damit zusammen, wie wir alle uns verhalten", sagt RKI-Chef Wieler.
Weihnachten steht vor der TΓΌr, und viele wΓΌnschen sich nach einem Jahr groΓer Entbehrungen nun endlich ein Zusammenkommen mit Familie und Freunden. Die Politik machte zunΓ€chst auch Hoffnung: Der Teil-Lockdown im November kΓΆnne das Weihnachtsfest retten, hieΓ es. Doch einige BundeslΓ€nder sind von Lockerungen ΓΌber die christlichen Festtage inzwischen abgerΓΌckt. "Der Teil-Lockdown hat nicht das gebracht, was er bringen sollte", sagt Epidemiologe Zeeb.
Leopoldina forderte harten Lockdown
Das Ziel kann nur lauten: Die Neuinfektionen mΓΌssen sinken. "Es ist viel einfacher, die Fallzahlen zu kontrollieren, wenn sie niedrig sind, als wenn sie hoch sind", sagte die GΓΆttinger Physikerin Viola Priesemann vom Max-Planck-Institut fΓΌr Dynamik und Selbstorganisation am Mittwoch bei "Markus Lanz" im ZDF. MaΓnahmen scheibchenweise zu beschlieΓen, bringe nichts. Priesemann ist Mitglied des Expertenteams der Nationalen Wissenschaftsakademie Leopoldina.
Diese hatte jΓΌngst in einer eindringlichen Stellungnahme eine drastische VerschΓ€rfung der BeschrΓ€nkungen gefordert β am besten so schnell wie mΓΆglich. Ein "harter Lockdown" solle genutzt werden, um die deutlich zu hohen Neuinfektionen zu verringern. Epidemiologe Zeeb mahnt, ein solcher Lockdown solle nicht dem Winterschlaf dienen, sondern dazu genutzt werden, langfristige Strategien zu entwickeln. Die Hoffnung auf einen baldigen Start der Impfungen kΓΆnne nicht der alleinige Ausweg sein.