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Besetzte Gebiete in der Ukraine: Der Ablauf der Scheinreferenden


Scheinreferenden in den besetzten Gebieten
"Man wird die Leute zu den Urnen karren"


Aktualisiert am 23.09.2022Lesedauer: 4 Min.
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Propagandaaktion vor dem Scheinreferendum in Luhansk.Vergrößern des Bildes
Propagandaaktion vor dem Scheinreferendum in Luhansk. (Quelle: dpa)

Hals über Kopf verkündeten die Verwaltungen in den besetzten ukrainischen Gebieten, es werde schon Ende der Woche "Referenden" geben. Wie soll das gehen?

Plötzlich sollte es ganz schnell gehen. In den besetzten Gebieten im Donbass, in der Region Saporischschja sowie im südukrainischen Gebiet um Cherson waren sich die von Russland eingesetzten Verwaltungen und die Separatisten am Montag einig: "Referenden" sollen abgehalten werden.

Man muss sagen: Scheinreferenden. Denn sie laufen ohne Zustimmung der Ukraine, unter Kriegsrecht und nicht nach demokratischen Prinzipien ab. Eine freie Arbeit internationaler unabhängiger Beobachter ist nicht möglich. Schon für Ende dieser Woche sind diese Scheinreferenden angekündigt, vom 23. bis 27. September. Am Ende soll die Entscheidung stehen, dass sich die besetzten ukrainischen Gebiete an Russland anschließen wollen.

Diese inszenierten Abstimmungen werden weder von der Ukraine noch von der internationalen Gemeinschaft anerkannt. Es werde wie eine normale Wahl aussehen, nur dass es "keine normale, sondern eine gefälschte Wahl sein wird", sagt der Militärexperte Carlo Masala im Gespräch mit t-online. "Das heißt, man wird von Haus zu Haus gehen und die Leute rausholen und zu den Urnen karren."

Russland hat keine "vollumfängliche Kontrolle"

Warum will Russland diese Teile der Ukraine annektieren? Experten sehen unterschiedliche Erklärungen. Das international renommierte "Institute for the Study of War" (ISW) vermutet ein innenpolitisches Manöver: Putin versuche, vaterländische Reaktionen in seiner Bevölkerung zu wecken. Die russische Politologin Tatjana Stanowaja wiederum meint, Putin habe nach der Einverleibung der Regionen die Möglichkeit, die Territorien unter Androhung des Einsatzes von Atomwaffen zu verteidigen. Mehr dazu lesen Sie hier.

Fest steht: Die Termine wurden hastig verkündet, mitten im Krieg. Aber offen ist die Frage: Wie sollen diese überhaupt durchgeführt werden? Schließlich hat Russland "nicht die vollumfängliche Kontrolle" in den Regionen, in welchen nun die Scheinreferenden abgehalten werden sollen. Darauf weist Militärexperte Masala hin.

"Filtrierungsmaßnahmen" vor dem Scheinreferendum

Erwartet wird, dass die von Russland kontrollierten Besatzer die Strafverfolgungs- und "Filtrierungsmaßnahmen" vor und während der Scheinreferenden deutlich hochfahren werden. Das Kalkül dahinter: Störaktionen und Partisanenangriffen vorzubeugen. Laut den ISW-Experten gibt es erste Hinweise darauf, dass russische Streitkräfte damit bereits begonnen haben.

Dem Leiter der ukrainischen Militärverwaltung von Cherson, Jaroslaw Januschewitsch, zufolge, hätten die Besatzer außerdem die Möglichkeiten zur Ausreise aus den okkupierten Gebieten erschwert; mutmaßlich, um große Teile der Bevölkerung in den besetzten Gebieten daran zu hindern, vor der illegalen Annexion durch Russland und der nun verkündeten russischen "Teilmobilisierung" in die von der Ukraine kontrollierten Gebiete zu fliehen.

Russland um "organisatorische Hilfe" gebeten

Was den Ablauf der Scheinreferenden angeht, scheinen die besetzten Regionen geschlossen vorgehen zu wollen. Der Chef der selbst ernannten Donezker Regierung, Separatistenführer Denis Puschilin, schlug vor, die Vorbereitungen auf die Scheinreferenden zu synchronisieren. Das berichtete die russische Nachrichtenagentur Tass.

Dass Russland dabei mitmischt, ist von vornherein vorgesehen – was die eingesetzten Verwaltungen der Regionen unverhohlen kundtun. Der russische Gesandte der selbst ernannten Volksrepublik Luhansk gab laut Tass schon am Montag bekannt, man habe Russland um "organisatorische Hilfe" gebeten.

Russland beteiligt sich auch auf eigenem Boden an den Annexionsvorhaben: Auch in Russland selbst sollen "Dutzende Wahllokale" eingerichtet werden, so die staatliche Nachrichtenagentur. So sollen auch die Ukrainer an den Scheinreferenden teilnehmen können, die wegen des Krieges nicht mehr in ihrer Heimat leben – soweit die russische Erzählung. Dem stellvertretenden Vorsitzenden der Zentralen Wahlkommission Russlands, Nikolaj Bulajew, zufolge, solle dabei ein "Höchstmaß an Zusammenarbeit" gewährleistet sein, damit "die Wahllokale entsprechend ausgestattet seien".

Saporischschja wird nicht annähernd von Russland kontrolliert

Was auf den Stimmzetteln der Scheinreferenden stehen soll, ist zumindest für das Gebiet Cherson bekannt: "Sind Sie dafür, dass sich die Region Cherson von der Ukraine abspaltet, einen unabhängigen Staat gründet und dieser Staat sich der Russischen Föderation als Bestandteil der Russischen Föderation anschließt?" Diese Frage soll darauf zu lesen sein, berichtet die Tass unter Berufung auf die Verwaltung im besetzten Cherson.

Dass die Gebiete nicht vollständig unter russischer Kontrolle sind, scheint die Besatzer nicht weiter zu stören. Das Gebiet Saporischschja beispielsweise steht derzeit nicht annähernd unter der Herrschaft russischer Truppen. Der Besatzungsvertreter in dem Gebiet, Wladimir Rogov, sagte der Nachrichtenagentur Tass zufolge, die "unvollständige Kontrolle der russischen Streitkräfte über die Region Saporischschja" werde "die Legitimität des Referendums nicht infrage stellen".

Zunächst war angekündigt worden, die Teilnahme am Referendum solle in den Gebieten sowohl persönlich als auch online stattfinden. Am Donnerstagabend wird in einem Beitrag der russischen Nachrichtenagentur Tass aber geschrieben, dass vom 23. bis zum 26. September in allen Regionen eine "Tür-zu-Tür"-Wahl stattfinden werde, bei der Personal an die Haustüren der Bewohner trete, um Stimmen einzusammeln. Das geschehe angeblich "aus Sicherheitsgründen". Am 27. September sind die Wahllokale denselben Angaben zufolge aber trotzdem geöffnet.

Nach russischer Besatzung: Berichte von Massengräbern

Die Scheinreferenden gelten auch als Reaktion des Kremls auf die aktuelle ukrainische Gegenoffensive im Osten des Landes. Die Ukrainer konnten dabei wichtige Erfolge verzeichnen: Innerhalb weniger Tage gelang es den ukrainischen Kämpfern, immense Geländegewinne zu erzielen. Besonders im nordöstlichen Gebiet um Charkiw konnten ukrainische Truppen den Aggressor vertreiben. Die russischen Besatzungstruppen flüchteten dort überstürzt.

Die Berichte aus den vormals russisch-besetzten Gebieten lesen sich schauerlich: In der nordöstlich gelegenen Stadt Isjum, mittlerweile befreit, wurden 440 Gräber mit Leichen gefunden. Einige von ihnen wiesen nach ukrainischen Angaben Folterspuren auf.

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