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Pharao Tutanchamun: Ein Geheimnis, größer als alle zuvor


Tagesanbruch
Ein Geheimnis, größer als alle zuvor

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 03.11.2022Lesedauer: 5 Min.
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Eingang zu einem der Gräber im Tal der Könige nahe Luxor.Vergrößern des Bildes
Eingang zu einem der Gräber im Tal der Könige nahe Luxor. (Quelle: imago-images-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

Zeit ist relativ. Der eine hat sie, der andere nicht. Manchmal kommen uns fünf Minuten wie die Ewigkeit vor, ein andermal vergehen die Stunden wie im Fluge. Die Corona-Pandemie empfanden viele Menschen als einen zähen Zeitbrei, und auch die Monate seit dem russischen Angriff auf die Ukraine kommen vielen wie eine schier unendliche Dauerkrise vor. Dabei sind sie in der Menschheitsgeschichte nicht mehr als ein Wimpernschlag.

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Echte Ewigkeiten dauern länger. Viel länger. Dreitausenddreihundertfünfundvierzig Jahre zum Beispiel. So lange lag ein junger Mann in einer Kammer unter dem staubigen Wüstensand Ägyptens. Gestorben war er vielleicht an Malaria, ohnehin war seine Konstitution nicht die Beste. Eine Knochenkrankheit muss ihn zu Lebzeiten geplagt haben, womöglich war er einer Inzest-Ehe entsprungen. Als Kämpfer brüstete er sich trotzdem, neben seinem Leichnam lag eine Lederrüstung. Auch einen starken Willen wird er wohl gehabt haben, dieser Teenager. Nachdem sein Vater kurzerhand eine neue Religion erfunden, den mächtigen Klerus entmachtet und sich selbst zum Sonnenkönig erhoben hatte, herrschte Aufruhr im Land. Es muss den jungen Mann viel Kraft und Energie gekostet haben, den befremdlichen Kult abzuschaffen und die alte Ordnung wiederherzustellen. Und dann gab er auch schon nach zehn Jahren als Herrscher den Löffel ab. Armer Kerl.

Fortan lag sein Leichnam jahrtausendelang unter der Erde, bis am 4. November 1922 – morgen vor 100 Jahren – ein neugieriger Engländer anklopfte: Howard Carter war felsenfest überzeugt, dass er hier, im Tal der Könige nahe der oberägyptischen Stadt Luxor, das Grab des sagenumwitterten Pharaos finden würde. Wochen-, monate-, jahrelang hatte der Archäologe im Staub herumgekratzt und dabei fast das gesamte Geld seines Gönners verpulvert. Er hatte sich auslachen und beschimpfen lassen und war schon kurz vor dem Aufgeben – aber einen letzten Versuch wollte er dann doch noch unternehmen.

So stieß er tatsächlich an diesem welthistorischen 4. November auf einen Steinquader. Legte ihn frei. Fand einen zweiten. Dritten. Vierten. Kein Zweifel: eine Treppe. Weiter! Schnell weitergraben! Carter trieb seine ägyptischen Arbeiter an: da, eine Wand! Er näherte sich mit einer Kerze. Schlug ein Loch in die Wand und leuchtete hinein: ein Gang! Ab jetzt oberste Geheimhaltung. Den Gönner herbestellen. Dann weitergraben. Wieder ein Loch. "Die heiße Luft ließ die Kerze flackern", schrieb Carter später über den wichtigsten Augenblick seines Lebens, "aber als sich meine Augen an das Licht gewöhnten, tauchten langsam Details des Raums aus dem Nebel auf, seltsame Tiere, Statuen und Gold – überall das Glitzern von Gold!"

Mehr als 5.000 Gegenstände entdeckte Howard Carter in dem Grab: Juwelen, Waffen, Kleidung, Spiele, Möbel, Kosmetik – und natürlich den spektakulärsten Fund der Archäologie: die goldene Totenmaske des Pharaos Tutanchamun und dessen Sarg aus purem Gold, umhüllt von zwei weiteren vergoldeten Holzsärgen und einem mächtigen Sarkophag aus Quarzit, beschützt von Statuen der Göttinnen Isis, Nephtys, Selket und Neith.

Es war eine Weltsensation, und sie machte nicht nur Howard Carter über Nacht weltberühmt. Sie befeuerte auch die globale Begeisterung für die Kultur der alten Ägypter, die bis heute anhält. Und sie warf Fragen auf, über die wir heute immer noch so intensiv nachdenken können wie vor 100 Jahren: Wenn die altägyptische Zivilisation so hoch entwickelt und zu solchen künstlerischen Meisterleistungen fähig war, dann aber niederging, verschwand und in Vergessenheit geriet – was bedeutet das eigentlich für unser heutiges Selbstverständnis? Ist es denkbar, dass auch unsere technischen, politischen und künstlerischen Errungenschaften in dreitausend Jahren vergessen unter dem Staub liegen? Sollten wir deshalb demütiger auf die Welt blicken, uns selbst weniger wichtig nehmen und darüber nachdenken, was wirklich bedeutend ist: nicht für uns selbst, sondern für unsere Nachkommen, für unseren Planeten? Was wird die Nachwelt dereinst über uns sagen, werden künftige Generationen mehr in uns sehen als engstirnige Egoisten, die nur ihr eigenes Wohlbefinden im Sinn hatten?

Wenn ich die Bilder von Carters Entdeckung des Pharaonengrabes sehe, habe ich den Eindruck: Ja, diese Fragen sollten wir uns heute stellen. Ich sage es mal so: Schon in ein paar Jahrzehnten wird sich niemand mehr dafür interessieren, ob wir ein dickes Auto, teure Turnschuhe oder ein fettes Aktienpaket hatten. Aber ob wir uns darum bemüht haben, dass man auf der Erde auch in Zukunft noch gut und gerne leben kann, daran wird man uns messen. Und wenn uns das nicht gelingt, wird die Nachwelt sehr viel unnachsichtiger auf uns schauen als wir heute auf Herrn Tutanchamun in seinem Grab.

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  • Die Übergewinnbremse
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  • Die Trump-Bremse
  • Die Laubbläserbremse
  • Die Schneekanonenbremse
  • Und natürlich auch die Kanzleramtsbüroerweiterungsbremse

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen heute viel Spaß beim Bremsen. Morgen schreibt Camilla Kohrs schwungvoll den Tagesanbruch, von mir hören Sie am Samstag wieder.

Herzliche Grüße

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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