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Kanzlerin Angela Merkels Zahlen lügen nicht


Tagesanbruch
Zahlen lügen nicht

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 03.09.2021Lesedauer: 6 Min.
Meinung
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Angela Merkel hat ein naturwissenschaftliches Verständnis von Problemlösung.Vergrößern des Bildes
Angela Merkel hat ein naturwissenschaftliches Verständnis von Problemlösung. (Quelle: imago-images-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

Zahlen lügen nicht, heißt es, und solange wir uns nicht in die geheimnisvollen Sphären der Quantenphysik begeben, können wir getrost davon ausgehen, dass das stimmt. Zahlen sind schön, weil sie sich nicht verbiegen oder zerreden lassen, sie stehen kerzengerade wie eine Eins und unmissverständlich wie eine Null auf dem Papier, und wer sie liest, sieht genau das: eine Eins und eine Null. Macht zusammengezählt eins. Also wenig. Wobei, Moment, es kann ja auch zehn ergeben. Also recht viel. Sind Zahlen womöglich doch nicht so eindeutig, wie es scheint?

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Machen wir es nicht komplizierter als es ist, und lassen wir diese Einleitung auch nicht ausufern. Sonst setzt es wieder Schelte derjenigen Tagesanbruch-Leser, die den Newsletter seit Anbeginn (morgen sind es genau vier Jahre) lesen und ihn früher irgendwie fluffiger fanden. Suchen wir lieber schnell den gedanklichen Bogen zu unserem heutigen Thema, und sprechen wir dieses klar und deutlich aus, damit nicht nur die Tagesanbruch-Veteranen, sondern auch die vielen anderen Leserinnen und Leser zum Wochenausklang wissen, worum es hier und heute gehen soll: Es geht um Angela Merkel.

Frau Merkel ist Physikerin, das wussten Sie schon. Auch dass die Bundeskanzlerin politische Probleme gern in deren Einzelteile zerlegt und jedes Teilchen einzeln bedenkt, haben Sie vielleicht schon mal gehört. Dass sie dabei mitunter ganz schön lange braucht, wird Ihnen ebenfalls nicht entgangen sein. So blieb in den bald 16 Jahren ihrer Kanzlerschaft manches superdringende Thema auf der Strecke: der Klimaschutz, die Digitalisierung, die horrenden Mieten in Großstädten, eine gemeinsame europäische Außenpolitik, Sie wissen schon. Haben wir Damen und Herren von der schreibenden Zunft ja alles lang und breit aufgespießt und angeprangert.

Frau Merkel hat ein naturwissenschaftliches Verständnis von Politik: Diese Feststellung ist womöglich etwas gewagt, weil auch sie im Zweifel zu knallharter Machtpolitik imstande ist und dabei keine (politischen) Leichen gescheut hat. Die Herren Koch, Schäuble, Merz und Röttgen können ein Lied davon singen. Aber ganz falsch ist die Beobachtung eben nicht. Die Akribie, mit der die Kanzlerin einen Ausweg aus der Euro-Schuldenkrise gesucht und gefunden hat, mit der sie dem Sultan in Ankara einen Migrations-Deal zur Eindämmung der Flüchtlingszahlen abrang, mit der sie die Unverschämtheiten des amerikanischen Donalds parierte, mit der sie die knüppelharten Corona-Monate durchstand und mit der sie sich in nächtelangen Koalitionsausschüssen den achtundsiebzigsten Extrawunsch der Sozialdemokraten anhörte und das Verhandlungsergebnis hinterher auch noch ihren aufgescheuchten Parteioberen von der CDU verklickerte, ist wahrlich bemerkenswert.

In irgendeinem Tagesanbruch, ich weiß nicht mehr, welche der mehr als tausend Ausgaben es war, habe ich es schon erzählt: Als ich einmal mit Frau Merkel zu einem Interview beisammensaß, wollte ich sie listig aufs Glatteis führen und warf ihr eine superspezielle Frage zu einem superspeziellen Seitenaspekt ihrer Arbeitsmarktreformen an den Kopf. "Jetzt hab ich sie ertappt!", frohlockte ich innerlich, und wähnte mich schon auf einer Stufe mit den cheffigsten Chefredakteuren aller Zeiten. Da runzelte Frau Merkel kurz die Stirn – und zitierte dann eine zwar etwas bürokratische, aber durchaus schlüssige Lösung für das aufgeworfene Problem. Sie musste dafür weder ihren Sprecher fragen noch in einer Akte blättern. Sie hatte das Detail im Kopf. Irgendwo in ihrem Physikerinnenhirn gab es offenbar eine Schublade mit der Aufschrift "Superspezielle Arbeitsmarktreformaspekte". Die fand und öffnete sie binnen Sekunden und parierte die Frage des oberschlauen Chefredakteurs, der sich hinterher nicht mehr ganz so cheffig vorkam.

Was ich damit sagen will: Politik ist oft ganz anders, als wir sie uns vorstellen, wenn wir abends in den Fernsehnachrichten die Damen und Herren Politiker Zweisatz-Statements aufsagen hören oder wenn wir uns morgens in einem Newsletter von einem Journalisten großspurig die Weltlage erörtern lassen. Politik ist oft nicht nur ein sehr hartes, sondern auch ein sehr kleinteiliges Geschäft. Es geht um Referentenentwürfe, Fachressortabstimmungen, EU-Richtlinien, Haushaltseckpunkte, Koalitionsabsprachen und Maßnahmenfolgenabschätzungen – und nein, dieses Wort habe ich nicht erfunden, es ist tatsächlich ein Begriff aus dem Berliner Regierungsviertel.

Wer in die höchsten Ämter der Politik vorstoßen will, womöglich gar ins Kanzleramt, muss sich für Kleingedrucktes interessieren. Es reicht eben nicht, auf den großen Linien der Weltpolitik zu surfen. Man muss Akten lesen. Viele Akten. Jeden Tag. Und wenn man mit einer Akte fertig ist, wartet nebendran die nächste. Die Gabe, in kurzer Zeit Unmengen von Details aufzunehmen und komplexe Zusammenhänge durchdenken zu können, ist für die Person, die im siebten Stock des Kanzleramts in einem Büro mit großen Fenstern und beigefarbenem Teppich residiert, unabdingbar. Das gilt auch für die drei Protagonisten, die da im Herbst reinwollen; und bevor Sie bei der Bundestagswahl Ihr Kreuzchen machen, sollten Sie überlegen, wem Sie das zutrauen.

So, und weil die Vorrede nun lang genug war, komme ich endlich zum Punkt: Angela Merkel hat trotz aller Versäumnisse ihrer Regierungszeit vor allem deshalb ziemlich viel hingekriegt, weil sie sich für Details interessiert – und die Zahlen ihrer Wirtschaftsbilanz belegen ihre Erfolge, wie Ihnen meine Kollegin Heike Aßmann in der untenstehenden Grafik zeigt. Der Wohlstand der Bürger ist während ihrer Kanzlerschaft deutlich gewachsen; ohne die Pandemie hätte das Wachstum wohl enorme 50 Prozent erreicht. Dementsprechend sind auch die Steuereinnahmen gestiegen. Die Zahl der Arbeitslosen ist trotz Corona stark gesunken, die Firmeninsolvenzen sogar noch deutlicher. Erkauft hat sich die Bundesregierung ihre Erfolge unter anderem mit einer Rekordverschuldung, aber in Nullzinszeiten ist das zumindest keine Vollkatastrophe. Ja, der CO2-Ausstoß sinkt viel zu langsam, da muss die nächste Bundesregierung schleunigst ran. Nicht alle Details und nicht alle Zahlen sind schön. Aber viele eben schon. Und sie lügen nicht.

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Ich wünsche Ihnen einen entscheidungsfreudigen Freitag und dann ein famoses Wochenende. Der Samstags-Podcast kommt morgen in neuer Form, lassen Sie sich überraschen. Herzliche Grüße,

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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