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Ukraine deckt Frontstraßen mit Netzen gegen russische Drohnen ab


"Ergebnisse sind greifbar"
Ukraine fängt Drohnen mit überraschender Taktik ab


06.08.2025 - 12:27 UhrLesedauer: 4 Min.
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Ein ukrainischer Soldat fährt nahe Kostjantyniwka durch einen sogenannten Netzkorridor: Die Maßnahme soll gegen Drohnenangriffe schützen. (Quelle: IMAGO/Vincenzo Circosta/imago)
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Drohnenangriffe gehören vor allem entlang der Front in der Ukraine zum Alltag. Beide Kriegsparteien entwickeln Maßnahmen zum Schutz. Ein recht neues Mittel könnte ganze Landstriche für lange Zeit verändern.

Der Krieg in der Ukraine ist geprägt von zwei Entwicklungen, die auf den ersten Blick kaum gegensätzlicher sein könnten. Einerseits präsentieren beide Kriegsparteien immer wieder Neuheiten auf dem Schlachtfeld, die einen Vorteil über den jeweiligen Gegner erreichen sollen. Die Ukraine ist zu einem Testlabor für russische und westliche Waffensysteme geworden. Doch auch die heimische Waffenproduktion hat an Fahrt gewonnen: Mittlerweile fliegen, rollen und schwimmen in der Ukraine hergestellte Drohnen an allen Sektoren der Front.

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Andererseits führen genau diese Neuentwicklungen an der Front zu Gegenmaßnahmen, die teils archaischer nicht sein könnten. Kaum ein Militärfahrzeug bewegt sich ohne Schutzkonstruktionen im Kampfgebiet. Kampfpanzer und Truppentransporter werden mit Käfigen überdacht, die Drohnen abfangen und so schwere Schäden von den Fahrzeugen und ihren Crews abhalten sollen – "Schildkrötenpanzer" nennt man sie. Doch mittlerweile gehen die Schutzmaßnahmen weit darüber hinaus.

Fischernetze sollen vor Drohnen schützen

Sowohl die Ukraine als auch Russland setzen in frontnahen Gebieten zunehmend Fischernetze ein, die Drohnen abfangen sollen. Ganze Straßen im Donbass sind mit diesen Netzen überdacht, die eine weitgehend sichere Durchfahrt nicht nur für Militärkonvois, sondern auch zivile Fahrzeuge ermöglichen sollen. Auch Schützengräben, Artilleriestellungen oder sogar ganze Waldstücke statten die Kriegsparteien mit solchen Netzen aus.

Die Fischernetze gelten aktuell als letztes Mittel im Kampf gegen kleinere, sogenannte FPV-Drohnen: Es handelt sich um handelsübliche Fluggeräte, die meist mittels Videobrillen gesteuert werden. FPV steht für "First Person View", also "Ich-Perspektive".

Diese Drohnen haben diverse Vorteile. Sie sind billig in der Produktion, fliegen schnell und hoch. Es ist daher selbst für geübte Schützen schwer, sie etwa mit Gewehrschüssen vom Himmel zu holen. Mittlerweile werden die Drohnen außerdem insbesondere nah an der Front mit Glasfaserkabeln von bis zu 20 Kilometern Länge bestückt. So bieten sie durch die stabilere Verbindung den Piloten ein besseres Bild. Viel wichtiger ist dabei jedoch: Elektronische Störsignale können diesen Drohnen nichts mehr anhaben.

Video | So funktionieren Glasfaserdrohnen:
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Quelle: t-online

Russland setzte erstmals Netze gegen Drohnen ein

Gänzlich neu sind die Fischernetze im Ukraine-Krieg nicht. Russland nutzt sie aus purer Notwendigkeit schon seit 2023. Damals hatte die Ukraine im Einsatz von Drohnen an der Front eine deutliche Oberhand gewonnen. FPV-Drohnen griffen russische Soldaten sowie Militärgerät ohne Pause an und fügten den Kremltruppen schwere Verluste zu. Sogar Wohngebäude in frontnahen Städten schützten die Russen infolgedessen mit Netzen. Mittlerweile wendet sich jedoch das Blatt.

Als Reaktion auf die ukrainische Übermacht im Bereich der Drohnen hat Russland viele Kapazitäten in den Aufbau eigener Drohnen-Eliteeinheiten gesetzt. Diese laufen unter dem Namen "Rubikon" und verbreiten speziell im Donbass entlang der Front Angst und Schrecken. So sind dort nicht nur mehr und spezialisiertere Drohnen in der Luft, sondern ihr Einsatz läuft auch deutlich koordinierter und damit tödlicher ab.

In einem Interview mit t-online erklärte der Militärexperte Franz-Stefan Gady das Vorgehen wie folgt: "Sie machen systematisch Jagd auf Ukrainer, vor allem auf die ukrainischen Drohnenteams." Dazu versuchte "Rubikon" auch, die Logistik der Ukrainer zu unterbinden. "Die Einheiten teilen das Schlachtfeld in Zonen auf, die sie dann methodisch abfliegen und dort Angriffsziele identifizieren", so Gady.

"Die Ergebnisse sind greifbar"

Nun soll also der verstärkte Einsatz von Fischernetzen wie "Rubikon" und anderen Drohneneinheiten bremsen. Und das zeigt offenbar Wirkung. Oberstleutnant Maksym Krawtschuk, Leiter der Kommunikationsabteilung der Ingenieureinheiten der ukrainischen Armee, erklärte dem Portal "Novynarnia" im April: "Die Ergebnisse sind greifbar: Die Zahl erfolgreicher feindlicher Angriffe auf durch Netze geschützte Routen ist deutlich zurückgegangen."

Die Pläne der Ukraine sind Krawtschuks Angaben zufolge ambitioniert. Die wichtigsten Logistikadern entlang der "gesamten Frontlinie von Ost nach Süd" sollen noch in diesem Jahr geschützt werden. Unter ukrainischen Soldaten sind solche überdachten Straßen als "Netzkorridore" bekannt. Sie werden ganze Landstriche entlang der Gefechtslinie wohl über die nächsten Jahre verändern und prägen.

"Das sind Hunderte von Kilometern Straßen. Es ist nicht einfach, aber wir kommen voran", erklärte Krawtschuk. Begonnen haben die Ingenieure damit in der Grenzregion Sumy, die seit Monaten von russischen Truppen bedroht wird.

Ukraine bekommt Netze aus europäischen Ländern

Der Bedarf an Netzen ist in der Ukraine also hoch. Diese kommen oft aus den Niederlanden oder Skandinavien, wo sie von Fischern ausrangiert wurden. Bereits Anfang des Jahres berichtete die Stiftung "Volonter" von mehreren Hundert Tonnen Netze, die von den Niederlanden in die Ukraine gebracht worden seien. Die "New York Times" berichtet außerdem, dass die schwedische Organisation "OperationChange" in diesem Jahr gut 250 Tonnen Fischernetze in den nordischen Ländern aufgetrieben habe. Doch auch Russland konkurriert auf diesem Markt mit der Ukraine.

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Ein Allheilmittel gegen Drohnenangriffe sind die Fischernetze jedoch längst nicht. Ihr Aufbau muss gut geplant sein. Vorderste Frontstellungen lassen sich damit etwa nicht schützen. Die Soldaten müssen hier hochmobil sein. Auch darf ein Netz etwa beim Wurf einer Granate nicht im Weg sein – sonst drohen die eigenen Soldaten Schaden zu nehmen. Auch Lücken dürfen Ingenieure nicht lassen, denn findige Drohnenpiloten machen diese leicht aus und sich zunutze.

Städte lassen sich mit Netzen kaum schützen

An seine Grenzen stößt der Einsatz von Drohnen zudem in Städten. In der frontnahen Stadt Dobropillja in Donezk etwa machen die russischen Eliteeinheiten seit Monaten auch Jagd auf Zivilisten. Eine Ladenbesitzerin beschrieb der Nachrichtenagentur AFP die Stimmung in der Kleinstadt als "angsteinflößend". Das gesamte Leben in dem Ort hänge in der Luft, sagte sie. "Wir leben von Tag zu Tag."

Einen praktischen Typ gab eine Stadträtin von Cherson den Bürgern der südukrainischen Regionalhauptstadt Ende Juni: Sie sollten immer Scheren dabeihaben. Auch Cherson wird häufig von russischen FPV-Glasfaserdrohnen heimgesucht. "Der Feind wird immer raffinierter", sagte Oksana Pohomiy dem Sender Espreso TV.

Ihr Tipp: "Wenn man Glasfaserkabel sieht, die in einigen Stadtteilen, sogar im Zentrum, zu finden sind, ist es ratsam, für alle Fälle eine Schere dabeizuhaben, um sie durchzuschneiden. Schließlich könnte am anderen Ende des Kabels eine Drohne stehen, die noch nicht aktiviert wurde und darauf wartet, dass sich jemand nähert. Das ist unsere Realität", erklärte Pohomiy.

Verwendete Quellen

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