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"Supervulkan" in Neapel: Drohen bald Erdbeben und giftige Gase in Italien?


Unsichtbarer "Supervulkan"
Unter den Füßen Hunderttausender tickt eine Bombe

dpa, Von Christoph Sator

Aktualisiert am 14.11.2023Lesedauer: 4 Min.
imago images 0306250798Vergrößern des BildesNeapel: Die italienische Großstadt liegt direkt neben einem schlummernden Supervulkan. (Quelle: IMAGO/FABIO SASSO)
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Bei Vulkanen denkt man an Bilder von Bergen und Lavaströmen. Nahe Neapel droht die Gefahr hingegen aus dem Boden. Wie lebt es sich auf den "brennenden Feldern"?

Der Sportplatz von Montefusco Spinesi, einem Vorort von Neapel, ist keiner, auf dem die großen Erfolge gefeiert werden. Kunstrasen auf dem Spielfeld, mehr schwarz als grün, hinter dem Tor dicke Plastikplanen, die Tribüne einfach nur Beton. Ein Platz, wie viele in Italien. Was Montefusco Spinesi so besonders macht: Hier wird mitten auf Europas wahrscheinlich gefährlichstem Vulkan Fußball gespielt. Auch an diesem Abend steigen in der Nähe wieder Rauchwolken aus der Erde. Es riecht nach faulen Eiern. Die Leute sind das gewohnt. Nur sind ihre Sorgen neuerdings stark gewachsen.


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Ich bin hier aufgewachsen. Aber seit ein paar Wochen spielt die Angst mit.


Gerardo Cerino, Anwohner


Seit Monaten wird die dicht besiedelte Region im Westen der Millionenstadt von kleinen und größeren Erdbeben erschüttert: allein seit Anfang September mehr als 1.500. Meist nur ein Zittern von einigen Sekunden, manchmal begleitet von einem Rumoren im Untergrund, ohne dass bislang groß etwas passierte. Aber das heftigste Beben hatte immerhin Stärke 4,2. Viele Anwohner fürchten, dies seien Vorzeichen für einen Ausbruch. Gerardo Cerino (55), der seinen Sohn gerade beim Fußballtraining beobachtet, sagt: "Ich bin hier aufgewachsen. Aber seit ein paar Wochen spielt die Angst mit."

Video | Angst vor Ausbruch von Supervulkan
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Quelle: reuters

Die Gegend hier trägt die Gefahr schon im Namen: Campi Flegrei. Wörtlich übersetzt: brennende Felder. Die Wissenschaft hat daraus mit etwas mehr Zurückhaltung die Phlegräischen Felder gemacht. Der hiesige Vulkan ist kein wohlgeformter Berg wie der Vesuv, der seit seinem spektakulären Ausbruch auf Pompeji im Jahr 79 Neapels Panorama so schön beherrscht. Bei den Campi Flegrei schlummert die Gefahr im Boden, man sieht sie nicht: ein insgesamt 150 Quadratkilometer großes Areal aus Dellen und Kratern, zu großen Teilen im Meer versteckt.

Explosionsgefahr im Boden

Auf dem Festland lässt sich das Risiko am ehesten in der Hafenstadt Pozzuoli ahnen, ein paar Kilometer vom Fußballplatz entfernt. Auf dem Kraterfeld Solfatara blubbert die Erde vor sich hin, Rauch zieht nach oben, der Wasserdampf ist mit Kohlendioxid und Schwefel versetzt – daher der Faule-Eier-Gestank. Bis vor ein paar Jahren war die Solfatara eine Touristenattraktion. Seit 2017, als ein Paar mit elfjährigem Sohn auf dem Feld ums Leben kam, ist sie Sperrgebiet. Das Spektakel lässt sich jetzt nur noch von einem Hügel aus beobachten. Daneben steht ein Luxushotel mit Blick weit hinaus aufs Meer.

Vor 39.000 Jahren ereignete sich hier die größte vulkanische Eruption der vergangenen hunderttausend Jahre in Europa. Damals wurde in weiten Teilen des heutigen Süditaliens fast alles Leben vernichtet. Die Asche flog bis in das Gebiet des heutigen Russlands. Aus diesen Zeiten hat sich für die Campi Flegrei in einigen Kreisen die Bezeichnung Supervulkan etabliert. Supervulkane zeichnen sich durch eine besonders große Magmakammer und enorme Gewalt aus: Anders als normale Vulkane explodieren sie regelrecht. Die Bezeichnung Supervulkan ist unter Experten allerdings durchaus umstritten. Thomas Walter, Vulkanologe am Helmholtz-Zentrum Potsdam, ordnet die Campi Flegrei nicht als Supervulkan ein.

Der letzte Ausbruch auf den Campi Flegrei war 1538. Zuvor hatte sich der Boden über einen Zeitraum von 70 Jahren durch Magmaschübe nach und nach um mehrere Meter angehoben. Das ist auch heute das Szenario: Seit sieben Jahrzehnten wölbt sich der Boden wieder. In Pozzuoli erkennt man das daran, dass die Kaimauer im Hafen um ein paar Meter höher liegt als früher: Die Fischer haben Schwierigkeiten, sie von ihren Booten aus zu erreichen.

"Das ist wahrscheinlich der bestbeobachtete Vulkan der Welt"

Im Observatorium des Nationalen Instituts für Geophysik und Vulkanologie von Neapel wird das alles genau verfolgt: die Beben, das Auf und Ab des Bodens, die Zusammensetzung des Rauchs. An einem der Bildschirme steht der Geophysiker Giovanni Macedonio. "Das ist wahrscheinlich der bestbeobachtete Vulkan der Welt", sagt der 64-Jährige. Aufgrund der Daten erwarten die meisten Experten, dass sich der Boden weiter wölben wird. Heißt: mehr Spannung, mehr Risse, mehr Brüche, mehr Beben. Bis es irgendwann vielleicht zu viel wird.

Aber wann, was und ob überhaupt etwas passieren wird, weiß niemand. Es muss keine Eruption sein. Möglich auch, dass es ein schweres Erdbeben gibt oder eine Wasserdampf-Explosion mitten in der Stadt mit schlimmen Folgen. Denkbar ist aber auch, dass sich der Supervulkan wieder fast völlig beruhigt. So oder so: Macedonio ist zuversichtlich, dass die Bevölkerung im Fall der Fälle rechtzeitig in Sicherheit gebracht werden kann. 48 Stunden sollen reichen, um mehr als 360.000 Menschen zu evakuieren, die in der unmittelbaren Gefahrenzone leben.

Die Koffer sind gepackt

Seit 2012 gilt in der Region Alarmstufe Gelb – erhöhte Wachsamkeit. Nach den vielen Beben der letzten Monate wird nun spekuliert, dass sie demnächst auf Orange angehoben wird. Der Zivilschutzminister der italienischen Rechtsregierung, Nello Musumeci, deutete das bereits an. Beschlossen wurde in Rom schon, dass der Katastrophenschutz für die Campi Flegrei 52 Millionen Euro zusätzlich bekommt.

In der Nachbarschaft bereiten sich die Leute sicherheitshalber vor. Die 36-jährige Hausfrau Silvana Di Dio gehört zu denen, die schon einen Koffer gepackt haben. Er steht zu Hause im Flur. "Das Allernötigste nur: Kleidung, Medikamente, Kosmetik. Wir sind in zehn Minuten abfahrbereit", sagt die Mutter von zwei Kindern. Auch die Pfarrei von San Gennaro an der Solfatara hat Vorsorge getroffen. Bei Gottesdiensten bleibt die Kirchentür neuerdings offen. So sollen die Gläubigen, wenn etwas passiert, schneller nach draußen kommen.

Verwendete Quellen
  • Nachrichtenagentur dpa
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