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200. Todestag: Wer kennt Johann Gottlieb Fichte noch?


200. Todestag
Der Redner an die deutsche Nation - wer war das noch?

dpa, are

28.01.2014Lesedauer: 3 Min.
Johann Gottlieb Fichte (1762-1814), Verfasser der "Reden an die deutsche Nation"Vergrößern des BildesJohann Gottlieb Fichte (1762-1814), Verfasser der "Reden an die deutsche Nation" (Quelle: dpa-bilder)
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Vor 200 Jahren, am 29. Januar 1814, starb einer der bedeutendsten deutschen Philosophen. Er ist der Verfasser der "Reden an die deutsche Nation". Dabei handelt es sich um eine Reihe an Vorlesungen, die der Philosoph 1807 in Berlin zur Zeit der französischen Besetzung gehalten hat. Aber wer kennt den berühmten Redner heute noch?

Johann Gottlieb Fichte wurde 1762 in Rammenau (Oberlausitz) geboren. Als er 1794 an die Universität Jena kam, elektrisierte er die Elite. Hölderlin, Schelling, Novalis, die Brüder Schlegel und viele andere Dichter und Denker zog er in seinen Bann.

Mitbegründer des deutschen Idealismus

In der damaligen Zeit entstand der Deutsche Idealismus - die größte Epoche der deutschen Geistesgeschichte. Ohne Fichte hätte Hegel sein dialektisches Denken nicht so entwickeln können. Und ohne Hegel hätte Marx den Idealismus nicht vom Kopf auf die Füße stellen können.

Im sogenannten Atheismus-Streit wurde Fichte 1799 der Gottlosigkeit bezichtigt und aus Jena vertrieben. Er sah darin eine politische Kampagne der preußischen Konservativen wegen seiner offenkundigen Begeisterung für die Französische Revolution: "Ich bin ihnen ein Demokrat, ein Jacobiner; dies ist's", soll er seine Verbannung kommentiert haben.

Fichte wechselte nach Berlin und wurde dort Rektor der neu gegründeten Universität. Dort übte er auch politischen Einfluss auf die preußischen Staats- und Verwaltungsreformer um Karl Freiherr vom Stein und Karl August Fürst von Hardenberg aus. Berühmt wurden aber erst seine 1808 abgedruckten "Reden an die deutsche Nation", in denen Fichte Preußens Niederlage gegen Napoleon geschichtsphilosophisch deutet.

Bildungskanon der bürgerlichen Gesellschaft

Über Generationen gehörte Fichte zum Bildungskanon der deutschen Öffentlichkeit. Heute können fast nur noch Experten etwas mit ihm anfangen. Das könnte auch an seiner barocken Sprache und sehr theoretischen Begriffsbildung liegen. Doch viele von ihnen sind überzeugt: Sein Denken war und ist auch nach seinem Tod von Relevanz.

Freiheitsphilosoph oder Nationalist?

Als die Widerstandsgruppe "Weiße Rose" gegen Hitler kämpfte, spielte Johann Gottlieb Fichte eine wichtige Rolle für sie. Ihr Förderer, Kurt Huber, berief sich 1943 in seinem Schlusswort vor dem Volksgerichtshof auf den großen Philosophen der Freiheit und moralischen Verantwortung. "Mein System ist das erste System der Freiheit", hatte Fichte 1795 verkündet, für den erst die französische Revolution "die politischen Fesseln des Menschen zerbrochen hat".

Man kann Fichte aber auch als Nationalisten bezeichnen. Er hatte nicht nur eine deutsche Außen- und Handelspolitik sowie eine allgemeine Wehrpflicht gefordert. Überdies rief er auch zu einer "Nationalerziehung" und zur Emanzipation von der französischen Fremdherrschaft auf. Sein Essentialismus geht von einem "deutschen Wesen" und der "reinen deutschen Sprache" aus. Fichte versuchte mit seinen Reden, ein deutsches Nationalgefühl zu wecken, und er zielte auf die Gründung eines deutschen Nationalstaates ab.

Aber erst nach dem Holocaust gerieten seine "Reden an die deutsche Nation" als angebliche Vorboten des verhängnisvollen deutschen Nationalismus in Misskredit. Doch die Forschung hat dazu neue Perspektiven entwickelt: Auch viele Zionisten konnten in Fichtes Idee der deutschen Nation als Kulturnation ein Vorbild erkennen.

Für Reinhard Lauth, den 2007 gestorbenen Herausgeber der Fichte-Gesamtausgabe, stand jedenfalls fest: Fichte habe "unsere gesamte Welt verändert" und "einen tieferen Eingriff in unsere Wirklichkeit getan als selbst die Industrialisierung".

Fichtes Philosophie vom moralischen Menschen

In seiner theoretischen Philosophie gibt Fichte dem erkennenden Subjekt radikal Vorrang vor jedem gegenständlichen Objekt. Das menschliche Bewusstsein von der Welt und den Dingen gründet demnach im Selbstbewusstsein. Nicht das Sein bestimmt das Bewusstsein (Marxismus, Realismus), sondern umgekehrt (Idealismus).

In der praktischen Philosophie sieht Fichte den Menschen entsprechend als moralisch Handelnden. Dieser bestimmt sich selbst und anerkennt dabei auch die Freiheit des anderen. Ihm gelingt damit im Anschluss an Immanuel Kants kategorischen Imperativ eine Letztbegründung ethischen Handelns des Menschen ohne Rückgriff auf religiöse Vorgaben.

Der Fichte-Forscher Jürgen Stolzenberg drückt das so aus: "Fichtes Einsicht war es, dass man sein Leben nur dann verantwortlich führen kann, wenn man es unter einen unbedingten, allein von der Vernunft und dem ihr eigenen Ausgriff auf die Dimension des Unbedingten ausgehenden Anspruch stellt. Erst dann ist man wirklich frei."

Diese Begriffe von Nation, Freiheit und dem moralischen Menschen, die Fichte geprägt hat, erscheinen heute aktueller denn je.

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