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Missbrauchs-Fall Lügde: Behörden-Mitarbeiter bleiben straflos


Hunderte Kinder missbraucht
Fall Lügde: Keine Strafen für Behörden-Mitarbeiter

dpa, Von Yuriko Wahl-Immel

Aktualisiert am 11.03.2020Lesedauer: 3 Min.
Tatort hundertfachen Missbrauchs: Der versiegelte Campingwagen auf der Parzelle des verurteilten Täters.Vergrößern des BildesTatort hundertfachen Missbrauchs: Der versiegelte Campingwagen auf der Parzelle des verurteilten Täters. (Quelle: Guido Kirchner/dpa-bilder)
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Die Ermittlungen gegen Mitarbeiter der Polizei und des Jugendamtes im Fall Lüdge wurden eingestellt. Es gäbe keine Hinweise auf strafrechtlich relevantes Verhalten – Kritik wurde trotzdem laut.

Die Täter des hundertfachen schweren Missbrauchs von Kindern in Lügde sind verurteilt. Das Entsetzen über die jahrelange sexuelle Gewalt auf dem Campingplatz bleibt. Ein Untersuchungsausschuss im nordrhein-westfälischen Landtag durchleuchtet aktuell, inwieweit falsche Einschätzungen, Versäumnisse und Kommunikationsmängel von Behörden den Missbrauch begünstigten. Nun werden mittendrin einige Aktendeckel geschlossen: Die Staatsanwaltschaft in Detmold stellt ihre Ermittlungen gegen Mitarbeiter der Polizei Lippe und zweier Jugendämter in NRW und Niedersachsen ein.

"Man kann ihnen strafrechtlich keinen Vorwurf machen", sagt Oberstaatsanwalt Ralf Vetter der Deutschen Presse-Agentur am Mittwoch. In keinem Fall habe es einen hinreichenden Tatverdacht gegen Beschäftigte gegeben. Dazu betont der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung Johannes-Wilhelm Rörig: "Auch wenn Einzelpersonen kein Fehlverhalten im strafrechtlichen Sinne vorgeworfen werden kann, bleibt es doch eklatant, wie wenig den Hinweisen nachgegangen wurde." Zwar sei die Entscheidung aus juristischer Sicht nachvollziehbar, meint der Kinderschutzbund NRW. "Dennoch entsteht nach außen ein falscher Eindruck." Es gebe "schwerwiegende strukturelle Probleme im Kinderschutzsystem".

Lange Haftstrafen für Angeklagte

Auf dem Campingplatz in lippischen Lügde nahe der Grenze zu Niedersachsen waren auch Kleinkinder Opfer schwerer sexueller Gewalt geworden. Der Dauercamper Andreas V. wurde später – im September 2019 – zu 13 Jahren Haft verurteilt. Mario S. erhielt 12 Jahre Haft, beide müssen danach in Sicherungsverwahrung. Im Laufe der Ermittlungen war ans Licht gekommen, dass Zeugen sich mit ihrem Verdacht bei den Jugendämtern Hameln (Niedersachsen) und Lippe (NRW) sowie der Polizei in Lippe gemeldet hatten – ohne eine unmittelbare entschlossene Reaktion, wie kritisiert worden war.

Worum ging es bei den langen Ermittlungen? Eine Polizistin war der Strafvereitelung im Amt oder Beihilfe zum sexuellen Missbrauch durch Unterlassen beschuldigt worden. Ergebnis nun: "Der für eine Strafbarkeit erforderliche Vorsatz ist nicht festzustellen." Sie habe 2016 nach dem Hinweis einer Jobcenter-Mitarbeiterin Telefonate mit Jugendämtern geführt und sei überzeugt gewesen, dass ein sexueller Missbrauch durch Andreas V. nicht stattfand – zu Unrecht.

Keine intensive Untersuchung nach Hinweisen

Ein weiterer Polizeibeamter hatte einen Hinweis – vom Kinderschutzbund – erhalten. Dass er danach nicht das Erforderliche veranlasst habe, ergaben die Ermittlungen laut Staatsanwaltschaft nicht. Auf die acht Mitarbeiter der Jugendämter und auf drei Familienhelfer kommen ebenfalls keine strafrechtlichen Folgen zu. Die Beschuldigten hätten zwar keine intensive Untersuchungen unternommen, um Verdachtsmomente zu bestätigen oder auszuräumen. Aber sie seien alle davon ausgegangen, "dass ein sexueller Missbrauch nicht stattfand". Es sei keine Verletzung der Fürsorgepflicht feststellbar, erklärt die Behörde in Detmold.

Ermittlungsbehörden prüften, ob strafrechtlich relevantes Verhalten vorliege, erläutert Vetter. Eine "moralische Komponente" gehöre nicht zu den Ermittlungen, betont er. Karl Materla, Vorsitzender der Bundesgemeinschaft Allgemeiner Sozialer Dienst, ist "erleichtert" über die Einstellung der Ermittlungen. Und er unterstreicht: "Jugendämter sind kein Ermittlungsbehörden."

"Meister der Manipulation"

Dagegen gibt der Bundesbeauftragte Rörig zu bedenken: Gerade wenn ein individueller Tatnachweis nicht möglich sei, müssten "strukturbedingte Versäumnisse und ein systemisches Versagen der Behörden" genau analysiert werden. "Lügde zeigt, dass alle die Dimension von Missbrauch jederzeit mitdenken und jeden Hinweis auf sexuelle Gewalt sehr genau prüfen müssen." Täter seien "Meister der Manipulation", sagt Rörig der dpa. "Sie werden alles dafür tun, ihr Umfeld zu täuschen."

Der Vorsitzende der Deutschen Kinderhilfe, Rainer Becker, bedauert die Einstellung der Verfahren. "Ich hätte mir eine tiefergehende Aufbereitung gewünscht. Ein Gerichtsprozess hätte – unabhängig vom Ausgang – eine intensive Beschäftigung mit den Vorgängen gebracht." Sexuelle Gewalt gegen Kinder nehme drastisch zu. So wird derzeit im Missbrauchkomplex Bergisch Gladbach gegen Verdächtige in allen Bundesländern ermittelt, darunter gegen 27 Beschuldigte allein in NRW.

Sexuelle Gewalt gegen Kinder werde "sprachlich bagatellisiert", kritisiert der Kinderschützer. Die Strafandrohung sei zu niedrig. Sein Fazit: "Sexuelle Gewalt wird überall – und auch in Behörden – gewaltig unterschätzt."

Verwendete Quellen
  • Nachrichtenagentur dpa
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