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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Politologe Bierling "Dann wird Trump das um die Ohren fliegen"

Der Ukraine-Krieg tobt weiterhin, zugleich spitzt sich die Lage um den Iran zu. Welches Kalkül verfolgt Donald Trump? Politologe Stephan Bierling erklärt, welche Optionen der US-Präsident hat.
Um den Ukraine-Krieg sollte es am zweiten Tag des G7-Gipfels in Kanada gehen – und Donald Trump zu mehr Druck auf Russland bewegt werden. Eigentlich. Doch der US-Präsident ist vorzeitig abgereist.
Hat das mit den israelischen Schlägen gegen das Regime in Teheran zu tun? Und was wird nun aus der angegriffenen Ukraine, die dringend weitere Hilfe aus dem Westen braucht? Stephan Bierling, Politologe und USA-Experte, analysiert Trumps Verhalten und mögliche Ziele der USA in Bezug auf den Iran und die Ukraine.
t-online: Professor Bierling, das iranische Regime steht durch die israelischen Angriffe unter schwerem Druck. Könnten die USA unter Donald Trump diese Schwäche womöglich ausnutzen?
Stephan Bierling: Wir haben tatsächlich keine Ahnung, was Trump vorhat. Seine vorzeitige Abreise vom G7-Gipfel kann mit der Lage im Iran zu tun haben, muss es aber nicht. Vielleicht wollte er einfach die Alliierten brüskieren, eventuell wollte er auch Wolodymyr Selenskyj nicht erneut treffen. Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, darunter auch diejenige, dass er nun tatsächlich eine Gelegenheit in Sachen Iran sieht.
Welche?
Es gibt Signale aus Teheran, dass das Regime in diesem Krieg mehr oder weniger mit dem Rücken zur Wand kämpft. Trump wiederum will als großer Friedensstifter in die Geschichtsbücher eingehen, das ist eine fixe Idee von ihm. Ihm schwebt der Friedensnobelpreis vor.
Trump will es seinem also Vorgänger Theodore Roosevelt gleichtun, der 1906 den Friedensnobelpreis für die Vermittlung im Russisch-Japanischen Krieg erhalten hatte?
Trump denkt in diesen Kategorien. Er ist allerdings kein Politiker von der Statur eines Theodore Roosevelt, dafür braucht es mehr Vorbereitung, mehr Detailkenntnis, mehr harte Arbeit und nicht nur diese "Ankündigungen", wie sie Trump bislang liefert.
Zur Person
Stephan Bierling, geboren 1962, lehrt Internationale Politik an der Universität Regensburg. Der Politologe war Gastprofessor in den USA, in Israel, Australien und Südafrika. 2013 wurde Bierling von der Zeitschrift "Unicum" zum "Professor des Jahres" gewählt. Regelmäßig analysiert Bierling für große Medienhäuser politische Entwicklungen in Deutschland und den Vereinigten Staaten. Nach seinem Spiegel-Bestseller "America First. Donald Trump im Weißen Haus. Eine Bilanz" (2020) brachte Bierling im Dezember 2024 sein Buch "Die Unvereinigten Staaten. Das politische System der USA und die Zukunft der Demokratie" in einer um Donald Trumps Wahlsieg erweiterten Neuauflage heraus.
Die israelische Regierung unter Benjamin Netanjahu will hingegen den Sturz des Mullah-Regimes erreichen. Und hofft anscheinend auf die militärische Unterstützung der USA. Ist dieser Fall realistisch?
Das halte ich für eher unwahrscheinlich. Trump hat dem größten Flügel seiner breiten "Make America Great Again"-Koalition immer versichert, dass er Amerika nicht in neue Kriege involvieren, sondern sie im Gegensatz zu den "Bidens" und "Obamas" aus Kriegen herausführen wolle. Das ist nun Trumps gefärbte Sichtweise, aus Afghanistan hat er die US-Truppen ja bekanntlich nicht heimgeholt, das hat Joe Biden getan. Aber wenn er nun militärisch gegen den Iran vorgehen sollte, dann wird Trump das um die Ohren fliegen.
Also kann die vorzeitige Abreise vom G7-Gipfel alles oder nichts bedeuten?
So ist es. Trump liebt das Drama, das prägt seinen gesamten Regierungsstil, schon vor seiner Zeit im Weißen Haus hat er so agiert. Das war so, als er sich als Immobilienhai in New York betätigte, das war auch so in seiner Zeit als Star seiner TV-Show "The Apprentice". Jede gute Serie braucht eine Art Cliffhanger, damit die Leute beim nächsten Mal wieder einschalten. In Kanada beim G7-Gipfel hat es doch auch funktioniert: Die ganze Welt – auch wir beide – rätseln, was ihn wohl umgetrieben hat. Trump spielt auf der Öffentlichkeit und den Medien wie auf einer Fidel.
Was wird Trump im Hinblick auf den Iran nun aber wohl tun?
Trump könnte zunächst abwarten und die Israelis weitermachen lassen. Dann schaut er, was passiert. Mit dem Angriff auf den Iran ist Israel ein strategischer und machtpolitischer Meisterstreich gelungen. Allerdings sind Kriege immer sehr heikel, weil man oft nicht weiß, wie man sie beenden kann. Für Netanjahu gibt es im Moment keinen richtigen Plan B, was sich daran zeigt, dass er am Anfang gar nicht von einem Regimewechsel sprach, nun aber schon. Die Zerstörung der unterirdischen Nuklearanlagen in Natans und Fordo ist nicht erfolgt – sie kann wahrscheinlich auch nicht ohne US-Unterstützung gelingen, weil nur diese über die entsprechenden Waffen verfügen. Es sei denn, der israelische Geheimdienst Mossad überrascht uns alle noch einmal.
Die Ausweglosigkeit der Lage könnte also Trump als Vermittler ins Spiel bringen?
Das könnte Trumps Chance sein, irgendetwas zu vermitteln. Denn wenn eine Stimme in der Region gehört wird, dann ist es die amerikanische. Die Europäer sind in dieser Weltregion eine Nullnummer, auch eine Vermittlerrolle Russlands wäre schwierig. Auf Israel haben überhaupt nur die Amerikaner begrenzten Einfluss, niemand sonst auf diesem Planeten.
Die Mullahs im Iran haben Israel zum Todfeind erklärt und wollen das Land vernichten. Ist eine Art Frieden vor diesem Hintergrund realistisch?
Letzten Endes sind die Mullahs sehr an ihrem eigenen Überleben interessiert. Das gilt auch für die Islamische Revolutionsgarde und andere Gruppen. Selbst einen mittel- oder langfristigen Krieg mit Israel können sie angesichts der fehlenden Luftabwehr und der zerstörten Abschussrampen für Raketen nicht lange durchhalten. Vielleicht beknien die Mullahs Trump bald geradezu, doch auf die Israelis einzuwirken und die Sache zu beenden. Das wäre ein denkbares Szenario.
Ein Regimewechsel im Iran wird von außen allein nicht zu bewerkstelligen sein. Könnte die Schwäche des Regimes neue Proteste bis hin zum offenen Aufstand einleiten?
Was die iranische Führung mit den Protestierenden seit September 2022 gemacht hat, ist ein Verbrechen allererster Kategorie. Gerade erst hat das Regime ja wieder Menschen hingerichtet. Wegen ihrer ruchlosen Brutalität sind die Mullahs und Revolutionswächter aus gutem Grund bei großen Teilen der Bevölkerung verhasst. Das wird aber nicht automatisch zum Aufstand führen.
Also wird es am Ende auf einen Waffenstillstand hinauslaufen.
Diese Möglichkeit könnte sich ergeben. Dazu sind eventuell harte Sanktionen und eine stärkere Überwachung des iranischen Atomprogramms denkbar. In den letzten Jahren ist die Kontrolle ziemlich löchrig geworden. Insgesamt steht der Iran seit der Terrorattacke der Hamas auf Israel vom 7. Oktober 2023 vor einem Scherbenhaufen. Israel ist so stark wie nie zuvor in seiner Geschichte, das ganze iranische Stellvertretersystem vor allem in Form der Hisbollah und Hamas liegt hingegen in Trümmern. Dabei hat der Iran dieses System ziemlich clever über Jahrzehnte aufgebaut. Machtpolitisch ist das für die Mullahs eine Katastrophe.
Während der Iran für Donald Trump weit oben auf der Agenda steht, bringt er für die von Russland bekriegte Ukraine weit weniger Interesse auf. Woran liegt das?
Grundsätzlich würde Trump gern als der schnelle Friedensstifter in die Geschichte eingehen. Daran ist Trump überaus interessiert. Er hat ja einmal versprochen, den Krieg gegen die Ukraine binnen 24 Stunden zu beenden. Da hat Trump den Mund zu voll genommen. Es kommt aber noch ein weiteres Detail zum Tragen: Zu den wenigen Konstanten, die wir in Trumps Außenpolitik erkennen können, bildet die Hochachtung für Wladimir Putin eine Konstante. Er verehrt Putin geradezu. Seit es Trump in die Politik gezogen hat, verhält er sich gegenüber Putin unterwürfig. Das ist die Konstante vom ersten Tag an.
Haben Sie eine Erklärung?
Es ist noch immer nicht völlig ausgeschlossen, dass es kompromittierendes Material gegen Trump gibt, seit er 1987 und später in Russland war. Entweder, weil er als Einflussagent angeworben worden sein könnte oder sich irgendwelche Sachen hat zuschulden kommen lassen. Das lässt sich weder bestätigen noch ausschließen. Wir haben keinen Zugriff auf die entsprechende Akte, die sich nach Aussage des kasachischen Geheimdienstchefs direkt bei Putin befinden soll. Das wäre eine Möglichkeit.
Welche gibt es noch?
Eine andere Erklärung ist die unglaubliche Eitelkeit und Verehrung für einen "starken Mann", für Autokraten und Diktatoren, die Trumps ganzes Leben im Grunde kennzeichnet. Trump hat immer aufgeschaut zu Leuten, die durchregieren konnten, die sich nicht um demokratische Gepflogenheiten, Koalitionen, Verfassungen und Ähnliches kümmern mussten. Damit hat Putin Trump schwer beeindruckt, eigentlich will er wie Putin durchregieren.
Da ist die angegriffene Ukraine Trump also tatsächlich eher lästig?
Sie ist für Trump nur Spielmasse in der engen Zusammenarbeit mit Russland. Wir dürfen nicht vergessen, dass er 2019 Selenskyj erpresst hat, um belastendes Material gegen Hunter Biden, Joe Bidens Sohn, zu bekommen, der für eine ukrainische Firma gearbeitet hat. Das Schicksal der Ukraine an sich dürfte Trump ziemlich egal sein.
Was könnte der Ukraine nun drohen?
Hoffen wir, dass Trump von der dortigen Situation abgelenkt ist. Wir haben andere Situationen erlebt, in denen Trump Selenskyj etwa im Weißen Haus vorgeführt hat. Schrecklich war es auch, als er die Waffenhilfe und die Informationshilfe über die Geheimdienste eingestellt hat. Das hatte sofort massive Konsequenzen für die Ukraine. Nun wird im Juli das Hilfspaket auslaufen, das Joe Biden noch durch den Kongress gebracht hat. Wir Europäer können das nicht alles wettmachen, sollten aber dringend endlich auf eigenen Füßen stehen. Nicht zuletzt, um der Ukraine besser helfen zu können.
Professor Bierling, vielen Dank für das Gespräch.
- Persönliches Gespräch mit Stephan Bierling via Videokonferenz