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Die überflüssige Corona-Krise – In was für einem Land leben wir eigentlich?


Tagesanbruch
In was für einem Land leben wir eigentlich?

MeinungVon Sven Böll

Aktualisiert am 13.11.2021Lesedauer: 4 Min.
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Die Ampel-Koalitionäre haben die Lage unterschätzt: Annalena Baerbock, Christian Lindner und Olaf Scholz als Pappfiguren.Vergrößern des Bildes
Die Ampel-Koalitionäre haben die Lage unterschätzt: Annalena Baerbock, Christian Lindner und Olaf Scholz als Pappfiguren. (Quelle: Chris Emil Janßen/imago-images-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

Corona, Corona, Corona – hört das denn nie mehr auf? Offenbar nicht. Zumindest vorerst nicht. Aber nicht nur die Pandemie scheint endlos zu sein. Auch das ziemlich bescheidene deutsche Krisenmanagement will einfach kein Ende nehmen. Darüber habe ich mit meinen Kollegen Sebastian Späth und Florian Harms diskutiert. Hören Sie doch mal rein, der Wochenend-Podcast ist endlich wieder am Start.

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Dass wir erneut so unvorbereitet sind, macht vor allem aus einem Grund fassungslos: Es ist inzwischen mehr als 650 Tage her, dass das neuartige Coronavirus nach Deutschland kam.

Den ersten offiziellen Fall gab es Ende Januar 2020, also mitten im Winter. Dass wir damals nichts geplant hatten, nicht ahnten, was für gigantische Verwerfungen dieses kleine Virus hervorrufen würde, den Ernst der Lage noch wochenlang unterschätzten, dass wir im ersten (halben) Corona-Winter überfordert waren, ist nachvollziehbar. Es war schließlich der Beginn einer Jahrhundertkrise.

Monate später, im Spätsommer 2020, wussten wir längst noch nicht alles über das Virus, aber eben viel mehr. Es war klar, dass die Eindämmung der Pandemie im Winter viel schwieriger sein würde als in den wärmeren Monaten. Aber wir wollten nichts von Problemen wissen, taten so, als würde die Unbeschwertheit des Sommers nicht mehr weggehen.

Also bereiteten wir uns nicht vor, machten uns dafür aber umso mehr vor. Selbst dann noch, als es fast schon zu spät war. Aus einem sogenannten Wellenbrecher-Shutdown, der maximal vier Wochen dauern sollte, wurde ein monatelanger, zermürbender Lockdown. Viele Menschen starben, viele Existenzen wurden vernichtet, viele junge Leute werden die Bildungsdefizite ihr Leben lang spüren. Dass wir den zweiten Corona-Winter so schlecht gemanagt haben, war nicht mehr nachvollziehbar.

Aber es gab ja eine ganz große Hoffnung damals, vor rund einem Jahr: Die Impfstoffe wurden viel schneller entwickelt, als es selbst die größten Optimisten für möglich gehalten hatten. Bis zum Herbst 2021 sollten alle ein Impfangebot bekommen. So sagte es die Regierung wieder und wieder. Und sie hielt ihr Versprechen: Bereits im Sommer war genug Impfstoff für alle da. Und wer sich unbedingt immunisieren lassen wollte, tat es. Mitte Juli hatten bereits mehr als 50 Millionen Menschen eine Erstimpfung.

Doch in den vergangenen vier Monaten sind gerade einmal acht Millionen hinzugekommen. Das gruselige Bürokratenwort vom Impfangebot war vielleicht so etwas wie die Ursünde in der Kommunikation. Es kamen weitere Fehler hinzu: Die Impfkampagne, so man sie überhaupt als solche bezeichnen will, war irgendetwas zwischen bieder und piefig. Dass viele Menschen in diesem Land leben, aber trotzdem nicht fließend Deutsch sprechen, fiel auch keinem der Verantwortlichen so recht auf. Und Spitzenpolitiker machten zu allem Überfluss auch noch das, was sie sonst partout zu vermeiden versuchen: Sie betrieben munter Ausschließeritis. Nein, nein, niemand werde gezwungen, sich impfen zu lassen. Auch nicht all jene, die in Krankenhäusern und Pflegeheimen arbeiten.

Wenn dann noch Zeit blieb, nutzten wir sie, um munter Impfzentren zu schließen oder groteske Debatten darüber anzuzetteln, warum 3G in Fernzügen angeblich nicht kontrollierbar ist, das größte deutsche Staatsunternehmen also nicht hinbekommt, was in anderen Ländern problemlos klappt. Peinlich war das offenbar niemandem. Es war ja auch Wahlkampf.

Tja, und nun? Jetzt haben wir eben viel zu wenig Geimpfte. Fast alle anderen westeuropäischen Länder stehen besser da. Schlusslicht Deutschland. Was dabei besonders schmerzt: Wir haben keinen richtigen Plan für den Winter. Und nicht einmal so etwas wie eine Regierung.

Die Möchtegern-Ampelkoalitionäre haben sich viel zu lange Augen und Ohren zugehalten, weil die Probleme dann ja bekanntlich besonders rasch verschwinden. Und die geschäftsführende Regierung scheint nur noch aus dem Unions-Teil zu bestehen. Der ist jedoch vorwiegend mit sich selbst beschäftigt und hat ansonsten auf Opposition geschaltet.

Inzwischen gilt es schon als Erfolg, am 11. November anzukündigen, dass es am 18. November ein Treffen von Bund und Ländern geben wird. Das bedeutet allerdings: Die Politik gibt dem exponentiellen Wachstum nochmal eine Woche, seine ganze Dynamik zu entfalten. Besser lässt sich kaum demonstrieren, dass man lernunwillig ist.

Und so stolpern wir tölpelhaft in den dritten Corona-Winter. Mehr als zweimal ähnliche Fehler zu begehen, ist mit erschreckend nur unzureichend beschrieben. Und erlaubt dann doch die Frage, in was für einem Land wir eigentlich leben. Offenbar zumindest nicht in einem, das großen Herausforderungen wirklich noch gewachsen ist.

Statt sich selbst als "Fortschrittskoalition" zu feiern, sollten sich SPD, Grüne und FDP lieber sehr, sehr ernsthaft mit dem größten Problem im Hier und Jetzt beschäftigen. Es spricht einiges dafür, dass wir vor den härtesten Monaten dieser Pandemie stehen. Wenn die Lage in den nächsten Wochen tatsächlich außer Kontrolle geraten sollte, leistet sich die Ampelkoalition einen grandiosen und fatalen Fehlstart. Und viele Bürger werden einen sehr hohen Preis dafür bezahlen. "Wer Führung bestellt, der kriegt sie auch", hat Olaf Scholz einmal gesagt. Wir alle sollten unsere Bestellung bei ihm schnellstmöglich aufgeben.

Trotz dieser nicht allzu rosigen Aussichten wünsche ich Ihnen ein schönes, erholsames Wochenende. Und passen Sie auf sich auf!

Ihr

Sven Böll
Managing Editor t-online
Twitter: @SvenBoell

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Mit Material von dpa.

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