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Waldbrand auf Ex-Truppenübungsplatz im Nordosten versetzt Anwohner in Angst


Waldbrände im Nordosten
"Lassen Sie mich durch, ich bin völlig fertig"


Aktualisiert am 15.06.2023Lesedauer: 4 Min.
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Einsatzkräfte im Waldbrandgebiet: Die Löscharbeiten gestalteten sich aufgrund der Explosionsgefahr schwierig. (Quelle: t-online)

Der Wald auf einem ehemaligen Truppenübungsplatz in Mecklenburg-Vorpommern brennt – schon wieder. Anwohner sind verängstigt, Helfer erschöpft.

Um 14 Uhr sollte der Weg nach Hause eigentlich wieder frei sein. Doch die Bewohner von Volzrade werden von der Polizei nicht durchgelassen. Im angrenzenden Wald soll es eine "unklare Rauchentwicklung" geben, heißt es. Am Montag war der Ort im Landkreis Ludwigslust-Parchim evakuiert worden, 160 Einwohner hatten alles zurücklassen müssen, was nicht in ihr Auto passte. Der Waldbrand war zu nahe gekommen.

Die Menschen an der Polizeisperre sind erschüttert. "Lassen Sie mich bitte durch, ich bin völlig fertig", sagt eine Frau. Sie hat Tränen in den Augen, ein anderer Mann diskutiert lautstark mit den jungen Beamten. Auf den Rückbänken sitzen verängstigte Kinder, auch viele Hochbetagte bleiben in den Autos. Die Kofferräume sind voll mit dem Hab und Gut der Volzrader.

Nach einer halben Stunde die Entwarnung: Die Evakuierung wird doch aufgehoben, so wie es schon am Morgen angekündigt worden war. "Komm schnell, wir dürfen nach Hause", ruft ein alter Mann dem zu, der gerade noch mit den Polizisten diskutierte. Jetzt will niemand Zeit verlieren.

Die Böden sind explosiv

In Volzrade, einem Dorf mit fünf Straßen, schauen viele zuerst nach ihren Tieren, die sie zurücklassen mussten. Auch Conny ist wieder auf ihrem Hof, den sie mit ihrem Mann vor neun Jahren gekauft hat. "Wie soll es einem schon gehen, wenn man so was das zweite Mal in vier Jahren erleben muss", sagt sie t-online. "Beschissen." Schon 2019 hatte der Wald, der an ihr Grundstück grenzt, gebrannt. Damals waren rund 1.000 Hektar betroffen, dieses Mal sind es nur 100 Hektar, also eine Fläche von einem mal einem Kilometer. Aber alle sagen: Dieses Mal ist es viel gefährlicher.

Was hier bei Volzrade und anderen Stellen im Landkreis passiert, sind keine normalen Waldbrände. Die Böden hier sind explosiv: Schon die Nazis haben hier Munition aller Art für die Reichsmarine gelagert, später auch die Russen und die DDR. Der Boden ist verseucht, das Betreten des Waldes abseits der Wege streng verboten.

Die ganze Woche waren Detonationen zu hören. Die Gefahr in der Erde sorgt auch dafür, dass Feuerwehrleute die Flammen nicht direkt bekämpfen können – sie müssen einen Sicherheitsabstand von 1.000 Metern einhalten. Die Einsatzkräfte müssen sich darauf beschränken, um den Waldbrand herum einen Gürtel feucht zu halten.

Löschhelikopter im Dauereinsatz

Weil das Löschen so gefährlich ist, bleiben nicht viele Möglichkeiten. Im Norden des Landkreises bei Hagenow hat die Bundeswehr in den vergangenen Tagen Brandschneisen gezogen, um den Flammen Grenzen zu setzen. Rund um Volzrade gibt es diese Schneisen noch von 2019. Die Soldaten hier sind gern gesehen. "Die Jungs und Mädels formen hier ganze Landschaften um, um uns zu retten", sagt Landrat Stefan Sternberg t-online. Vor vier Jahren war er gerade acht Monate im Amt, als er den Katastrophenfall ausrufen musste.

Das einzige Wasser, das den Kern des Gebietes erreicht, kommt von einem Helikopter der Bundespolizei. 2.000 Liter können in einem Schwung abgelassen werden. Der "Puma" ist fast im Dauereinsatz und kann aufglimmende Glutnester gezielt ansteuern. Denn der dringend benötigte Regen ist nicht in Sicht.

Die Gegend ist wie ausgetrocknet. Jedes Jahr werde es schlimmer, das sagen alle hier. Der Rasen vor der Kirche in Lübtheen, wo der Krisenstab zusammenkommt und die Presse informiert wird, ist gelb und sandig. Wüsste man es nicht besser, könnte man meinen, in Südeuropa zu sein. Aber es ist Mecklenburg-Vorpommern.

"Lebensgefahr" steht auf den Schildern

Am Mittwochmorgen durften Journalisten sich selbst ein Bild von der Lage machen. Mit einem Konvoi aus Feuerwehrfahrzeugen ging es durch eine Staubwolke dorthin, wo gestern noch Flammen lodernden. Jetzt qualmt es nur noch. Der Wald hat hier nur zwei Farben: Sandgelb und Pechschwarz. Am Wegesrand stehen überall Schilder mit eindringlichen Warnungen: "Lebensgefahr" steht darauf neben einem Totenkopf geschrieben.

Die Munition aus dem Boden zu holen, sei unmöglich, sagt Landrat Sternberg. Es würde mehr als hundert Jahre dauern, selbst wenn alle Munitionsbergungsteams aus ganz Deutschland zusammenkämen. Durch natürliche Erosion kommen die Sprengkörper immer wieder zum Vorschein. Sternberg und der Krisenstab gehen davon aus, dass einer dieser freigelegten Sprengkörper durch Sonneneinstrahlung so stark erhitzt wurde, dass er detonierte und den Waldbrand ausgelöst hat.

Diese Sprengkraft trifft auf totes, bereits angebranntes Holz, einen komplett ausgetrockneten Sandboden, Wind und Hitze. Bis es hier wieder brennt, ist nur eine Frage der Zeit.

Das weiß auch Conny. "Nach 2019 habe ich ständig damit gerechnet, dass es wieder passiert", sagt sie. "Die Angst ist immer da. Im Sommer guckt man immer nach oben und schaut, ob es Rauch gibt." Rund drei Stunden hatte sie am Montag Zeit, die "Pferde wegzubringen und die wichtigsten Akten" einzupacken. Die beiden Nächte habe sie bei Bekannten verbracht, keiner der Volzrader ist in der Notunterkunft in Lübtheen eingekehrt. "Es ist traumhaft schön hier, aber auch furchtbar", sagt die gebürtige Schleswig-Holsteinerin. "Wenn das hier abbrennt, gehe ich weg", dabei zeigt sie auf ihr Haus.

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Alle hier sind darauf gefasst, dass der nächste große Waldbrand kommt. Aber wie soll man sich darauf vorbereiten, dass alles, was man hat, abbrennt? "Das kann man nicht machen", sagt Conny.

"Jeder Brand ein schwerer Schlag"

Unter den Leuten in Volzrade und Lübtheen ist der große Zusammenhalt zu spüren. Verwaltung, Feuerwehr, Polizei und Bürger arbeiten auf Augenhöhe zusammen. Auch wenn die Situation für alle schwer ist. Im gesamten Landkreis gibt es etwa keine einzige Berufsfeuerwehr. Die über 250 Feuerwehrleute sind alles Freiwillige, die von ihren Arbeitgebern freigestellt werden müssen. "Die Erschöpfung ist natürlich sehr groß, ich war heute Nacht zumindest mal fünf Stunden zu Hause. Aber besonders für die Bevölkerung ist jeder Brand ein schwerer Schlag", sagt Landrat Sternberg.

"Wir haben hier in den letzten Jahren einige Krisen zusammen gemeistert", sagt er. Auch in diesen Tagen muss er wieder "schwere Entscheidungen" treffen. "Du musst Leuten sagen, dass sie alles zurücklassen müssen. Das darf man nicht zu früh machen, aber natürlich auch nicht zu spät. Da kriegt man keine Routine drin." Nicht jeder will freiwillig gehen, erzählt er. Bei Leuten wie Conny aus Volzrade kommt Sternbergs Art gut an. "Der ist entschlussfreudig, war er auch 2019 schon. Mit dem, was da drüben liegt, ist ja nicht zu spaßen."

Verwendete Quellen
  • Eigene Beobachtungen vor Ort
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