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Kai Wegner im Interview: "Wir erleben in Teilbereichen eine Überforderung"


Berlins Bürgermeister Kai Wegner
"Die neue Bundesregierung ist das Gegenteil der Ampel"


16.06.2025 - 17:30 UhrLesedauer: 8 Min.
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Kai Wegner beim Gespräch in seinem Büro: "Nur mit Ordnung kann unsere humanitäre Verantwortung dauerhaft bestehen." (Quelle: Dominik Butzmann)
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Im Gespräch mit t-online äußert sich Kai Wegner zur angespannten Finanzsituation der Bundesländer und formuliert einen Wunsch an die Bundesregierung.

Seit 2023 ist Kai Wegner Regierender Bürgermeister in der Hauptstadt, als erster CDU-Politiker seit Eberhard Diepgen. Im Interview spricht er über den Start der Merz-Regierung, die anstehende Ministerpräsidentenkonferenz, Kürzungen bei der Berliner Kultur und den Wahlkampf, der 2026 in Berlin schon wieder ansteht.

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t-online: Herr Wegner, die Bundesregierung streitet über den richtigen Umgang mit Russland, über das Bürgergeld und über die Migrationspolitik. Man könnte fast meinen, die Ampel sei noch im Amt, oder?

Kai Wegner: Die neue Bundesregierung ist das Gegenteil der Ampel. Sie diskutiert, aber sie findet auch zu guten Lösungen – das ist der große Unterschied. Die ersten Wochen dieser neuen Bundesregierung unter Friedrich Merz stimmen mich sehr optimistisch, dass das Land nach vorn kommt. Wir haben wieder eine Regierung, die entschlossen die Probleme angeht. Deutschland ist wieder eine starke Stimme in Europa und in der Welt.

Aber schauen wir auf das Beispiel Migration, das für Ihre CDU ein wichtiges Wahlkampfthema war. Der SPD-Fraktionschef Matthias Miersch sagt jetzt, pauschale Zurückweisungen werde es nach der Entscheidung des Berliner Verwaltungsgerichts nicht mehr geben können. Denken Sie das auch?

Zurückweisungen an den Grenzen wurden im Koalitionsvertrag mit der SPD verabredet. Der Innenminister geht diesen Weg sehr konsequent. Und das ist auch richtig. Alle Bundesländer haben parteiübergreifend übrigens schon im November 2023 einen Kurswechsel in der Migrationspolitik gefordert, nur hat die alte Bundesregierung das nie umgesetzt. Die neue Koalition in Berlin stellt jetzt sicher, dass Humanität und Ordnung wieder zusammengeführt werden. Denn klar ist: Nur mit Ordnung kann unsere humanitäre Verantwortung dauerhaft bestehen.

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(Quelle: Dominik Butzmann)

Zur Person

Kai Wegner wurde 1972 in Berlin geboren. Er wuchs in Spandau auf und trat 1989 in die CDU ein. 2011 bis 2016 war er Generalsekretär der Berliner CDU, seit 2019 ist er Landesvorsitzender. Nach 16 Jahren im Bundestag kehrte er 2021 ins Berliner Abgeordnetenhaus zurück. Seit dem 27. April 2023 ist er Regierender Bürgermeister von Berlin.

Die Bundesregierung beruft sich für die Zurückweisungen auf einen Artikel im Europarecht, der zur "Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung" und zum "Schutz der inneren Sicherheit" eine Ausnahme vom normalen Verfahren vorsieht. Sind Ordnung und Sicherheit in Berlin gerade gefährdet?

Wir erleben in Teilbereichen eine Überforderung: bei der Unterbringung der Geflüchteten, aber auch bei der Integration, im Bildungssystem und auf dem Arbeitsmarkt. Das ist eine Situation, die wir nicht nur in Berlin haben. Alle Ministerpräsidenten schildern, dass ihre Länder und Kommunen überfordert sind. Es gibt zwar gerade eine Entlastung durch geringere Ankunftszahlen, aber trotzdem kommen noch täglich Geflüchtete zu uns. Deshalb muss dieser Weg, die irreguläre Migration zu stoppen, konsequent fortgesetzt werden.


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Derzeit sehe ich noch keinen Anlass, dass Zurückweisungen eingestellt werden müssen.


Kai Wegner


Die Präsidentin des Berliner Verwaltungsgerichts, Erna Viktoria Xalter, hat beklagt, dass nach der Entscheidung ein Richter gezielt diffamiert worden sei, mit dem Ziel, Gericht und Justiz zu delegitimieren. Teilen Sie diese Kritik?

Das kann ich nicht beurteilen. Klar ist, dass wir unabhängige Gerichte haben und Urteile zu akzeptieren sind. Wir haben hier aber Einzelfallentscheidungen, und die Bundesregierung muss diese jetzt prüfen. Derzeit sehe ich noch keinen Anlass, dass Zurückweisungen eingestellt werden müssen. Aber natürlich müssen wir prüfen, ob Gesetzesänderungen in Deutschland oder in Europa notwendig sind, damit die Zurückweisungen rechtssicher sind.

Bund und Länder verhandeln gerade mal wieder übers Geld. Es ist eine Debatte, die sich regelmäßig wiederholt: Niemand will zu viel zahlen. Bis wann braucht es eine Lösung?

Es geht nicht ums Wollen, sondern ums Können. Die Bundesregierungen haben in der Vergangenheit immer wieder Beschlüsse gefasst, die die Haushalte der Länder belasten. Das will ich gar nicht nur der Ampel zuschreiben. Wir sind jetzt an einem Punkt, an dem die Länder einfach nicht mehr können.

Heißt das, im Zweifel sollte es weniger dieser teuren Beschlüsse geben?

Ich finde die Maßnahmen der Bundesregierung zur Senkung der Energiekosten und der Steuern richtig. Aber sie werden eben auch den Berliner Landeshaushalt belasten, genau wie jeden anderen Landeshaushalt. Alle Bundesländer haben große Probleme bei der Haushaltsaufstellung, genau wie der Bund. Wir müssen hier zu einem Verfahren kommen, das die Lasten gerecht verteilt. Ich wünsche mir das Prinzip: Wer bestellt, der bezahlt.

Aber noch mal, braucht es überhaupt alle Bestellungen? Eine der Reformen sieht vor, die Mehrwertsteuer in der Gastronomie zu senken. Glauben Sie, das führt wirklich dazu, dass die Menschen in Berliner Restaurants am Ende weniger zahlen müssen?

CDU, CSU und SPD haben sich auf diese Reform im Koalitionsvertrag geeinigt. Ich verstehe, dass diejenigen, die dafür gekämpft haben, sich nun dafür einsetzen …

… Sie meinen die CSU, deren Herzensprojekt das ist.

Der Koalitionsvertrag muss umgesetzt werden. Und auch in Berlin ist die Situation für die Gastronomie und Hotellerie weiterhin aus unterschiedlichen Gründen angespannt. Ein Hauptgrund ist übrigens der Arbeitskräftemangel. Für mich hat die Mehrwertsteuersenkung aber nicht die oberste Priorität. Ich finde die Reihenfolge, die die Bundesregierung gewählt hat, sehr richtig.

Sie haben mit anderen Unions-Ministerpräsidenten in einem Brief als Ausgleichsmechanismus vorgeschlagen, dass die Höhe des Länderanteils an der Umsatzsteuer automatisch wachsen könnte. Klingt kompliziert.

Wir führen Gespräche mit dem Bund, es gibt da ganz unterschiedliche Möglichkeiten. Beim Weg sind wir flexibel. Am Ende muss es zu einer Entlastung der Länder kommen, wenn Maßnahmen des Bundes die Landeshaushalte belasten. Es braucht ein Entgegenkommen. Und das, obwohl der Bund ja jetzt argumentiert, dass es nun auch das Sondervermögen für die Länder gibt …

… und die Grundgesetzänderung, die den Ländern jetzt erlaubt, insgesamt 0,35 Prozent der Wirtschaftsleistung an Schulden aufzunehmen …

… ja, das ist richtig. Aber es darf nicht sein, dass das Sondervermögen für die Infrastruktur jetzt dazu dient, Haushaltslöcher zu stopfen, die durch Bundesentscheidungen entstanden sind. Dieses Sondervermögen ist ausdrücklich für Investitionen in die Zukunft gedacht. Es muss daher getrennt behandelt werden und darf nicht mit den finanziellen Folgen bundespolitischer Maßnahmen verrechnet werden.

Ist eine Lösung bei der Ministerpräsidentenkonferenz an diesem Mittwoch denkbar?

Das wäre wünschenswert. Es wird auf jeden Fall um diese Themen gehen. Ich bin insgesamt optimistisch. Ich bin mir sicher, dass Friedrich Merz und die Bundesregierung sehen, unter welchem Druck die Länder stehen.

Fahren Sie eigentlich regelmäßig U-Bahn in Berlin?

Ehrlicherweise selten. Aber ich bekomme natürlich mit, wie angespannt die Situation ist.


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Berlin war, ist und bleibt eine Kulturmetropole von Weltrang.


Kai Wegner


Die BVG steckt seit vergangenem Jahr massiv in der Krise. 2024 haben Sie noch gesagt, dass 2025 Besserung kommen soll. Davon ist nichts zu spüren. Was läuft schief?

Das Jahr 2025 ist noch nicht vorbei – und wir nutzen es. Über viele Jahre wurde zu wenig in den Fahrzeugbestand investiert, was zu Engpässen und zu weniger Zügen geführt hat. Noch in diesem Jahr werden neue Züge in Betrieb genommen. Unser Ziel ist klar: Wir wollen die BVG stabilisieren. Die BVG soll wieder verlässlich für alle Berlinerinnen und Berliner fahren. Das lässt sich nicht über Nacht erreichen, aber wir arbeiten entschlossen daran – gemeinsam mit der Verkehrssenatorin und dem Vorstand der BVG.

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Die Kultur war mal ein Aushängeschild Berlins. Jetzt leidet die Szene unter den massiven Kürzungen, die ihr von Ihrer Regierung auferlegt wurden.

Berlin war, ist und bleibt eine Kulturmetropole von Weltrang. Viele Menschen kommen gerade wegen der einzigartigen kulturellen Vielfalt zu uns – und sie gehört zum Selbstverständnis dieser Stadt. Die angespannte Haushaltslage zwingt uns zu Einsparungen in nahezu allen Bereichen – leider auch in der Kultur. Doch wir handeln mit Augenmaß. Wir prüfen sehr genau, wo und wie Kürzungen möglichst verantwortungsvoll gestaltet werden können. Dazu haben wir den Kulturdialog ins Leben gerufen – ein regelmäßiger Austausch zwischen Kultursenatorin Sarah Wedl-Wilson, den Kultureinrichtungen dieser Stadt und mir. Aus der Kulturszene kommen viele konstruktive Vorschläge. Vielen ist selbst bewusst, dass auch die Kultur in einer solchen Situation einen Beitrag zur Haushaltskonsolidierung übernehmen muss und dass es in Sachen Effizienz und Strukturen Nachholbedarf gibt. Mein Ziel ist klar: Wir wollen keine Bühne in Berlin schließen. Wir arbeiten gemeinsam mit den Kultureinrichtungen an Lösungen, die Berlin als Kulturmetropole von Weltrang sichern und stärken.

Viele Kulturschaffende haben Existenzängste und fühlen sich nicht mehr willkommen in der Stadt. Was sagen Sie denen?

Ich bin bei vielen Veranstaltungen unserer Bühnen und spreche viel mit Intendanten und Geschäftsführern. Wir arbeiten gemeinsam an einer langfristigen Perspektive für die Kultur und somit für die Kulturschaffenden. Kultur ist Teil unserer Berliner Identität. Was in den Theatern, Konzerthäusern und Ateliers dieser Stadt entsteht, ist von unschätzbarem Wert.

Während der Kürzungsverhandlungen im vergangenen Jahr munkelte man, dass sich der inzwischen zurückgetretene Kultursenator Joe Chialo hat über den Tisch ziehen lassen. Ihre Verabschiedung bei seinem Rücktritt wirkte unterkühlt. Was hat er falsch gemacht?

Joe Chialo ist ein großartiger Mensch, den ich sehr schätze. Er hat sich entschieden, das Amt nicht mehr bekleiden zu wollen. Mit Sarah Wedl-Wilson haben wir eine exzellente Nachfolgerin als Senatorin für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt.

Wedl-Wilson hat Chialo kürzlich in einem Interview scharf kritisiert.

Wie gesagt: Wir gestalten gemeinsam mit den Kultureinrichtungen die Zukunft der Bühnen, Museen, Gedenkorte und der freien Szene – und schauen gemeinsam nach vorn.

Sie sind erst seit gut zwei Jahren Regierender Bürgermeister, 2026 steht aber schon wieder die nächste Wahl an. Zeit für eine Bilanz. Was auffällt: Viele Ihrer selbst gesetzten Fristen konnten Sie nicht halten. Den Zaun um den Görlitzer Park haben Sie für 2024 angekündigt, er steht bis heute nicht. Auch das für 2023 erklärte Ziel, dass man im Bürgeramt innerhalb von 14 Tagen einen Termin bekommt, wurde bisher nicht erreicht. Warum setzen Sie sich selbst Fristen, die Sie nicht einhalten?

Gegen den Zaun um den Görlitzer Park hat der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg mehrfach Klage eingereicht. Sonst würde der Zaun heute wahrscheinlich schon stehen. Jetzt ist es aber so weit, der Zaun wird bald errichtet. Das 14-Tage-Ziel haben wir noch nicht vollständig erreicht – aber wir kommen diesem Ziel näher. Wer eine Dienstleistung im Bürgeramt braucht, bekommt sie. Täglich werden neue kurzfristige Termine freigeschaltet, und inzwischen können mehr als 350 Dienstleistungen online erledigt werden. Wir haben 100 neue Mitarbeiter eingestellt, zusätzliche Standorte eröffnet und die Digitalisierung deutlich vorangetrieben. Ich bin regelmäßig in den Bürgerämtern vor Ort – und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter berichten mir, dass unsere Maßnahmen wirken.


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Diesen Weg möchte ich auch nach der Wahl 2026 weitergehen.


Kai Wegner


Noch mal: Warum setzen Sie sich Fristen, die dann nicht einhaltbar sind?

Ich war zu Anfang meiner Amtszeit wohl ein bisschen zu optimistisch. Ich spreche heute weniger über Fristen, sondern über die Dinge, die ich für die Berlinerinnen und Berliner bewegen will. Wie zum Beispiel die Verwaltungsreform, die schon seit fast 25 Jahren diskutiert wurde und die wir jetzt endlich auf den Weg bringen.

Was würden Sie im Fall einer Wiederwahl definitiv anders machen?

Als Regierender Bürgermeister lernt man täglich dazu. Mein Ziel ist es, den aktuellen Berliner Regierungsstil weiterzuführen. Ohne Streit, sondern mit pragmatischen Lösungen. Diesen Weg möchte ich auch nach der Wahl 2026 weitergehen – und gute Lösungen für die Berlinerinnen und Berliner finden. Sei es beim Wohnungsbau, in der Sicherheits-, Bildungs-, Verkehrs- oder Gesundheits- und Wissenschaftspolitik. Wir haben noch sehr viel zu tun.

Das heißt, Sie treten wieder an?

Lassen Sie sich überraschen. Das Amt ist spannend und herausfordernd. Man spürt täglich die Verantwortung, die man für die Berlinerinnen und Berliner hat. Aber die Aufgabe, Berlin zu einer funktionierenden, noch lebenswerteren Stadt zu machen, macht mir sehr große Freude.

Vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Kai Wegner am 13. Juni 2025
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