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20 Jahre Eschede – Zugunglück ein nationales Trauma


Jahrestag der Katastrophe
Eschede – ein nationales Trauma

Von Nathalie Rippich

Aktualisiert am 02.06.2018Lesedauer: 3 Min.
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Eschede, Juni 1998: Bei einem Zugunglück verloren 101 Menschen ihr Leben.Vergrößern des Bildes
Eschede, Juni 1998: Bei einem Zugunglück verloren 101 Menschen ihr Leben. (Quelle: dpa-bilder)

Mit 200 Stundenkilometern rast ein ICE ins Unglück. 101 Menschen sterben, viele weitere werden teils schwer verletzt. 20 Jahre ist "Eschede" nun her. Was ist am 3. Juni 1998 passiert?

Es ist ein sonniger Mittwochvormittag im Juni 1998 als der ICE 884 von München nach Hamburg unterwegs ist. Noch deutet nichts darauf hin, dass sich in wenigen Minuten das schlimmste Zugunglück der Bundesrepublik ereignen wird. Eine Katastrophe, über die auch 20 Jahre später noch gesprochen wird, weil sich die Geschehnisse und vor allem die Bilder tief in das kollektive Gedächtnis eingebrannt haben.

Ab und zu muss die Geschwindigkeit gedrosselt werden, weil Baustellen das erfordern. Auf der Bahnstrecke zwischen Hannover und Hamburg beschleunigt der Zug dann auf 200 Kilometer pro Stunde. Drei Minuten vor 11 Uhr am Vormittag des 3. Juni 1998 ahnt keiner, was das „mahlende Geräusch“, das Überlebende später beschreiben werden, auslösen wird. Kurz vor der kleinen Ortschaft Eschede in der Lüneburger Heide bricht – so wird später aus dem Ursachenbericht hervorgehen – ein Radreifen des ersten Wagens durch Materialermüdung.

Das Bauteil verkeilt sich unter dem Fahrzeug und plötzlich geht alles ganz schnell: Beim Überqueren einer Weiche entgleist der tonnenschwere Zug. 200 Meter vor einer Brücke gerät der ICE völlig außer Kontrolle. Einzig der Triebwagen fährt weiter. Der Lokführer wird später vor Gericht aussagen, nichts von dem Unglück bemerkt zu haben, bis er von einem Fahrgastleiter darüber informiert wurde.

Über 1000 Helfer halfen bei der Bergung der Toten und Verletzten

Die Menschen in den restlichen Wagen erleben die Hölle auf Erden. Teile des Zugs zerschellen an einer Brücke, reißen diese durch die Wucht des Aufpralls ein. Durch eine Bremsautomatik kommen die hinteren Wagen von über 170 Kilometern pro Stunde binnen Sekunden zum Stehen. Die Passagiere werden durch diesen abrupten Stopp durch den Zug geschleudert. Der Aufprall ist vergleichbar mit einem ungebremsten Sturz aus über 160 Metern Höhe. Viele der insgesamt 101 Opfer sind wohl auf der Stelle tot. An der Unfallstelle sterben 96 Menschen, fünf Personen erliegen ihren Verletzungen im Krankenhaus. Unter den Opfern sind zwölf Kinder.

Heute erinnert im niedersächsischen Eschede ein Denkmal an den verhängnisvollen Junitag. Auf Granitblöcken sind die Namen der Verstorbenen festgehalten. 101 Kirschbäume wurden zu ihrem Gedenken gepflanzt. Die Erwähnung des Ortsnamens ruft auch 20 Jahre später bei vielen Deutschen noch jene Bilder ins Gedächtnis, die damals um die Welt gingen. Wie Spielzeug sind die Wagen ineinander verschoben, liegen ohne jede Ordnung da. Die Umgebung ist übersät von Trümmerteilen. Mehr als tausend Helfer bahnen sich ihren Weg durch das Chaos, suchen nach Überlebenden, versorgen Verletzte. Sie erleben selbst einen der schwersten Tage ihres Lebens. In den Stunden nach dem Unfall funktionieren sie und sind für die Verletzten, die Eingeklemmten, die Hoffnungslosen der einzige Halt.

Wochenlang gibt es in den deutschen Medien kaum ein anderes Thema. Auch das Ausland nimmt Anteil am größten Zugunglück der Nachkriegszeit. Die Frage nach der Verantwortung beschäftigt Justiz und Öffentlichkeit noch Jahre nach der Tragödie.

Keine schwere Schuld zu erkennen: 10.000 Euro für Verfahrenseinstellung

So gab es Ermittlungen gegen den einzigen überlebenden Zugbegleiter. Fahrgäste hatten ihn über die auffälligen Geräusche kurz vor der Katastrophe informiert. Das Verfahren wurde eingestellt: In weniger als zwei Minuten, die bis zum Entgleisen vergingen, hatte er keine Chance, das Problem zu erkennen und entsprechend zu reagieren.

Der gebrochene Radreifen hatte die Katastrophe ausgelöst. Doch wer war verantwortlich für die Kapitulation des Materials? Die Staatsanwaltschaft erhob im Jahr 2001 Anklage gegen drei Personen: einen Abteilungspräsidenten der Deutschen Bahn, einen Ingenieur des Herstellerwerks der Radreifen und einen Bundesbahnoberrat. Aus Sicht der Ermittler waren sie verantwortlich für Mängel bei der Zulassung und Wartung der Radreifen.

Aufzeichnungen machten deutlich, dass Auffälligkeiten am Rad bekannt waren. Ihnen wurde Körperverletzung in über einhundert Fällen und die fahrlässige Tötung der 101 Opfer vorgeworfen. Ob die Angeklagten die Bruchgefahr hätten erkennen können, konnte bis Mai 2003 nicht abschließend geklärt werden. Eine schwere Schuld konnte nicht festgestellt werden. Gegen eine Zahlung von je 10.000 Euro wurde auch dieses Verfahren eingestellt.

Die Deutsche Bahn sah sich im Zuge des Unglücks massiver Kritik ausgesetzt. Nicht nur wegen des Vorwurfs der mangelhaften Wartung des Zuges, sondern auch wegen des unsensiblen Umgangs mit Überlebenden und Angehörigen nach dem Unfall. Diese kritisierten auch Jahre später noch mangelnde Anteilnahme und den Unwillen zu finanzieller Hilfe. Erst nach 15 Jahren erkannte der damalige Bahnchef Rüdiger Grube die Verantwortung der Bahn an den Geschehnissen an und bat im Namen des Unternehmens um Verzeihung.

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