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EM 2021: Die hässliche Seite des Fußballs


Europameisterschaft
Die hässliche Seite des Fußballs

  • Lamya Kaddor
MeinungVon Lamya Kaddor

Aktualisiert am 24.06.2021Lesedauer: 6 Min.
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Der ungarische Torwart Péter Gulácsi verabschiedet sich nach dem Spiel gegen Deutschland von den Fans: Um Gewalt nach dem Spiel zu vermeiden, ist auch die Polizei im Stadion.Vergrößern des Bildes
Der ungarische Torwart Péter Gulácsi verabschiedet sich nach dem Spiel gegen Deutschland von den Fans: Um Gewalt nach dem Spiel zu vermeiden, ist auch die Polizei im Stadion. (Quelle: dpa)

Fußball heißt auch Frauenfeindlichkeit, Homophobie, Rassismus. Groß ist die Aufregung über Regenbogen-Arenen, über die Sportmoderatorinnen von ARD und ZDF. Manches davon ist nur eines: heuchlerisch.

Der Fußball ruft das Schönste, aber auch das Hässlichste in uns hervor. Fußball-EM heißt auch mieses Frauen-Bashing: Frauen haben keine Ahnung vom Spiel, kein Taktikverständnis, sind schlecht vorbereitet, können die Spielernamen nicht korrekt aussprechen und so weiter. Sie sind völlig drüber und ihre Stimmen sind unerträglich. Trotzdem lassen ARD und ZDF sie die EM-Sendungen moderieren und kommentieren. Zu Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg, sechsmal deutsche Meisterin, viermal DFB-Pokalsiegerin, viermal Europameisterin, Vizeweltmeisterin, seit 13 Jahren Trainerin, fallen Sätze wie: "Was soll diese Expertin in der Runde? Die hat nie Fußball gespielt, nur Frauenfußball." Dreist.

Feigenblatt für sexistische Einstellungen

Alle Journalistinnen am Mikro bekommen ihr Fett weg: Seien es Claudia Neumann, Ariane Hingst, Katrin Müller-Hohenstein, deren Sachverstand Jogi Löw explizit lobt, oder Jessy Wellmer. Und nicht nur in Deutschland, in anderen Ländern sieht es oft ähnlich aus, wie die Norwegerin Lise Klaveness beweist.

Es geht um Aussehen, Alter und sexuelle Fantasien. Die einen schimpfen über "dröge ältliche Moderatorinnen", andere ätzen: "Die Moderatorinnen sollten mal lieber Ballett moderieren" oder fantasieren: "Kann es sein, dass Jessy Wellmer auf Schweinsteiger steht?" Und als Feigenblatt für ihre sexistischen Einstellungen muss dann Nationaltorhüterin Almuth Schult herhalten. Ihr gesteht die fachkundige Fußball-Männerwelt meist gnädigerweise Kompetenz zu – freilich nicht alle: "Ich bleibe dabei, Almuth Schult ist eine ganz große Dummschwätzerin."

Die Botschaft an ARD und ZDF hier ist klar: Schmeißt die Frauen raus! Bekräftigt wird die Forderung mit der naiven Drohung, zur privaten Konkurrenz von Magenta TV zu wechseln, wo angeblich alles besser ist; nur um beim nächsten Spiel wieder über ARD und ZDF zu motzen.
Ja, es ist immer dasselbe. Das war 2016 und 2018 nicht anders. Über Frauen, insbesondere über Claudia Neumann, wird kübelweise verbaler Unflat ausgekippt. Über Qualität lässt sich streiten, über Fußball-Kommentierung wird gestritten, seit es sie gibt.

Geschmacklose Kommentare gegen Neumann

Es wird auf alle geschimpft: weil sie angeblich parteiisch sind, weil sie sich in der Welt ihrer eigenen Sprachbilder verirren, Situationen falsch einschätzen. Die Herausforderung, 90 Minuten lang oder mehr aufmerksam ein Spiel zu verfolgen und live zu kommentieren, zugleich Geschehnisse am Spielfeldrand zu erfassen, bisweilen improvisieren zu müssen, Zusatzinformationen parat zu haben, dabei unterhaltsam und verständlich zu sein, wird so gut wie nie gewürdigt.
Gewiss kann man auch Claudia Neumann kritisch beleuchten. Der Sportsoziologe Gunter Gebauer beispielsweise hält sie für kompetent und sachlich und ihre Stimme für angenehm.

Ein Kommentar der "Rheinischen Post" stellte ihr dagegen ein "mangelhaftes Zeugnis" aus und kreidete ihr diverse Fehler an. Und dennoch hat die "Kritik" an Claudia Neumann eine andere Qualität. Der Grad der Gehässigkeit ist höher, die schiere Anzahl an geschmacklosen Kommentaren ist größer, Bemerkungen zu körperlichen Merkmalen fallen häufiger. Das passiert mit Frauen so, seit Carmen Thomas, die erste Sportmoderatorin im deutschen TV, 1973 "Schalke 05" sagte und die Männerwelt landesweit in Rage geriet. 50 Jahre später haben offenkundig viele Männer nichts dazugelernt. Bei der Zusammenfassung der Partie Finnland gegen Belgien am Montag bezeichnete der Reporter eine komplette Angriffsszene lang die Finnen als "die Belgier". Was glauben Sie, was los gewesen wäre, wenn Claudia Neumann dieser Fauxpas unterlaufen wäre?

Frauen, die durch den Sturm gehen

"Hört doch nicht auf die paar frauenfeindlichen Idioten", heißt es nun. "Warum hebt ihr die Spinner so hervor?" Leider ist es wie beim Thema Rassismus: Die, die sich so äußern, markieren nur die Spitze des Eisbergs. Angesichts oftmals fehlenden Widerspruchs kann davon ausgegangen werden, dass weitere Menschen ähnlich denken. Es fehlt ihnen aber der Mut, es auszusprechen. Darüber hinaus nehmen viele die frauenfeindlichen Äußerungen wahr und fangen irgendwann an – steter Tropfen höhlt den Stein –, daran zu glauben oder zumindest ins Grübeln zu geraten. Wie viele Beschäftigte beim ZDF, das seine Moderatorinnen bisher nach Kräften verteidigt, meinen wohl heimlich, Claudia Neumann sei tatsächlich besonders schlecht? Bei ihr dürfte allein der Gedanke an diese Frage für Verunsicherung sorgen.

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Daher bin ich ihr und allen andere Fußball-Fachfrauen zutiefst dankbar, dass sie trotzdem die Kraft aufbringen und weitermachen. Sie ertragen die Hetze oder blenden sie aus. Sie sind bereit dazu, mehr zu leisten als Männer, und akzeptieren, dass auf sie kritischer geschaut wird und ihre Fehler schwerer gewichtet werden. Es muss Frauen wie sie geben, die durch den Sturm gehen. Sonst ändert sich nie etwas.

Selbst für die AfD zu viel

Dabei ist das bitter nötig. Die Feindseligkeit in der Gesellschaft greift weiter um sich: Für die einen sind es Frauen, die beim Männerfußball nicht ins TV gehören, für die anderen sind es die "Ausländer", die nicht in die Nationalmannschaft gehören. Für wieder andere sind die Schwulen und Lesben das Feindbild. Die regenbogenfarbene Kapitänsbinde von Nationaltorwart Manuel Neuer, mit der er ein Zeichen gegen Homophobie und für sexuelle Vielfalt setzt, wurde vom ehemaligen Oberstleutnant und AfD-Politiker Uwe Junge als "Schwuchtelbinde" bezeichnet. Das war, auch wenn sie sonst freiheraus von "Kopftuchmädchen und alimentierten Messermännern und sonstigen Taugenichtsen" spricht, selbst für die AfD-Spitzenkandidaten Alice Weidel zu viel. Die bekennend lesbische Politikerin fordert nun den Austritt von Uwe Junge aus der Partei.

Ich habe es schon oft gesagt: Es beginnt in der Regel mit der rassistischen Ausgrenzung von "Ausländern", dann folgen unweigerlich andere gesellschaftliche Gruppen, bis am Ende niemand im Land mehr sicher ist. Wer wie Alice Weidel mit dem Feuer spielt, kommt darin um.
Die hässlichen Seiten des Fußballs legen solche inneren Widersprüche ebenso schonungslos offen wie die verbreitete Heuchelei. Die Uefa fährt seit Jahren Anti-Rassismus-Kampagnen. Doch sie muss erst "prüfen", ob Manuel Neuer die Armbinde tragen darf, und verbietet dann der Stadt München, die Allianz Arena beim Spiel Deutschland-Ungarn in Regenbogenfarben erleuchten zu lassen.

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Humanität und Menschenwürde

Das ist nicht nur inkonsequent, sondern wirft die Frage auf, ob es der Uefa mit ihren Kampagnen überhaupt um den Phänomenbereich Ausgrenzung geht oder doch nur um PR in eigener Sache: Anti-Rassismus ist schließlich gerade en vogue.

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Die Uefa argumentiert, die beleuchtete Arena hätte sich gegen eine ungarische Parlamentsentscheidung gerichtet. So etwas sei aufgrund der gebotenen politischen und religiösen Neutralität der Uefa nicht erlaubt. Ja, Sport ist unpolitisch und muss es bleiben. Aber für die Akzeptanz homosexueller Lebensweisen zu werben, hat nichts mit Politik zu tun, sondern einzig und allein mit Humanität und Menschenwürde. Wenn Ungarns Regierung daraus Politik macht, ändert das nichts an dieser Sachlage. Niemand hat Ungarns Regierung das Recht verliehen, die Maßstäbe zu setzen. Oder will sich die Fußballwelt nächstes Jahr von WM-Gastgeber Katar diktieren lassen, was Politik ist und was nicht?

Würde ein Land analog zu Ungarn den Beschluss fassen, Schülerinnen und Schüler sollten nicht mehr über Rassismus oder Antisemitismus informiert werden, dürfte man, folgt man der Logik der Uefa, auch dagegen kein Zeichen mehr setzen. Das Knien einiger Teams vor dem Anpfiff müsste verboten werden, denn das wäre nach Uefa-Lehre dann ebenfalls Politik. Das einzig Positive an der Idee einer Super League mit Europas Topklubs wäre die Entmachtung der Uefa gewesen.

Weibliche Kommentatorinnen beim Achtelfinale

Frauenfeindlichkeit, Homophobie, Rassismus, Raubtierkapitalismus – bei den hässlichen Seiten des Volkssports Fußball darf man nicht schweigen, sondern muss aktiv dagegenhalten. Das gilt für alle und fortdauernd, denn wir sind eins, wir sind eine Gesellschaft und wir müssen miteinander klarkommen. Wer sich jetzt nur über Ungarn echauffiert und dabei so zu tut, als seien wir in Deutschland so tolerant, ist scheinheilig und verlogen. Nur zum Spiel Deutschland-Ungarn Stadien bundesweit aus Solidarität regenbogenfarbig anzustrahlen, reicht nicht. Das beweist DFB-Interimspräsident Rainer Koch, der die Uefa-Entscheidung ebenso wie Ungarn prompt verteidigt, und die Tatsache, dass aktive Bundesligaspieler bis heute Angst davor haben, sich zu outen.

Andere Spielerinnen und Spieler sollten Manuel Neuer nacheifern, weitere Teams sollten knien. Die Medien sollten verstärkt auf weibliche Sportjournalistinnen setzen. Erst zur vorletzten Bundesligasaison 2019/2020 kam mit der Sportreporterin Stephanie Baczyk die erste Frau ins Kommentatoren-Team der "Sportschau". Unglaublich. Je mehr Kritik, desto mehr gilt: Jetzt erst recht. Ich fordere deshalb, weibliche Kommentatorinnen beim Achtelfinale der DFB-Elf gegen England und beim EM-Finale einzusetzen. Ich weiß, die Forderung wird verhallen. Vorerst.

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Lamya Kaddor ist Islamwissenschaftlerin, Religionspädagogin, Publizistin und Gründerin des Liberal-Islamischen Bunds e.V. (LIB). Derzeit leitet sie ein Forschungsprojekt an der Universität Duisburg-Essen und ist Kandidatin der Grünen für den Bundestag. Ihr aktuelles Buch heißt "Die Sache mit der Bratwurst. Mein etwas anderes deutsches Leben" und ist bei Piper erschienen.

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