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Corona-Krisengebiet Sachsen: Wieso die Lage hier besonders dramatisch ist


"Vom Musterschüler zum Schlusslicht"
Die Gründe für Sachsens Corona-Desaster

Von Anja Keinath

Aktualisiert am 19.12.2020Lesedauer: 3 Min.
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Der Neumarkt mit Frauenkirche in Dresden: In ganz Sachsen sind die Corona-Zahlen aktuell bedenklich hoch.Vergrößern des Bildes
Der Neumarkt mit Frauenkirche in Dresden: In ganz Sachsen sind die Corona-Zahlen aktuell bedenklich hoch. (Quelle: Mario Aurich/imago-images-bilder)

Sechs der zehn am stärksten von Corona betroffenen Landkreise in Deutschland liegen in Sachsen. Dabei war hier die Situation lange entspannt. Doch jetzt ist das Infektionsgeschehen außer Kontrolle.

"Vom Musterschüler zum Schlusslicht" – so beschreibt Prof. Dr. Markus Scholz, Epidemiologe an der Universität Leipzig, Sachsens drastischen Wandel in der Corona-Krise. Im Frühjahr gab es hier nur wenig Infektionen, doch jetzt sind die Zahlen in die Höhe geschossen.

Von allen Bundesländern hat Sachsen mittlerweile den mit Abstand höchsten Inzidenzwert. Die Zahl der Neuerkrankungen binnen einer Woche je 100.000 Einwohner liegt seit Mittwoch über 400. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) sprach von einer "extrem angespannten Situation". Die Pandemie in Sachsen sei derzeit nicht im Griff. Doch wieso spitzt sich die Lage gerade hier so dramatisch zu?


Nachzuvollziehen, wie sich so viele Menschen anstecken konnten, ist schwierig. Denn: "In 80 Prozent der Fälle weiß man gar nicht, wo die Ansteckungen passiert sind", sagt Scholz. Fest steht laut dem Experten aber, dass gerade dort, wo viele fremde Menschen aufeinandertreffen, die Kontakte nicht nachverfolgt werden können. Wie etwa auf Weihnachtsmärkten, die im November in Sachsen noch stattfinden durften.

Dort werden oft die Abstände nicht eingehalten, sagt Scholz. Und weil die Personen sich untereinander nicht kennen, wisse man nicht, wo man sich angesteckt hat. Insbesondere dann, wenn die Gesundheitsämter in manchen Regionen Kontakte immer noch mit Stift und Papier verfolgen – das sei viel zu langsam, meint Scholz.

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Nähe zu Polen und Tschechien

Joachim Klose, Landesbeauftragter und Leiter des Politischen Bildungsforums Sachsen an der Konrad-Adenauer-Stiftung, sieht vor allem drei Gründe für die hohen Fallzahlen: "Die geografische Lage, die Altersstruktur der Sachsen und das Protestverhalten gegen staatliche Maßnahmen."

Sachsen grenzt an Polen und Tschechien, zwei Staaten, die stark von der Corona-Krise betroffen sind. Pendler aus den beiden Nachbarländern bringen das Virus nach Sachsen, erklärt Klose. Gerade in der Pflege und der Gastronomie arbeiten viele Polen und Tschechen. Und das führt laut dem Epidemiologen Scholz zu einem regelrechten Superspreading.

Eine weitere Ursache ist das hohe Alter der Sachsen. Gerade im Osten des Bundeslandes wandern viele junge Menschen aus den ländlichen Regionen ab. "Die Alten bleiben zurück und das sind diejenigen, die geringere Abwehrkräfte haben und besonders stark vom Virus betroffen sind", sagt Klose. Epidemiologe Scholz gibt Klose recht. Er spricht von Studien, die zeigen, dass sich ältere Menschen auch bei gleicher Anzahl von Kontakten schneller infizieren als jüngere.

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Dazu kommt, dass sich viele Sachsen möglicherweise nur sporadisch an die Corona-Maßnahmen halten: Im ersten Lockdown waren die Fallzahlen vergleichsweise niedrig und ein lockerer Umgang mit den Corona-Regeln war ausreichend. Doch jetzt sind die Zahlen eben viel höher.

Erneute Demonstration am Samstag

Als weiteren Infektionstreiber sieht Klose die Querdenker-Demonstrationen. Anfang November etwa kamen Tausende in Leipzig zusammen, um gegen die Anti-Corona-Maßnahmen zu demonstrieren. Kaum jemand trug eine Maske, Abstände wurden nicht eingehalten.

Hat die Politik versagt? Nein, meint Klose. Denn die könne in einer offenen Gesellschaft nur appellieren. "Letztlich liegt es an den Bürgern selbst, die Regeln einzuhalten", sagt er. Allerdings habe die Politik die Heftigkeit der zweiten Welle unterschätzt, kritisiert Klose. "Darauf hätte sie sich besser vorbereiten müssen".

Für Samstag ist eine weitere Querdenker-Demo in der Landeshauptstadt Dresden geplant. Der Epidemiologe Ralf Reintjes von der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg befürchtet, dass sich die Teilnehmer wieder nicht an die Abstandsregeln halten werden. Das könnte die Situation verschlimmern. Die Hoffnung aber gibt Reintjes nicht auf. Zwar sei es schwierig vorherzusagen, wie sich die Situation weiterentwickelt. Aber: "Die starken Kontaktbeschränkungen sind ein erster Schritt."

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Telefoninterviews mit Experten
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