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Cherson: Putins Terror trifft in besetzter Ukraine auf Widerstand


"Das bringt die Russen in Rage"
Putins Terror trifft auf Widerstand

Von Anne Hamilton

Aktualisiert am 22.07.2025 - 07:16 UhrLesedauer: 5 Min.
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Unter der russischen Okkupation befinden sich ukrainische Widerstandskämpfer in ständiger Lebensgefahr. (Quelle: Alexander Polegenko/imago-images-bilder)
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Er lebt unter russischer Besatzung in Cherson und riskiert als Chef der Widerstandsgruppe "Yellow Ribbon" sein Leben. Trotz der Gefahr wächst der zivile Protest unaufhörlich.

Das Gespräch mit einem deutschen Medium könnte ihn ins Gefängnis bringen, wo ihn Folter und Hunger erwarten. Jeder Schritt, den er unternimmt, sei es zum Supermarkt, zu seinen Freunden oder zur Tankstelle, könnte sein letzter als freier Mann sein. Doch er sieht sich längst nicht mehr als frei an, daher geht der 24-jährige Ukrainer viele Risiken ein.

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Iwan, der in Wirklichkeit anders heißt, lebt unter russischer Besatzung in der Region Cherson in der Ukraine. Er ist Chef der zivilen Widerstandsgruppe "Yellow Ribbon" (Deutsch: Gelbes Band). Zusammen mit einem Kollegen rief er die Bewegung kurz nach dem russischen Großangriff 2022 ins Leben.

Vor dem Krieg baute der IT-Spezialist Websites, Chatbots und Telegram-Chats. Die Russen fluteten nach der Okkupation Iwans Heimatstadt mit ihrer Propaganda. Er wollte dem etwas entgegensetzen. Ein Zeichen setzen, das die Ukrainer verbinden würde. "Uns kam die Idee mit den gelben Bändern. Sie leuchten und haben eine Farbe unserer Flagge", sagt er im Gespräch mit t-online. Sie verteilten Hunderte solcher Bänder in der Stadt und lösten damit einen Schneeballeffekt aus. Viele Menschen schlossen sich den Aktivisten an – bis heute.

"Sie warten auf ihre Befreiung"

Dem Vernehmen nach gehört Yellow Ribbon mit rund 20.000 aktiven Menschen zu einer der größten gewaltfreien Widerstandsgruppen in der besetzten Ukraine. Unabhängig nachprüfen lassen sich die Zahlen nicht.

"Wir wachsen ununterbrochen in Cherson, Donezk und Luhansk", sagt Iwan. Am aktivsten ist die Bewegung auf der Krim. Bevor Russland die Halbinsel 2014 völkerrechtswidrig besetzte und annektierte, machte Iwan dort jeden Sommer Urlaub. Damals hieß das Kreml-Narrativ, dass alle dort pro-russisch seien, erinnert er sich. Yellow Ribbon zeigt ein anderes Bild: "Es gibt Tausende Unterstützer der Ukraine und sie warten auf ihre Befreiung", sagt der junge Mann.

Im Videocall verdeckt er sein Gesicht bis über die Nase mit einem schwarzen Tuch. Doch wenn er er von den Erfolgen seiner Bewegung erzählt, leuchten seine Augen. Neben dem Verteilen der gelben Bänder leisten die Aktivisten auch auf anderen Wegen Widerstand.

Um den Russen stets einen Schritt voraus zu sein, werden die Aktivisten immer kreativer. "Wir verbrennen russisches Propaganda-Material, hängen gigantische ukrainische Flaggen auf oder spielen die Nationalhymne der Ukraine über Lautsprecher auf der Straße ab", zählt Iwan auf.

"Das bringt die Russen in Rage"

Zudem gibt es auch Online-Proteste wie die Aktion "United Heart of Ukraine". Dabei fotografierten Zehntausende Ukrainer in den besetzen Gebieten eine Hälfte eines Herzens in Gelb. Ihre Mitbürger in den von Russland kontrollierten Regionen ergänzten es mit der anderen Hälfte in Blau.

Die Anhänger der Widerstandsbewegung kennen sich untereinander nicht. Jede Person bleibt anonym, nur ihr Aufenthaltsort ist bekannt, um Aktionen besser planen zu können und ihnen Zugriff auf das Material der Bewegung zu ermöglichen. Namen, Berufe, Ausbildung bleiben geheim.

Zur Sicherheit kommunizieren die Aktivisten ausschließlich über Chats. Dafür hat der gelernte IT-Experte online einen sicheren Raum geschaffen. Die Aktivisten benutzen verschiedene Messenger, hauptsächlich den Chat-Anbieter Telegram. Der Gründer der Widerstandsorganisation sagt, in der physischen Welt vermieden die Mitglieder aus Sicherheitsgründen "jeglichen Kontakt oder Verbindung zu anderen Aktivisten. So bleiben wir sicher."

Damit kein Spitzel in die Bewegung gelangt, muss jedes neue Mitglied unter anderem einen Auftrag erfolgreich erfüllen. Es sind Aktionen, die kein russischer Agent durchführen würde – davon ist Iwan überzeugt. Die erste Mission ist nur ein Teil des streng geheimen Verifizierungsprozesses. Iwan verrät noch, dass nach einer Aufnahme sogenannte Yellow-Ribbon-Koordinatoren die Neuzugänge beobachten, etwa bezüglich ihrer Kommunikation. Diese und andere Techniken ermöglichen der Widerstandsbewegung, zu unterscheiden, ob es sich um einen ukrainischen Bürger oder einen FSB-Agenten handelt.

Auf Telegram teilen die Anhänger Informationen und Aufnahmen von russischen Kriegsverbrechen. Yellow Ribbon gibt auch Ratschläge, wie sich Menschen in den besetzten Gebieten schützen können – sowohl digital als auch im realen Leben. Etwa, wie sie ihre Handys vor Cyberangriffen sichern, sich sicher in sozialen Netzwerken bewegen oder worauf sie bei längeren Autofahrten achten sollten. Für Kinder und Teenager bieten sie kostenlose Sprachkurse für Ukrainisch an. "Das bringt die Russen in Rage", sagt Iwan mit erneut leuchtenden Augen.

"Die Gefahr erwischt zu werden, gehört zum Alltag"

Seinen Oberkörper bedeckt er mit einem weißen Tuch, als säße er beim Friseur mit einem Umhang. Kleinste Details wie Leberflecken, Tattoos oder Narben könnten seine Identität verraten. "Manchmal fühle ich mich wie Jason Bourne", antwortet er mit einem Schmunzeln auf die Frage, wie es sei, eine Widerstandsbewegung anzuführen.

Wie der Geheimagent im gleichnamigen Actionfilm scannt er seine Umgebung intensiv, nimmt Veränderungen und fremde Gesichter oder Personen, die ihm folgen, sofort wahr. Jeder könnte ihn verraten. Nur seine engsten Freunde kennen seinen wahren Namen. "Die Gefahr, erwischt zu werden, gehört heute zu meinem Alltag", sagt er verschlüsselt über mehrere VPN-Verbindungen im Videocall.

Seit drei Jahren gelingt es ihm, die Bewegung am Leben zu halten. Es sei seine Art, für die Ukraine zu kämpfen. Viele Menschen versuchten damals, vor dem russischen Aggressor zu fliehen. Doch Iwan blieb, um die Russen zu sabotieren.

Das Leben unter russischer Besatzung wird ihm zufolge immer gefährlicher – vor allem für Ukrainer, die Widerstand leisten. Die Russen bezeichnen sie als Terroristen. Es drohen bis zu acht Jahre Haft. Sollte einer der Aktivisten auffliegen, unternehme Yellow Ribbon alles, um der Person zu helfen. Niemand soll sich verraten fühlen, betont Iwan.

Von Schmiergeld an Polizisten bis hin zu teuren Anwälten setzen sie alle Hebel in Bewegung. Der Erfolg hängt vom Fall ab. Der Bewegung sei es etwa gelungen, ein Mitglied aus der Haft auf der Krim zu befreien und in Sicherheit zu bringen.

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Ohne russischen Pass kein Arzt

Dafür, dass als Chef einer Widerstandsbewegung so viel Verantwortung auf Iwans Schultern lastet, wirkt er für sein junges Alter abgebrüht und ruhig. Mit der russischen Besatzung hat sich der Alltag für ihn und seine Mitmenschen verändert.

Laut Iwan sind die Straßen seit dem russischen Großangriff leerer. Es gibt weniger Leute, damit auch weniger Arbeiter, etwa für die Müllabfuhr. "Die Bankautomaten sind außer Betrieb. Reisen ist unmöglich. Ohne einen russischen Pass erhalten Ukrainer keine medizinische Versorgung oder Medikamente aus der Apotheke", sagt er.

Wer ukrainische Nachrichten konsumiert, dem droht Haft. Iwan ärgert, wie stark die Menschen – insbesondere Kinder – russischer Propaganda ausgesetzt sind. In den Schulen gehören russische Kriegshelden und angebliche ukrainische Nazis zum Unterrichtsstoff. "Das ganze Programm russischer Lügen und Täuschungen", sagt er.

Niemand wisse, was die Zukunft in den von Russland besetzten Gebieten bringt. Aber Iwan ist stolz auf Yellow Ribbon. Die Aktivisten kämpfen friedvoll dafür, Ukrainer zu sein. Die Hoffnung auf eine Befreiung bleibt.

Verwendete Quellen
  • Persönliches Gespräch mit Iwan via Videokonferenz
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