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Der Puma von Braunsbedra rettet uns kurz aus der allgemeinen Finsternis


Tagesanbruch
Schluss mit dem Countdown zum Weltuntergang


Aktualisiert am 18.06.2025 - 05:39 UhrLesedauer: 7 Min.
Ein Puma in freier Wildbahn (Symbolbild): Ein solches Raubtier will ein Zeuge in Braunsbedra entdeckt haben.Vergrößern des Bildes
Ein Puma in freier Wildbahn (Symbolbild): Ein solches Raubtier soll angeblich Braunsbedra in Sachsen-Anhalt unsicher gemacht haben. (Quelle: H. Schmidbauer/imago-images-bilder)
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Guten Morgen liebe Leserin, lieber Leser,

manche Geschichten sind für eine Nachrichtenredaktion fast zu schön, um wahr zu sein. Die Idee, dass in einer kleinen sachsen-anhaltinischen Gemeinde ein ausgewachsener Puma um die Häuser streichen könnte, kann das Herz eines Nachrichten-Journalisten höher schlagen lassen. Das liegt in der Natur der Sache.

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Nachrichten sollten "aktuell" sein: Von einem Berglöwen in Braunsbedra hatten wir alle noch nie gehört, Sie vermutlich auch nicht, bevor dieses Video am Montagabend in Deutschland die Runde machte. Also Häkchen dran. Nachrichten sollten kurz und prägnant sein: "Puma in Braunsbedra?" Passt, Häkchen dran. Sie sollten für ein größeres Publikum von Bedeutung sein: schon schwieriger. Für Braunsbedra selbst gilt das sicher, denn mit einer hungrigen Raubkatze ist nicht zu spaßen. Und darüber hinaus? Na ja, wer weiß, wie weit solch ein Puma schleichen kann. Also mit etwas gutem Willen: Häkchen dran. Das schauen wir uns mal an.

Nun könnte man uns an dieser Stelle zur Ordnung rufen. Liebe t-online-Redakteure, bei aller Liebe! Ein einziges verwackeltes Handy-Video, auf dem schemenhaft ein Vierbeiner zu erahnen ist, und Ihr macht eine Geschichte daraus? Gibt's denn nichts Wichtigeres auf der Welt?

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Doch, das gibt es, natürlich. Überall auf der Welt. Auf Kiew hageln täglich Bomben nieder. In der Ukraine sind bis Ende Mai 13.341 Zivilisten dem Angriff von Wladimir Putins Truppen zum Opfer gefallen. Mindestens 710 von ihnen waren noch Kinder. An der Ostgrenze der Nato, in Polen, im Baltikum und anderswo, haben ganze Brigaden des westlichen Verteidigungsbündnisses Stellung bezogen, weil wir nicht mehr ausschließen können, dass Putin seine Finger nach unseren Freunden und Nachbarn ausstreckt. Der US-Präsident zündelt in seinem Land und anderswo. Und zwischen Israel und dem Iran fliegen Raketen, Drohnen und andere Höllenmaschinen hin und her. Sie zerstören Gebäude, Strukturen und Leben. Alles scheint dunkel zu werden.

Natürlich ist all das hundertmal relevanter als irgendein am Waldrand erahntes Vieh, das sich am Ende vielleicht als adipöser Kater entpuppt. Und trotzdem: Wir brauchen diese Geschichten. Inmitten all der Bedeutungsschwere, die uns im Jahr 2025 umgibt, hat Leichtigkeit ihre Berechtigung. Und sei es nur aus therapeutischen Gründen: Wir müssen mehr Puma wagen. Wir brauchen mehr Sommerloch-Tiere, gerade jetzt. Wie Sammy, den Kaiman. Wie die Schnappschildkröte Lotti. Oder nun eben die "Bestie von Braunsbedra", was immer sie sein mag. Spoiler: Wahrscheinlich kein Puma.

Als Redaktion beschäftigen wir uns hier bei t-online seit einer gefühlten Ewigkeit Tag für Tag, Stunde um Stunde mit vielen düsteren Situationen und Szenarien. Wir vermelden sie und analysieren sie. Wir ordnen ein und stellen Fragen an Experten, so wie mein Kollege Marc von Lüpke, der den Politologen Stephan Bierling dazu befragt hat, wie Donald Trump die Lage in der Ukraine oder im Nahen Osten beruhigen könnte, wenn er es denn wollte.

Und wenn Sie, liebe Leser, bei uns regelmäßig zu Gast sind, dann beschäftigen Sie sich offenbar auch damit. Wir teilen wahrscheinlich dieselben Sorgen. Um uns selbst, unsere Heimat, unsere Familien, um die Zukunft. Manchem ist längst schwindlig geworden in all den Schreckens- und Empörungsspiralen, die sich unentwegt weiterdrehen.

Nur 55 Prozent der Internetnutzer geben noch an, dass sie "äußerst oder sehr" an Nachrichten interessiert sind. Das ist das Ergebnis einer neuen Studie des Leibniz-Instituts für Medienforschung in Hamburg. Fast drei Viertel der Befragten, nämlich 71 Prozent, entziehen sich demnach zumindest gelegentlich der allgemeinen Nachrichtenlage. Tendenz steigend. 13 Prozent tun dies sogar oft. Warum? Weil die allgemeine Düsternis auf ihre Stimmung drückt, sagen 48 Prozent, 39 Prozent fühlen sich ermüdet von der Masse der Berichterstattung über Krieg und Krisen.

Das ist leider keine Lösung. Der Puma, der hungrig im Unterholz lauert, geht auch nicht weg, nur weil man sich die Augen zuhält. Verständlich ist es trotzdem. Für uns als Medienschaffende bedeutet das: Nachrichten müssen, trotz allem, mehr sein, als täglich den Countdown zum Weltuntergang herunterzuzählen.

Wer nur noch mit Horrorszenarien arbeitet und Botticellis Inferno nachahmt, der hat vielleicht in ein paar Jahren weite Teile der Bevölkerung von der Nachrichtennutzung vergrault. Die Vertriebenen laufen dann aber Gefahr, in den sozialen Medien auf der Suche nach Licht und Lösung Lügnern, Blendern und Schaumschlägern aufzusitzen. Die Folgen für die Gesellschaft und die Demokratie könnten dramatisch sein.

Umso mehr müssen wir Medien uns der gesamten Lebenswirklichkeit unserer Leser widmen, nicht nur ihren Urängsten und -sorgen. Es braucht auch leichtere, positivere, eskapistische Geschichten. Es braucht Beratung, Service, Unterhaltung, den Sport, die Show. Wenn an allen Ecken und Enden der Spaß vorbei sein soll, die Zeiten sich wenden, Schlimmes droht und der Untergang bevorzustehen scheint, ist es erholsam, ja heilsam, über Überraschendes zu staunen, sich über Skurriles zu wundern und über Absurdes zu schmunzeln.

Skurriles, wie die Raubkatze von Braunsbedra, deren Gefährlichkeit sich inzwischen doch als deutlich geringer herauszustellen scheint als zunächst gedacht. Bei einer weiteren Sichtung am Dienstagabend soll das Tier deutlich kleiner gewirkt haben als auf dem zuvor angesprochenen Handy-Video. Und ein totes Kalb, dessen abruptes Ableben dem "Puma" bereits angelastet worden war, soll nach längerem Hinsehen doch eher von Raben zerhackt worden sein. Wie bereits erwähnt: Vielleicht war die Geschichte einfach zu schön, um wahr zu sein.

Selbst wenn der Berglöwe in Wirklichkeit eine Katze mit Wachstumsstörungen, ein Luchs oder ein ordinäres Wildschwein gewesen istSie erinnern sich sicherlich noch an die "Löwin", 2023 im Berliner Grunewald – so hat es sich gelohnt, ihm nachzuspüren. Weil es unterhaltsam ist und beim Durchatmen hilft, in Zeiten von Horrornachrichten.

Denn am Ende taugt auch die ärmste Wildsau, die mal als Königin der Tiere in unsere Timelines gesprungen ist, mit etwas Abstand als nette Erinnerung. Für Hauptstädter ist der Gedanke an die verrückten zwei Tage mit der "Schweinskatze" eine wunderbare Schnurre über ihre Stadt, und für alle Nichtberliner ein Beweis dafür, wie verrückt die Spree-Metropole manchmal sein kann. Und selbst wenn wir mitunter mal einem Sammy, einer Lotti oder einem "Puma" hinterherschnüffeln, so können Sie ganz sicher sein: Der Löwenanteil unserer Aufmerksamkeit gilt auch weiterhin anderen Geschichten. Wichtigeren. Relevanteren. Leider aber auch düstereren.

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Ohrenschmaus

Naheliegenderweise wäre das unser Song des Tages. Wir wünschen dem "Puma" (oder der dicken Katze) einen gesegneten Schlaf, möglichst wenig Hunger und eine baldige sichere Rückkehr. Wo immer sie herkam.


Was steht an?

Mindestens ebenso rar wie ein Puma in Mitteldeutschland macht sich traditionell: Geld in der Staatskasse. Umso verbissener werden Bund, Länder und Kommunen bei der Ministerpräsidentenkonferenz heute darum ringen, wie die steuerlichen Lasten des "Investitionsboosters" zwischen ihnen verteilt werden. Zur Erinnerung: Die Bundesregierung möchte eine Gesetzesinitiative starten, die die Körperschaftsteuer ab 2028 deutlich senkt und unter anderem die Abschreibungsmöglichkeiten für Unternehmen stark erweitert, die in Maschinen, Geräte und Elektroautos investieren.

Daran hat grundsätzlich niemand etwas auszusetzen: Wer könnte schon Nein sagen, wenn es darum geht, die stotternde Wirtschaft anzukurbeln? Allerdings gehen die Länder davon aus, dass der "Booster" die Staatseinnahmen um etwa 50 Milliarden Euro reduzieren dürfte. Ein Drittel dieses Defizits will der Bund schultern, zwei Drittel blieben demnach bei Ländern und Kommunen. "Zu viel", widersprechen die, "ungerecht" sei dieser Schlüssel. Unter der turnusgemäßen Leitung von Sachsen wird heute darüber diskutiert, auch im Beisein von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU). Die Landeschefs wie Berlins regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) hoffen auf eine Lösung des Steuerstreits, aber nur wenige glauben wirklich daran.


Bei der U21-EM in der Slowakei wird ein absoluter Klassiker angepfiffen: Deutschland gegen England. Es geht um Platz 1 in der Vorrundengruppe B, vor allem aber um viel Prestige, das Erbe von fast einem Jahrhundert Fußball-Geschichte und vor allem: um einen Blick in die Zukunft. Nick Woltemade vom VfB Stuttgart ist das heißeste Eisen, das der DFB derzeit im Feuer hat. Der 23-Jährige hat für die deutschen Junioren in zwei EM-Spielen vier Tore erzielt und lässt die Fans von Zeiten träumen, in denen noch echte Torjäger den Adler auf der Brust trugen. Gegen England zu treffen, hat schon manchen deutschen Kicker groß gemacht. Ab 21 Uhr hat er die Gelegenheit dazu.


Das historische Bild

1985 wurde ein Anschlag auf die Organisation Greenpeace verübt. Mehr lesen Sie hier.


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Die Eskalation zwischen Israel und dem Iran hält die Welt in Atem. Sie hat rund um den Globus sicherheitspolitische Folgen. Doch wer profitiert von der Lage? Diese und viele Fragen mehr hat mein Kollege Simon Cleven dem Politikwissenschaftler Christian Mölling gestellt.


Stichwort Eskapismus, und zwar mit Sternchen: Der neue Guide Michelin weist eine Rekordzahl ausgezeichneter Küchen in Deutschland aus – und zwei neue Drei-Sterne-Restaurants. Mein Kollege Markus Abrahamczyk hat aufgeschrieben, wo Deutschlands hochdekorierte Küchenchefs zaubern.


Zum Schluss

Kommen Sie gut in den neuen Tag. Morgen schreibt Ihnen unser Chefredakteur Florian Harms hier an dieser Stelle.

Ihr Philipp Michaelis
Bereichsleiter Aktuelles
Twitter: @philmich1

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Mit Material von dpa.

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