Diskussion um Regenbogen-Stadion Viktor Orbán und sein gefährliches Homosexuellen-Gesetz
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Alle reden darüber, aber was steht eigentlich genau in dem Gesetz, das sich in Ungarn gegen die Repräsentanz von Homosexuellen richtet? Es ist schwammig formuliert – und gerade deswegen besonders gefährlich.
Die Welt diskutiert darüber, ob das Münchner Stadion in Regenbogenfarben erstrahlen soll – aus Protest gegen ein Gesetz in Ungarn. Aber worum geht es dabei eigentlich? Was ist das Problem? Ein Überblick:
Worum geht es in dem Gesetz?
Das Gesetz war von der Fidesz-Partei des rechtsnationalistischen Regierungschefs Viktor Orbán eingebracht worden, Mitte Juni ist es vom Parlament verabschiedet worden. Es ist weit und schwammig formuliert – und deswegen auch weit auslegbar.
Das Gesetz schränkt Aufklärungs- und Informationsrechte in Bezug auf Homosexualität ein, in vielen Punkten hat es speziell Kinder und Jugendliche im Blick. An Schulen soll demnach nicht mehr über Homosexualität aufgeklärt werden dürfen. Nur noch von der Regierung ausgewählte Organisationen sollen zur Sexualaufklärung Vorträge in Schulen halten dürfen.
Es verbietet außerdem die "Werbung" für Homosexualität als Normalität oder die Diskussion über Geschlechtsumwandlungen in Formaten, die Kindern und Jugendlichen zugänglich sind. Werbe-Clips, in denen gleichgeschlechtliche Paare auftreten, sind damit eindeutig verboten. Ungarische Sender befürchten außerdem, dass das Gesetz noch sehr viel weiter greifen könnte und die Regierung so auch Serien und Filme auf Verbotslisten setzen könnte, in denen homosexuelle Lebenswirklichkeiten gezeigt werden.
Auch das Zeigen der Regenbogenfahne in der Öffentlichkeit könnte nun prinzipiell schon strafbar sein, warnen Kritiker. Ungarn-Experte Keno Verseck sagte dem Deutschlandfunk: "Wenn eine Ermittlungsbehörde das will, dann könnte sogar das Zeigen einer Regenbogenfahne in der Öffentlichkeit oder eine Firma, die damit Reklame betreibt, verboten werden."
De facto taugt das weit formulierte Gesetz also, homosexuelle Lebenswirklichkeiten ganz aus der Öffentlichkeit zu radieren. In der aktuell international entbrannten Diskussion versucht Viktor Orbán allerdings einen anderen Eindruck zu erwecken: "Auch in Budapest gehören die Regenbogenfarben selbstverständlich zum Straßenbild", teilte er am Mittwoch in einem Statement zur Uefa-Debatte mit.
Was bezwecken Orbán und die Fidesz-Partei damit?
Ursprünglich enthielt das Gesetz gar keine Passagen zu Homosexualität, sondern sollte zu Strafverschärfungen für Pädophile führen. Orbáns Regierung wollte so auf einen Pädophilie-Fall in der ungarischen Politik reagieren, der für großen Unmut in der Bevölkerung gesorgt hatte.
Auf dem Rechner des ungarischen Botschafters in Peru, Gábor Kaleta, waren 19.000 missbräuchliche Bilder von Kindern gefunden worden, die Strafe für den Mann im Sommer 2020 fiel allerdings niedrig aus: ein Jahr Haft auf Bewährung und eine Geldstrafe von umgerechnet 1.500 Euro. Das sorgte für massive Proteste.
Das Gesetz für die Strafverschärfung zur Pädophilie verquickte die Fidesz-Partei dann allerdings mit dem Thema Homosexualität. In vielen Passagen wird Homosexualität mit Pädophilie oder Pornografie gleichgesetzt. Im Herbst 2020 behauptete Orbán: "Ungarn ist sehr tolerant und geduldig gegenüber Homosexuellen.“ Aber es gebe eine rote Linie. "Die darf man nicht überschreiten: Lasst die Kinder in Ruhe."
Experten bewerten den perfiden Vorstoß als Schachzug der Partei, mit Homophobie und dem Agieren gegen Identitätspolitik neue Wählergruppen zu erschließen. Politik gegen die Aufnahme von Flüchtlingen – sonst eines der Hauptthemen der ungarischen Regierungspartei – erlebe gerade eine Flaute.
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Die ungarische Regierung folgt mit dem vermeintlichen Anti-"Propaganda"-Gesetz außerdem dem russischen Vorbild. Russland hatte bereits zwischen 2003 und 2013 regional und dann landesweit Gesetze eingeführt, die "Propaganda" für Homosexualität gegenüber Minderjährigen verbieten. In Russland kann seitdem bestraft werden, wer sich in Anwesenheit Minderjähriger positiv über Homosexualität äußert.
Welche anderen homophoben Gesetze gelten in Ungarn?
Es ist nicht der erste Gesetzesvorstoß der Fidesz-Partei, der sich gegen sexuelle Minderheiten wendet. Im Dezember 2020 verabschiedete das Parlament mit den Stimmen der Regierungsmehrheit eine Verfassungsnovelle, die Homosexuellen die Adoption von Kindern verbietet.
"Der Vater ist Mann, die Mutter ist Frau", heißt es in dem Gesetzestext. Und: Das Geschlecht eines Kindes sei bei der Geburt festgelegt und unveränderbar. Transgeschlechtliche Menschen dürfen ihren Geschlechtseintrag in Ausweisen nicht ändern lassen – selbst nach einer Angleichung des Körpers an die Geschlechtsidentität.
Wie reagierten andere Parteien und die Bevölkerung auf das Gesetz?
Das Gesetz wurde am 15. Juni im ungarischen Parlament mit den Stimmen der rechtsnationalen Fidesz-Partei und der rechten Jobbik-Partei beschlossen. Die Abgeordneten der linken und liberalen Parteien verließen vor der Abstimmung aus Protest den Saal. Vor Verabschiedung des Gesetzes protestierten in Ungarn Tausende gegen das Vorhaben – vergebens.
Wie reagierten andere Regierungen und die EU?
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kritisierte das ungarische Gesetz an diesem Mittwoch als "Schande". Es diskriminiere Menschen "aufgrund ihrer sexuellen Orientierung" und verstoße gegen die "fundamentalen Werte der Europäischen Union". Sie habe deshalb ihre zuständigen Kommissare aufgefordert, einen Brief an Ungarn zu schicken, "um unseren rechtlichen Bedenken Ausdruck zu verleihen, bevor das Gesetz in Kraft tritt".
Sollte Ungarn die Bedenken nicht ausräumen können, dürfte die EU-Kommission nach dem Inkrafttreten des Gesetzes ein offizielles Vertragsverletzungsverfahren gegen das Land einleiten. Das Thema landet dann vor dem Europäischen Gerichtshof.
Zuvor unterschrieben bereits 14 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union eine Resolution gegen Ungarns Gesetz, darunter auch Deutschland. Lanciert hatte die Protestnote die belgische Regierung. Belgiens Vize-Premierministerin und Außenministerin Sophie Wilmès erklärte: "Eine wertebasierte Union ist kein à la carte Menu. Wir haben eine kollektive Verantwortung alle EU-Bürger zu schützen und müssen deswegen unsere Sorge laut machen".
Auch Luxemburgs Minister Jean Asselborn kritisierte das Gesetz scharf. Er hält "Hopfen und Malz" bei dem ungarischen Premier für verloren, wenn es um europäische Grundsätze geht. Er bewertete das Vorgehen der ungarischen Regierung als "uneuropäisch" und die gesamte Diskussion als beschämend.
- Eigene Recherchen
- Deutschlandfunk: "Sogar die Regenbogenfahne zu zeigen, könnte verboten sein"