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ARD-Doku "Bedingt abwehrbereit": "Wir haben Glück gehabt", findet Helmut Schmidt


ARD-Doku "Bedingt abwehrbereit"
Helmut Schmidt zur "Spiegel"-Affäre: "Wir haben viel Glück gehabt"

t-online, Alexander Reichwein

Aktualisiert am 08.05.2014Lesedauer: 5 Min.
Helmut Schmidt 1962 auf einer Demonstration zur "Spiegel"-AffäreVergrößern des BildesHelmut Schmidt in Hamburg 1962: In der "Spiegel"-Affäre stand er klar auf der Seite derer, die die Pressefreiheit verteidigen wollten (Quelle: dpa-bilder)
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Von unserem Mitarbeiter Alexander Reichwein.

"Wir haben Glück gehabt": Nüchtern, wie man ihn kennt, bilanziert Altkanzler Helmut Schmidt als Zeitzeuge in der ARD-Doku "Bedingt abwehrbereit - die Geschichte hinter der 'Spiegel'-Affäre" die Ereignisse rund um die gleichnamige Affäre. In den frühen 60er Jahren erschütterte sie nicht nur die junge westdeutsche Republik, sondern stand auch im Zeichen der weltpolitische Situation - und die war hochexplosiv.

Und wieso Schmidt? Zwar war er als Hamburger Innensenator noch am Anfang seiner politischen Karriere. Und trotzdem mittendrin in der "Spiegel"-Affäre. Denn die Bundesanwaltschaft ermittelte damals auch gegen den 45-jährigen SPD-Politiker wegen Beihilfe zum Landesverrat: Er hatte Teile des Artikels "Bedingt abwehrbereit" seines Studienfreundes Conrad Ahlers vor der Veröffentlichung im Nachrichtenmagazin gegengelesen, der dann für so viel Aufsehen sorgen sollte.

Aber, worum ging es? Oktober 1962: Es herrscht Kalter Krieg und Wettrüsten im geteilten Europa. Die Berliner Mauer teilt Deutschland und die Menschen in Ost und West, die Kuba-Krise hält die Welt in Atem. Deutschland wäre das Gefechtsfeld eines Nuklear-Krieges, der auszubrechen droht und die Welt in den Abgrund reißen würde. 7000 Atomwaffen, mehr als in jedem anderen Land der Erde, sind in der geteilten Republik bereits stationiert, mit denen sich Nato und Warschauer Pakt in Schach halten.

Staatsschutz versus Geheimnisverrat

Auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges erschüttert dann dieser "Spiegel"-Artikel, der in die "Spiegel"-Affäre mündet, die Republik der Adenauer-Ära. Sie bringt erst renommierte Journalisten ins Gefängnis und dann den Verteidigungsminister um sein Amt.

Es geht dabei um Staatsschutz versus Geheimnisverrat, um einen Machtkampf zwischen Politik und Medien, um Pressefreiheit, Moral und Demokratie. Es geht um die existenzielle Frage, wie sich der Westen verteidigen kann, ohne den atomaren Weltuntergang zu riskieren? Und es geht um die erbitterte Feindschaft zweier Männer.

Kalter Krieg zwischen zwei Männern

Die zwei Männer, um die es geht, sind: Verteidigungsminister Franz Josef Strauß (CSU) und "Spiegel"-Gründer und -Herausgeber Rudolf Augstein. Der eine ist bekennender Anti-Kommunist und konservativer Machtmensch, der andere will den verkrusteten Obrigkeitsstaat verändern und verkörpert Aufbruch und liberales Denken in der jungen Republik.

Einig sind sich beide nur in einem Punkt: Nie wieder Krieg! Trotzdem gibt Augstein nach einem Treffen mit Strauß bereits 1957 die Parole aus: "Dieser Mann ist gefährlich. Er darf niemals Kanzler werden." Der "Spiegel" bekämpft Strauß fortan mit allen Mitteln, und Augstein greift diesen an, wo er nur kann. Verbissen und hartnäckig versucht Augstein, dem Minister im Zusammenhang mit dessen Amtsgeschäften Korruption nachzuweisen.

Aufrüstungsdebatte in der Ära Adenauer

Strauß glaubt - unter dem Eindruck des Berliner Mauerbaus - den drohenden Atomkrieg nur durch ein "Gleichgewicht des Schreckens" verhindern zu können. Zeitgleich lässt der neu gewählte US-Präsident John F. Kennedy - unter dem Eindruck der Kuba-Krise - durchblicken, Westeuropa nicht länger um jeden Preis verteidigen zu wollen. Die USA ändern ihre Nuklearstrategie, weg von der "Massiven Vergeltung" hin zur "Flexible Response", und zeigen Kooperationsbereitschaft gegenüber der Sowjetunion. Washington wählt den Weg der Entspannungspolitik.

Dies gilt vielen, darunter auch dem Verteidigungsminister, als Verrat am westlichen Bündnis, das schon länger vom Streit über die atomare Aufrüstung der Bundeswehr bestimmt wird. Bei Strauß läuten die Alarmglocken: Europa, so schlussfolgert er, ist sich fortan selbst überlassen. Konventionelle Streitkräfte reichen seines Erachtens aber nicht aus, um sich gegen die Truppen des Warschauer Paktes verteidigen zu können.

Westdeutschland muss sich aus der Abhängigkeit der USA lösen. Ein Mittel dazu: Strauß will die Bundeswehr in der Nato zur Atommacht ausbauen. Taktische Nuklearwaffen, Abschreckung und Demonstration der Stärke sind seines Erachtens die einzige Überlebensgarantie für Westdeutschland. Augstein hingegen ist überzeugt, dass die Politik des Wettrüstens früher oder später unweigerlich in die Katastrophe führen muss.

Militärische Planspiele: "Bedingt abwehrbereit"

Am 8. Oktober 1962, im Schatten der Kuba-Krise, erscheint dann im "Spiegel" jener Artikel, den Ahlers über Jahre recherchiert hat: "Bedingt abwehrbereit“. Der Artikel weist anhand des Nato-Manövers "Fallex 62" nach, dass die Bundeswehr - ganz entgegen der Einschätzung des Verteidigungsministers - im Ernstfall nicht in der Lage ist, Westdeutschland bei einem Angriff aus dem Osten zu verteidigen.

"Fallex 62" war das erste Manöver, das einen Großangriff des Warschauer Pakts auf Westeuropa simulierte. Ergebnis des Planspiels: Nach wenigen Tagen wären erhebliche Teile Großbritanniens und der Bundesrepublik völlig zerstört und mehr als 15 Millionen Menschen tot. Auch ein sofortiger Gegenschlag der Nato könnte in diesem Szenario die sowjetische Aggression nicht stoppen. Ein vernichtendes Urteil für Strauß und seine Bewaffnungs-Pläne - und eine Bloßstellung der militärischen Schwäche und Verwundbarkeit des Westens.

Die gefährlichen Informationen dazu kommen aus Insider-Kreisen der Bundeswehr. Dort hat Strauß Feinde, die er nicht auf der Rechnung hatte. Eine Gruppe höherer Offiziere ist gegen das Konzept der atomaren Aufrüstung: Sie befürchten den Verlust ihrer Macht, denn Strauß wird nicht müde klarzustellen, dass die Panzerschlachten des Zweiten Weltkrieges endgültig vorbei seien - und der Frieden nur durch atomares Gleichgewicht zu sichern sei.

Vorwurf Landesverrat

Die Bundesanwaltschaft wirft dem "Spiegel" daraufhin Verrat von Staatsgeheimnissen vor und besetzt die Büros des Hamburger Nachrichtenmagazins. Augstein, Ahlers und andere Redakteure werden wegen Landesverrats verhaftet.

103 Tage verbringt Augstein im Gefängnis. Es folgen hitzige Debatten im Bundestag über die atomare Aufrüstung, und das Establishment der Bonner Republik um Adenauer zeigt offen seine Abneigung gegen den "Spiegel" als Flaggschiff einer kritischen unabhängigen Presse. Auf der Straße hingegen regt sich Protest. Die Menschen treten für die uneingeschränkte Meinungs- und Pressefreiheit ein. Zahlreiche Kollegen solidarisieren sich mit den "Spiegel"-Journalisten, die letztlich im Februar 1963 aus der Haft entlassen werden.

Verteidigungsminister Strauß begeht Fehler: Er reagiert mit dem Einschalten der Bundesanwaltschaft nicht nur über. Sondern er belügt auch den Bundestag, dass er mit dem Ermittlungsverfahren gegen die "Spiegel"-Redakteure nichts zu tun habe. Letztlich ist er für Adenauer nicht mehr zu halten und zieht sich in die bayrische Landespolitik zurück.

Helmut Schmidt: "Haben Glück gehabt"

Helmut Schmidt, der damals gegen die Verhaftungen der "Spiegel"-Leute protestierte, urteilt heute durchaus auch kritisch über seine damaligen Weggefährten: "Wenn jemand den Verteidigungsminister so angreift, kann man sagen, das ist Verrat. In meinen Augen ist das eine jener unvermeidlichen Begleiterscheinungen jeder Demokratie."

Die große Krise aber, die hinter der "Spiegel"-Affäre stand, und die Offenlegung der militärischen Kräfteverhältnisse hätten in Schmidts Augen auch leicht in der Katastrophe mündet können: "Wir haben viel Glück gehabt: Diejenigen russischen Generale, die Überblick hatten über die Waffenpotentiale, waren keine Dummköpfe. Sie wussten ebenso wie die amerikanischen und britischen und deutschen Generäle: Wer auch immer anfängt, das endet in einem atomaren Weltkrieg. Und davor hatten sie Angst - mit Recht."

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