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Mauerbau vor 60 Jahren: Als der Westen die DDR in Grund und Boden dröhnte


Wie sich der Westen für den Mauerbau revanchierte

Von Marc von Lüpke

Aktualisiert am 11.08.2021Lesedauer: 4 Min.
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Bau vor 60 Jahren: Historische Aufnahmen zeigen, wie die Mauer zwischen Ost und West entstand – und schließlich fiel. (Quelle: t-online)

Die SED errichtete die Berliner Mauer, der Westen holte zum Gegenschlag aus: Von 1961 an lieferten sich BRD und DDR ein lautstarkes Duell, Leidtragende waren die Berliner. Sie hielten sich die Ohren zu.

Dieses Mal waren die SED-Bonzen zu weit gegangen. Erst hatten sie am 13. August 1961 mit dem Bau der Berliner Mauer den Eisernen Vorhang noch eiserner gemacht. Und dann demütigten sie auch noch Konrad Adenauer in aller Öffentlichkeit. Am 22. August weilte der Bundeskanzler in West-Berlin, um den Bewohnern der bundesrepublikanischen Exklave zumindest moralische Unterstützung zukommen zu lassen.

Unweit des Brandenburger Tores hielt Adenauer eine Rede – nur verstand ihn niemand. Denn aus dem Osten schallte es aus zahlreichen Lautsprechern herüber:

Auch in Bonn Willy Brandt
Keine Hilfe nicht fand
Konrad rief ihm nur zu:
Wähl auch du CDU

Alles zu den eingängigen Klängen des Erfolgssongs "Da sprach der alte Häuptling der Indianer" des amerikanischen Schlagersängers Gus Backus, dessen Text modifiziert worden war.

Das bedeutete Krieg – akustisch zumindest.

Attacke mit Zigtausend Watt

"Studio am Stacheldraht" (SaS) lautete der Name der Einrichtung, mit der der ebenfalls bespöttelte Sozialdemokrat Willy Brandt – damals Regierender Bürgermeister von West-Berlin – auf Revanche sann. Die Stadt beschaffte sich einige Bullis von Volkswagen und rüstete sie mit Lautsprechern auf. Eine Attacke mit vielen Tausend Watt auf den Osten.

Bald fuhren die Wagen die Demarkationslinie rauf und runter. Streng getaktet hielten sie vor Grenzposten der DDR, die bald wussten, was auf sie zukam: Es wummerten Klänge des Trompetensolos aus dem US-Streifen "Verdammt in alle Ewigkeit", dann folgte "Achtung, Achtung! Hier spricht das Studio am Stacheldraht". Es wurde Musik gespielt, Redakteure verlasen Nachrichten aus dem Westen wie Aussageprotokolle geflüchteter NVA-Soldaten. Und es gab auch noch den am meisten gefürchteten Teil.

"Mord bleibt Mord: Auch wenn er befohlen worden ist!", erklang es etwa aus den Lautsprechern. So sollten die Grenzer davon abgehalten werden, auf Flüchtige zu schießen. Denn es ging grausam an der Mauer zu, bereits am 24. August 1961 gab es mit Günter Litfin den ersten erschossenen "Mauertoten". Das "Studio am Stacheldraht" verhieß den Grenzsoldaten auch einmal mahnend: "Eure Schande wird um die ganze Welt gehen." Nicht zu vergessen die Drohung, dass Todesschützen eines Tages zur Verantwortung gezogen würden.

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Es waren Redakteure des Rias (Rundfunk im amerikanischen Sektor), die die entsprechenden Texte verfassten. Und durchaus berechtigte Argumente an die Grenzhüter auf der anderen Seite richteten: "Wer den Frieden hier gefährdet, ist unschwer zu erkennen. Es ist Ulbricht."

Gegenschlag aus dem Osten

Selbstredend, dass besagter Obergenosse Walter Ulbricht und Co. wenig begeistert waren. Und nun ihrerseits akustisch aufrüsteten. Erich Selbmann vom DDR-Rundfunk schwadronierte, "dass die Posaunen von Jericho sich wie Kindertrompeten ausnehmen würden", wenn die DDR sinngemäß ihre Lautsprecher der "Wahrheit und Vernunft" einsetzen würde. Allerdings erwiesen sich die rund 200 ohnehin an der Sektorengrenze installierten Lautsprecher als zu schwachbrüstig.

Was der Westen kann, kann der Osten schon lange, lautete die Parole. Bald fuhren auch auf DDR-Gebiet Wagen mit Lautsprechern herum, von den West-Polizisten "Rote Hugos" getauft. Es begann eine Jagd, denn wo immer die westlichen Lautsprecherwagen aufkreuzten, hetzten wiederum die Roten Hugos hin, um gegenzuhalten. Zumindest in Sachen Lautstärke, argumentativ zogen die Kommunisten bisweilen den Kürzeren.

Einen Bericht von einem verbalen Schlagabtausch über die Grenze hinweg zitiert der "Deutschlandfunk". "Mein Kontrahent", so schilderte es ein Rias-Redakteur, "der wusste sich dann nicht mehr so recht zu helfen, und er machte nur noch lakonisch die Feststellung, dass ich doof sei".

Technisch top, zahlenmäßig eher flop: So lautete die erste Bilanz des Lautsprecherkriegs. Der "Spiegel" vermerkte 1961 wohlwollend, dass die vier SaS-Volkswagen es auf rund 120 Phon brachten, während die Roten Hugos maximal 105 schafften. Dummerweise gab es von letzteren 15 an der Zahl, während der Westen nur vier fahrende Geräuschkanonen hatte.

Akustische Superwaffe

Aufrüstung war angesagt. Erst recht, nachdem die Feier des Deutschen Gewerkschaftsbundes zum 1. Mai 1962 von der geballten Macht der DDR-Lautsprecher niedergedröhnt worden war. Dieses Mal kam die Rettung für den Westen vom Daimler-Konzern: Vier Lastkraftwagen der Marke Mercedes-Benz nahmen bald Aufstellung in West-Berlin, jeder bestückt mit einem Kran.

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Rund zehn Meter beförderten diese die Lautsprecher in die Höhe. Rund fünf Kilometer weit nach Ost-Berlin währte damit die Reichweite des "Studios am Stacheldraht". Diese Superwaffe kam allerdings nur zu besonderen Gelegenheiten zum Einsatz, zu verheerend war ihre Beschallung.

Mittlerweile war der mal heftiger, mal weniger stark dahinwogende Lautsprecherkrieg zwischen Ost und West durchaus handgreiflich geworden. Tränengas warfen DDR-Grenzer schon einmal in Richtung der Wagen des "Studios am Stacheldraht", West-Berliner Polizisten zahlten es ihnen mit gleicher Münze heim. Richtung Westen flogen aus dem Osten auch bisweilen Steine oder eine Kugel in die Luft.

Denn auch ein akustischer Konflikt ist immer noch ein Konflikt. Anders gesagt: Die Beschallung war eine gewaltige Belastung für die Grenzer der DDR. "Die Soldaten mussten sich die Ohren zuhalten, das hat denen gesundheitliche Probleme bereitet", erinnert sich in einem Beitrag des RBB Wolfgang Göbel, selbst einst DDR-Flüchtling und Mitarbeiter des "Studios am Stacheldraht". "Und sie haben fluchtartig den Appellplatz verlassen müssen."

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So wogte die Auseinandersetzung hin und her. Bis der Westen zum finalen Schlag ausholte: Am 7. Oktober 1965 wollte der Arbeiter- und Bauernstaat seinen Geburtstag feiern, so auch in der Kaserne Groß-Glienicke. Was in West-Berlin wohlbekannt war. 5.000 Watt ließ das "Studio am Stacheldraht" im Westen auffahren, während im Osten in der Kaserne das Brimborium begann. Dann ging es los. Trompetenfanfare, anschließend das obligatorische "Achtung, Achtung! Hier spricht das Studio am Stacheldraht!"

Und das war es dann. Es wurde still, die SED gab auf, der Westen machte nicht weiter mit der Beschallung: Doch das "Studio am Stacheldraht" erreichte die Bürgerinnen und Bürger der DDR auf andere Art weiter: etwa mit Plakatwänden und Leuchtreklamen, die auch vom Osten gut lesbar waren.

Die Berliner atmeten derweil auf, denn die akustische Auseinandersetzung war eine Strapaze für viele. "Det is ja furchtbar!", klagte ein West-Berliner im Winter 1961. "Um acht Uhr, da haben wir uns die Ohren zugehalten, wie die Brüder hier die große Schnauze aufgerissen haben!"

Verwendete Quellen
  • Gerhard Paul, Ralph Schock (Hrsg.): Sound der Zeit: Geräusche, Töne, Stimmen. 1889 bis heute, Göttingen 2014
  • Irmela Schneider, Cornelia Epping-Jäger (Hrsg.): Formationen der Mediennutzung III. Dispositive Ordnungen im Umbau Taschenbuch, Bielefeld 2008
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