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Sachsen: Wie nah sind die Krankenhäuser dem Kollaps?


Überlastete Intensivstationen
Triage in Sachsen? Klinik spricht von "Missverständnis"

Von dpa, sje

16.12.2020Lesedauer: 5 Min.
Corona-Intensivstation: In Sachsen wird die Lage immer kritischer (Symbolbild).Vergrößern des BildesCorona-Intensivstation: In Sachsen wird die Lage immer kritischer (Symbolbild). (Quelle: Bodo Schackow/dpa)
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Ein t-online-Bericht sorgt für Aufregung: In Zittau musste schon mehrfach triagiert werden, sagt der ärztliche Direktor der dortigen Klinik. Ein Missverständnis, erklärt der Träger – doch die Lage ist mehr als kritisch.

Am Tag, als Deutschland in den zweiten Lockdown geht und einen traurigen Höchstwert von 952 Corona-Toten meldet, wird in Sachsen ein Schreckenswort laut: Triage. Dr. Mathias Mengel, Ärztlicher Direktor des Klinikum Oberlausitzer Bergland gGmbH, erklärte in einem Videoforum am Dienstagabend, dass im Krankenhaus Zittau schon mehrfach triagiert werden musste. Triage bedeutet, dass Ärzte bei knappen Ressourcen entscheiden müssen, wem sie zuerst helfen.

Der Ärztliche Direktor des Klinikums, Mathias Mengel, sagte zu t-online: "Wir waren in den vergangenen Tagen schon mehrere Male in der Situation, dass wir entscheiden mussten, wer Sauerstoff bekommt und wer nicht." Es werde versucht, die Patienten, für die es keine Versorgung gibt, in eine andere Klinik zu verlegen. "Aber wir sind im Epizentrum, manche Häuser nehmen gar nicht mehr auf." Die Entscheidung könne auch bedeuten, dass es für einen nicht verlegungsfähigen Patienten dann keine entsprechende Hilfe mehr gebe.

Klinik-Träger widerspricht Triage-Bericht

Das Oberlausitzer Bergland-Klinikum äußert sich zu den die Schilderungen des Arztes am Mittwoch nicht eindeutig. Stattdessen betont die Klinik: Die Lage ist kritisch. Es erklärt, dass alle Patienten, die in die beiden Krankenhäuser kommen, "die bestmögliche Therapie" erhielten. Sollten die Corona-Stationen keine Patienten mehr aufnehmen können, würden die Erkrankten in umliegende Krankenhäuser geflogen. Die Klinik fügt hinzu: Sollte das auch nicht mehr möglich sein, verschärfe sich die ohnehin angespannte Situation deutlich.

Gegenüber "Bild" erklärte eine Sprecherin, bei den Triage-Berichten habe es sich um ein "Missverständnis" gehandelt. Es sei nicht dazu gekommen, dass Patienten nicht oder nicht mehr beatmet wurden.

Landkreis Görlitz einer der deutschen Corona-Hotspots

Der Landkreis Görlitz, in dem Zittau liegt, ist einer der Corona-Hotspots in Deutschland. Das sächsische Gesundheitsministerium beziffert die Sieben-Tages-Inzidenz, also den Wert an Neuerkrankungen je 100.000 Einwohner binnen einer Woche, am Mittwoch auf 532,6. In ganz Sachsen sind es 407, was mehr als doppelt so hoch wie im Bundesdurchschnitt ist.


Aber Triage in Sachsen? Es werden Erinnerungen an das Frühjahr wach, als im italienischen Bergamo die Kliniken über ihre Belastungsgrenzen gerieten und Corona-Patienten nicht mehr helfen konnten. Auch Sachsen nahm damals Patienten aus Italien auf, um das Land zu unterstützen.

Koordiniert werden die Kapazitäten in Ostsachsen von einer Krankenhausleitstelle, die am Uniklinikum Dresden angesiedelt ist. Sie wurde geschaffen, um eine Situation wie in Bergamo zu verhindern. In den vergangenen Tagen hätten "verstärkt" Patienten aus den Landkreisen Bautzen und Görlitz in entferntere Krankenhäuser verlegt werden müssen, sagt der Chef der Leitstelle, Christian Kleber.

Leitstelle: Keine Triage in Sachsen

Später betont die Leitstelle: Kein Krankenhaus in Sachsen sei bisher in der Situation eine Triage vornehmen zu müssen, bei der es darum geht, dass möglichst viele Patienten überleben – um den Preis, das andere Patienten sterben müssten. Es gebe noch freie Intensiv- und Normalstationsbetten in Sachsen.

Allerdings liefen die Krankenhäuser in Ost- und Westsachsen "klar in eine Überlastung hinein, die zum Kollaps der Versorgung führen kann", wenn die Zahl der Neuinfektionen nicht sinkt. Bisher hätten Patienten nur in Einzelfällen verlegt werden müssen. Leitstellen-Chef Kleber fügt jedoch hinzu: "Es ist aber davon auszugehen, dass die Zahl dieser Fälle in den kommenden Tagen noch weiter zunehmen wird."

Spahn: "Teilweise Überlastung in den einzelnen Kliniken"

Ähnlich schätzt auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn die Lage ein. Auf eine entsprechende Frage in einem ZDF-"spezial" sagte der CDU-Politiker am Mittwochabend: "Ja, es können alle Patientinnen und Patienten versorgt werden, aber eben unter größter Belastung und teilweise auch Überlastung in den einzelnen Kliniken".

Man habe eine unterschiedliche Lage in Deutschland, sagte Spahn. "Besonders in Sachsen auch ein sehr sehr hohes Infektionsgeschehen, auch eine im Schnitt ältere Bevölkerung, damit mehr schwere und schwerste Verläufe, und das macht zum Beispiel auch schon das Verlegen von Patienten von einer Klinik zu einer anderen notwendig, um Kapazitäten freizuhaben." Die Lage sei sehr angespannt und "das zeigt eben, es war, ist und bleibt richtig", die härteren Einschränkungen beschlossen zu haben.

Der Ministerpräsident von Sachsen, Michael Kretschmer, sagte am Mittwoch: "Die Wortmeldung aus Zittau ist ein Hilferuf." Er verwies auf die "geltenden ethischen und medizinrechtlichen Standards". Danach werde in Zittau und überall in Sachsen gearbeitet, sagte der CDU-Politiker am Mittwoch in Dresden. Es gebe keine Covid-19-Regeln, die davon abweichen würden. Der medizinischen Behandlung liege immer eine individuelle Abwägung zugrunde.

Triage nicht gesetzlich geregelt

In Deutschland ist die Triage umstritten. "Das liegt vor allem daran, dass sie gesetzlich nicht geregelt ist", sagt Medizinethiker Dieter Birnbacher. Seiner Meinung nach sollten Triage-Entscheidungen auf zwei Kriterien beruhen: "Erstens muss ein gleicher Zugang für alle gelten, unabhängig vom Alter. Aber auch die klinische Erfolgsaussicht einer Behandlung muss berücksichtigt werden". Patienten, deren Erfolgsaussichten gering seien, würden also benachteiligt behandelt.


Kritikern, die die Triage als Straftat erachten, entgegnet Birnbacher, dass es sich nicht um aktive Tötung handle. "Hier findet ja lediglich der Verzicht auf eine Behandlung statt." Und zwar nicht aus dem Grunde, dass man konkret Andere schützen will. "Es geht darum, knappe Ressourcen so einzusetzen, dass ein Maximum an Lebenszeit dadurch gerettet wird", so der Experte.

Vereinigung für Intensivmedizin: Noch Kapazitäten vorhanden

Die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi) und weitere Experten sehen aktuell noch Kapazitäten auf den deutschen Intensivstationen. Man stehe derzeit nicht an dem Punkt, Priorisierungen von Patienten vornehmen zu müssen, erklären die Divi und die Fachgruppe Intensivmedizin, Infektiologie und Notfallmedizin beim Robert Koch-Institut (RKI) in einer gemeinsamen Stellungnahme.

Auch für den Fall einer möglichen regionalen Überlastung von Kliniken sei bereits seit einiger Zeit geregelt, dass Patienten innerhalb Deutschlands verlegt werden können, betonen sie. Und weil spätestens ab Montag durch die Feiertage keine planbaren OPs mehr durchgeführt würden, sei mit Entlastung für die Intensivstationen zu rechnen.

Zittauer Oberbürgermeister: Leistungsgrenze überschritten

Der Zittauer Oberbürgermeister schlägt dennoch Alarm: Die Krankenhäuser der Region hätten aktuell ihre Leistungsgrenze überschritten, teilte Thomas Zenker mit. Für die Verlegung von Patienten in andere Krankenhäuser sei schnelle Hilfe nötig. Die Kapazitäten der regionalen Rettungsdienste reichten dafür nicht mehr aus.

"Es ist klar erkennbar, dass wir in dieser Lage aus eigener Kraft nicht weiterkommen", erklärte der Stadtchef. Zudem forderte er die Bevölkerung zum Zusammenhalt auf. Nach wie vor gebe es Gruppen, die Corona als große Verschwörung darstellten. Damit müsse nun genug sein, verlangte er. Es sei an der Zeit, endlich gemeinsam daran zu arbeiten, die Krise abzuwenden.

Verwendete Quellen
  • Nachrichtenagentur dpa
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