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Grevesmühlen: Experte fordert Investitionen nach rassistischem Angriff


Rassistischer Angriff in Grevesmühlen
Die Menschen wenden sich ab


Aktualisiert am 18.06.2024Lesedauer: 3 Min.
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Das "Thinghaus" in Grevesmühlen (Archivbild): Hier vernetzte sich jahrelang die rechtsextreme Szene in Nordwestmecklenburg.Vergrößern des Bildes
Das "Thinghaus" in Grevesmühlen (Archivbild): Hier vernetzte sich jahrelang die rechtsextreme Szene in Nordwestmecklenburg. (Quelle: imago stock&people)

Der rassistisch motivierte Angriff auf zwei ghanaischstämmige Mädchen hat die Republik schockiert. Wie normal ist rechte Gewalt in Mecklenburg-Vorpommern?

Acht Jugendliche aus einer Gruppe von 20 Personen attackieren zwei junge Mädchen – und deren Eltern, als diese ihnen zu Hilfe eilen. Der rassistische Angriff in Grevesmühlen in Mecklenburg-Vorpommern schockiert die Republik – und hat Reaktionen aus der Politik provoziert.

Doch von der Politik in Berlin und der Landeshauptstadt Schwerin haben sich viele Menschen in Mecklenburg-Vorpommern abgewandt. Das hat vielfältige Gründe, wie Daniel Trepsdorf von RAA – Demokratie und Bildung Mecklenburg-Vorpommern im Gespräch mit t-online erklärt.

Kreisgebietsreform als Grund für viele Probleme

"In Mecklenburg-Vorpommern gibt es viele strukturelle Probleme", sagt Trepsdorf. Ein wichtiger Punkt in der jüngeren Vergangenheit sei die Kreisgebietsreform 2011 gewesen. Damals wurden einige Landkreise im Bundesland zusammengelegt, aus zwölf Kreisen wurden sechs. "Mittlerweile liegen drei der fünf größten Landkreise Deutschlands in Mecklenburg-Vorpommern", so Trepsdorf.

So gehe der Kontakt zwischen Politikerinnen und Politikern sukzessive verloren, weil die Volksvertreter in den riesigen Flächenkreisen nicht überall sein können. "Allerdings braucht man die Kapillaren von verbindlichem persönlichen Austausch zwischen Bürgern und demokratischen Institutionen auch im ländlichen Raum, um zu verhindern, dass sich dort die Rechten breit machen", so Trepsdorf

Dass sich der Staat immer weiter aus dem Flächenland zurückzieht, macht es den Rechten leicht. "In Mecklenburg-Vorpommern gibt es menschenverachtende Traditionslinien, die sich seit den 1990er-Jahren ohne Bruch durch das Land ziehen", sagt Daniel Trepsdorf. Gerade Grevesmühlen habe eine besondere Bedeutung für die Szene.

Grevesmühlen als Treffpunkt für Rechtsextreme

In der Kleinstadt in Nordwestmecklenburg stand jahrelang das "Thinghaus", ein wichtiger Treffpunkt für die rechtsextreme Szene. Hier traf und vernetzten sich Neonazis, aber auch die NPD. Überregionale Bekanntheit erlangte der Treffpunkt, als die holocaustverharmlosende Aufschrift eines Grills öffentlich gemacht wurde. Im Thinghaus arbeiteten die Rechtsextremen daran, ihre Strukturen im ländlichen Raum zu festigen, mit Rechtsrockkonzerten finanzierten sie ihre Pläne.

Mittlerweile existiert das Thinghaus nicht mehr, doch die Strukturen gibt es noch. Sven Krüger, ein Rechtsextremer aus dem als "Nazidorf" bekannten Ort Jamel, wurde im Juni 2024 in die Gemeindevertretung seiner Heimatgemeinde gewählt. Krüger gehörte das Thinghaus in Grevesmühle - außerdem war er ein führender Kopf der Hammerskins, einer gewaltaffinen rechtsextremen Gruppierung, die im vergangenen Jahr verboten wurde. "Das muss man sich mal vorstellen", erklärt Daniel Trepsdorf. "Nicht wenige wählen da einen militanten Neonazi in die Gemeindevertretung, das ist nur schwer nachvollziehbar."

Die Jungen ziehen weg

Eine Gegenöffentlichkeit, die sich den Rechten entgegenstellen könnte, gibt es in Mecklenburg-Vorpommern kaum, berichtet Trepsdorf. Denn nirgendwo sonst gibt im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung es so viele Auspendler wie im Bundesland im äußersten Nordosten – das sind Menschen, die zu ihren Jobs an Werktagen in anderen Bundesländern leben. "Somit mangelt es schlussendlich an engagierten Menschen, um im Alltag die Gegenöffentlichkeit zu stärken", erzählt Daniel Trepsdorf.

Ein weiteres Problem sei der sogenannte Braindrain, also der Wegzug von meist jungen, gut ausgebildeten Menschen aus Mecklenburg-Vorpommern. "Schwerin ist die einzige Landeshauptstadt in Deutschland ohne Universität", so Trepsdorf. "Dieses Vakuum sorgt dafür, dass es weniger kulturelle Andockpunkte für die jüngere Generation gibt, mit deren Hilfe der Widerstand gegen Rechts leichter fallen würde."

Trepsdorf: Brauchen Investitionen ins Bildungssystem

Um dem Rechtsextremismus in Mecklenburg-Vorpommern langfristig etwas entgegenzusetzen, muss der Staat in die Jugend investieren, wenn es nach Trepsdorf geht. "Es braucht massive Investitionen in das Bildungssystem", sagt er. "Wir brauchen mehr Schulsozialarbeiter und für Rassismus sensibilisierte Lehrkräfte". Denn der Rassismus beginne schon in der Schule. "Wir werden oft in Klassen gerufen, in deren Chats rechtsextreme Memes oder verfassungsfeindliche geteilt werden", so Trepsdorf.

Auch die beiden ghanaischstämmigen Mädchen, die in Grevesmühlen angegriffen wurden, wurden bereits vor dem Angriff im Umfeld der Schule sowie im Stadtteil rassistisch beleidigt. Hier sieht Daniel Trepsdorf dringenden Handlungsbedarf vonseiten des Staates: "Die zarten zivilgesellschaftlichen Pflänzchen müssen unterstützt werden", sagt er.

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So ein "zivilgesellschaftliches Pflänzchen" könnte etwa ein Sportverein sein. Denn der Vater und der Bruder der Mädchen spielen bei Einheit Grevesmühlen. Am Montagabend kamen viele Mitglieder zusammen, um gemeinsam ein Zeichen gegen Rechtsextremismus zu setzen, wie Journalist Julius Geiler auf X berichtet. Für Donnerstag soll außerdem eine Menschenkette geplant sein. Einige Menschen in Mecklenburg-Vorpommern scheinen den Rechtsextremen nicht das Feld überlassen zu wollen.

Verwendete Quellen
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