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"Letzte Generation": So brutal darf die Polizei gegen Klimakleber vorgehen


Kann zu "Schmerzen führen"
So viel Gewalt erlaubt das Gesetz gegen "Klimakleber"

Von dpa, ne

Aktualisiert am 30.05.2023Lesedauer: 3 Min.
Polizisten tragen Klimaaktivisten weg (Symbolbild): Ein kursierendes Video zeigt Polizeigewalt – doch war sie gerechtfertigt?Vergrößern des BildesBeamte tragen einen Klimaaktivisten weg (Symbolbild): Das polizeiliche Vorgehen gegen die Sitzblockaden der Aktivisten löste eine heftige Diskussion aus. (Quelle: Jonas Gehring/imago images)
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"Klimakleber" sorgen bei Autofahrern für Frust, oft aber auch bei Polizisten, die Blockaden auflösen sollen. Wie weit dürfen die Beamten im Einsatz gehen?

Sie sitzen in Warnwesten auf Deutschlands Straßen, ihre Hände sind fest an den Asphalt geklebt: Seit Monaten halten Klimaaktivisten, die unter anderem der Bewegung "Letzte Generation" angehören, die Polizei in Atem.

Nicht immer geht es glimpflich zu, wenn Polizisten die Sitzblockaden auflösen: Immer wieder zeigen Videos, wie die Blockierer vor Schmerz schreien, während die Beamten sie von der Straße zerren. Besonders viel Aufsehen erregte zuletzt ein Fall in Berlin, zu dem Sie hier mehr lesen. Doch wann ist die Grenze legitimer polizeilicher Maßnahmen erreicht? Ab wann handelt es sich um unzulässige Polizeigewalt?

Berlins Polizeipräsidentin Barbara Slowik erklärte, es gebe eine gesetzliche Grundlage, auf der die Polizei Gewalt anwenden dürfe, wenn eine Person den Aufforderungen der Beamten nicht nachkomme. Hierbei handle es sich um "Maßnahmen des unmittelbaren Zwangs".

Das steckt hinter "unmittelbarem Zwang"

Ein Blick in den Gesetzestext zeigt, dass "unmittelbarer Zwang" zunächst definiert ist als "die Einwirkung auf Personen oder Sachen durch körperliche Gewalt, durch Hilfsmittel der körperlichen Gewalt und durch Waffen".

Unter körperlicher Gewalt sei dabei "jede unmittelbare körperliche Einwirkung auf Personen oder Sachen" zu verstehen – unter Hilfsmittel werden wiederum Fesseln, Reiz- und Betäubungsstoffe, Diensthunde, Dienstpferde, Dienstfahrzeuge, Wasserwerfer, technische Sperren und Sprengmittel gefasst.

Auch die erwähnten Waffen sind näher definiert: Damit seien dienstlich zugelassene Schusswaffen – also Pistolen, Revolver, Gewehre und Maschinenpistolen – sowie Schlagstöcke gemeint.

Weiter heißt es, wenn "unmittelbarer Zwang" angewendet werde, seien "von den möglichen und geeigneten Maßnahmen diejenigen zu treffen, die den Einzelnen und die Allgemeinheit am wenigsten beeinträchtigen". Jede Maßnahme dürfe nur so lange und so weit durchgeführt werden, wie ihr Zweck es erfordere. Insbesondere zu den Hilfsmitteln und Waffen sind in dem Gesetzestext deshalb umfassende Einschränkungen aufgezählt.

Slowik: Maßnahmen könnten "zu Schmerzen führen"

Den Einzelfall wollte die Berliner Polizeipräsidentin nicht bewerten. Doch es sei "rechtsstaatlich geboten, deutlich zu machen, dass die angekündigten Maßnahmen des unmittelbaren Zwangs zu Schmerzen führen können", so Slowik weiter.

Die Polizei wende keine sogenannten Schmerzgriffe an, die explizit Schmerz auslösen sollen. "Aber es gibt Griffe, die, wenn sich jemand etwa schwer macht oder fallen lässt beziehungsweise dem vorgegebenen Bewegungs- und Richtungsimpuls nicht folgt, zu Schmerzen führen können", sagte die Polizeipräsidentin. "Darüber sollen die Kollegen schon aufklären."

Der oberste Grundsatz sei es, dass bei der Anwendung unmittelbaren Zwangs verhältnismäßig gehandelt werde. "Was genau verhältnismäßig ist, ordnet im Einsatz entweder der Polizeiführer an oder entscheiden die Kollegen im Einzelfall."

Diskussion um Verhältnismäßigkeit entbrannt

Genau diese Verhältnismäßigkeit wird jedoch heftig diskutiert. In Bezug auf den Berliner Fall sah sie etwa der deutsche Ableger der Nichtregierungsorganisation Amnesty International als nicht gegeben an.

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"Eventuelle Gesetzesverstöße können beendet & geahndet werden, aber nicht mit unverhältnismäßigen Repressionen", schrieb die Menschenrechtsorganisation auf Twitter. Schmerzgriffe gegen "friedlich Demonstrierende" seien ein "No-Go", hieß es weiter.

Die Berliner Polizeipräsidentin verteidigte die polizeilichen Maßnahmen gegen Klimaaktivisten jedoch: Vielen Menschen sei nicht bewusst, was die Polizei dürfe. Das führe dazu, "dass legitime Maßnahmen des unmittelbaren Zwangs, die zugegebenermaßen nicht schön aussehen, als Polizeigewalt in einem illegitimen Sinn aufgefasst werden".

Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit

Neben der Verhältnismäßigkeit gibt es allerdings noch zwei weitere Grundsätze, die zur Bewertung von polizeilichen Maßnahmen angelegt werden können, erklärt der Anwalt Chan-jo Jun im Gespräch mit t-online. "Nach der Verhältnismäßigkeit muss die Frage nach der Erforderlichkeit gestellt werden", so der Jurist weiter.

"Die dritte Ebene ist schließlich die Angemessenheit", sagt Jun. Dieser Punkt werde auch als "Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn" genannt. Dabei finde eine Abwägung zwischen den Zielen der polizeilichen Maßnahme und der körperlichen Beeinträchtigung der Aktivisten statt, so Jun.

Der Anwalt erklärt, dass gerade hier viel Platz für Diskussion sei. Dabei könne die Anwendung von Schmerzen, die die Aktivisten nicht dauerhaft schädigen, sehr viel zielführender sein, um eine dauerhafte Straftat zu beenden und so die öffentliche Ordnung zu wahren, so Jun.

Verwendete Quellen
  • Mit Material der Nachrichtenagentur dpa
  • twitter.com: Profil von Amnesty Deutschland
  • policehumanrightsresources.org: "Gesetz über die Anwendung unmittelbaren Zwangs bei der Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Landes Berlin"
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