Ukrainische Journalistin Russland schickt Leiche zurück – Organe fehlen

Die ukrainische Journalistin Wiktorija Roschtschyna starb mutmaßlich in einem russischen Foltergefängnis. Nun kommt heraus, was die 27-Jährige vor ihrem Tod erlitten hat.
"Ich habe keine Angst vor Herausforderungen. Ich werde immer einen Weg finden", schrieb die ukrainische Journalistin Wiktorija Roschtschyna im Juni 2023 in ihrem Antrag auf ein Stipendium der International Women's Media Foundation (IWMF). Dieser Optimismus sollte sich nicht bewahrheiten.
Roschtschyna ist im September 2024 in russischer Gefangenschaft gestorben, nachdem die russischen Behörden monatelang jede Auskunft zum Verbleib und zum Zustand der Investigativreporterin verweigert hatten. Offenbar ist die 27-Jährige in den Wochen und Monaten vor ihrem Tod gefoltert worden. Das berichteten mehrere Medien, darunter der "Spiegel", die "Washington Post" und die "Ukrainska Prawda", am Dienstag unter Berufung auf ukrainische Ermittler. Roschtschynas Leiche war Ende Februar 2025 gemeinsam mit 756 anderen Opfern der russischen Gewaltherrschaft an die Ukraine übergeben worden.
Bei einer Obduktion ihrer sterblichen Überreste fanden Mediziner "zahlreiche Zeichen von Folter und Misshandlung", zitierten die Medien in ihrer am Dienstag veröffentlichten Recherche die Staatsanwaltschaft. Dazu gehörten eine gebrochene Rippe, Nackenverletzungen und mutmaßliche Spuren von Elektroschocks an den Füßen, erklärte der Leiter der Abteilung für die Untersuchung von Kriegsverbrechen bei der ukrainischen Generalstaatsanwaltschaft, Juri Belussow.
Zudem fehlten der Leiche nach Angaben aus Ermittlungskreisen mehrere Organe, darunter die Augen, der Kehlkopf und Teile des Gehirns. Möglicherweise sollten mit ihrer Entfernung Folterspuren vertuscht werden. Wie der britische "Guardian" unter Berufung auf anonyme Quellen schreibt, deuten die Verletzungen darauf hin, dass die Journalistin stranguliert worden sein könnte.
Das kremlkritische russische Investigativportal "Meduza" zitiert einen forensischen Experten, der mit dem Fall vertraut ist: "Die Entfernung des Kehlkopfes bei einer Autopsie ist nicht üblich. Der Kehlkopf kann ein starkes Indiz für eine Strangulierung sein. Wenn eine Person stranguliert wird, ist das Zungenbein oft gebrochen. Auch finden sich Blutungen im Augengewebe und Anzeichen von Sauerstoffmangel im Gehirn". Das würde die Entfernung der entsprechenden Organe erklären.
Russisches Foltergefängnis: "Hölle auf Erden"
Die 27-jährige Journalistin war im August 2023 verschwunden, als sie in der von Russland besetzten südostukrainischen Region Saporischschja zu mutmaßlichen russischen Foltergefängnissen recherchierte. Im April 2024 bestätigte Russland ihre Verhaftung, im September folgte dann die Nachricht von ihrem Tod.
Laut Recherchen der Organisation Reporter ohne Grenzen (RSF) war Roschtschyna in der ukrainischen Stadt Enerhodar von einer russischen Drohne entdeckt und kurz darauf gefangen genommen worden. Enerhodar, eine Stadt ganz in der Nähe des AKW Saporischschja, ist seit 2022 von russischen Truppen besetzt.
Reporter ohne Grenzen gelang es, mit einem Mitinsassen von Roschtschyna zu sprechen. Beide saßen demnach im berüchtigten Foltergefängnis von Taganrog. Berichte ehemaliger Insassen bezeichnen das Gefängnis als "Hölle auf Erden". So sollen die Insassen dort mit schweren Elektroschocks bis zur Bewusstlosigkeit gefoltert werden, auch wird ihnen offenbar Essen entzogen, zudem müssen sie in Zellen ausharren, in denen die Fenster entfernt wurden, sodass sie Regen, Kälte, Wind und Eis ausgesetzt sind.
Tausende ukrainische Zivilisten in russischer Haft
Der Mitgefangene erinnert sich laut RSF daran, dass Roschtschyna schon am Tag ihrer Einlieferung in das Gefängnis sichtbare Folterspuren aufwies. Sie soll zuvor in einem improvisierten Gefängnis in der von Russland besetzten Stadt Melitopol inhaftiert worden sein. In der Gefangenschaft in Taganrog soll sie Panikattacken erlitten haben, auch wurde sie offenbar kurzfristig verlegt, als ein Vertreter der russischen Kommission für Menschenrechte die Haftanstalt besuchte.
Nachdem sie im Gefängnis offenbar in einen Hungerstreik getreten war, wurde sie völlig abgemagert in ein Krankenhaus gebracht, später aber erneut in Taganrog inhaftiert. Ende August konnte sie ein Telefongespräch mit ihrer Familie führen, am 8. September wurde sie von Mitgefangenen zum letzten Mal gesehen. Wenig später erklärten sie die russischen Behörden für tot.
Kiew rief die internationale Gemeinschaft zu einer Reaktion auf die Medienberichte auf. Das Problem der von Russland verschleppten und gefangen gehaltenen Zivilisten erfordere eine "sofortige und entschlossene Reaktion", erklärte Außenministeriumssprecher Georgiy Tychy. Tausende ukrainische Zivilisten werden in russischen Gefängnissen oder in besetzten ukrainischen Gebieten festgehalten. Laut NGOs und Medienberichten werden viele der Gefangenen systematisch gefoltert.
- rsf.org: Declared dead by Russia: RSF reveals the brutal reality of Victoria Roshchyna’s last months in captivity
- theguardian.com: ‘Numerous signs of torture’: a Ukrainian journalist’s detention and death in Russian prison
- meduza.io: Body of Ukrainian journalist who died in Russian captivity repatriated with organs removed and other signs of torture
- Mit Material der Nachrichtenagentur AFP