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Aachener CHIO: Missbrauchsvorwürfe gegen Reiter Helgstrand und Fuchs


Vorwürfe zu Missbrauch im Reitsport
"Was auf den Höfen passiert, bleibt verborgen"

Von t-online, kk

Aktualisiert am 16.07.2025 - 16:14 UhrLesedauer: 6 Min.
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Das Pferd Jovian von Andreas Helgstrand (Archivbild): Der Dressurreiter war wegen Missbrauchs auf seinem Hof bis Januar für den Reitsport gesperrt. (Quelle: IMAGO/Sharon Vandeput)
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Martin Fuchs schlägt seinem Pferd mit der Gerte ins Gesicht. Andreas Helgstrand deckt blutige Wunden mit Schuhcreme ab. Auf dem CHIO in Aachen wurden beide Reiter zuletzt gefeiert. Im Internet wird Kritik laut.

Der Schweizer Springreiter Martin Fuchs hat auf seinem Pferd "Leone Jei" gerade den großen Preis von Aachen gewonnen. Doch kurz nach seinem CHIO-Sieg machen auf den Social-Media-Plattformen Instagram und TikTok Zusammenschnitte seiner bisherigen Wettkampfskandale die Runde.

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Auf den Videos ist zu sehen, wie Fuchs seinen Pferden ins Gesicht schlägt – mal mit der Gerte, mal zielt er mit der flachen Hand in Richtung Kopf. Die Tierschutzorganisation PETA erstattet Anzeige beim Veterinäramt und fordert eine strengere Vorabprüfung und den konsequenten Ausschluss von umstrittenen Teilnehmern wie dem Schweizer Springreiter Martin Fuchs und dem dänischen Dressurreiter Andreas Helgstrand.

Springreiter Martin Fuchs: Was wird ihm vorgeworfen?

Fuchs ist einer der bekanntesten Springreiter der Welt und wurde in den vergangenen Jahren wiederholt öffentlich wegen seines Umgangs mit Pferden kritisiert. 2017 soll er sein Pferd "Clooney" beim CSIO St. Gallen etwa zu stark mit den Sporen angetrieben haben. Das Pferd hat dabei laut Schweizer Zeitung "Tagblatt" eine blutige Schramme am Unterbauch davongetragen. Fuchs wurde disqualifiziert und wegen Verdachts auf Tierquälerei angezeigt. Das Verfahren wurde eingestellt. Die Staatsanwaltschaft konnte keine "schuldhafte Überbeanspruchung des Pferdes" oder eine absichtliche Misshandlung nachweisen.

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2019 schlug Fuchs dann nach Gewinn der Einzel-Europameisterschaft in Rotterdam sein Pferd Clooney mit der Gerte erstmals gegen den Hals und löste damit öffentliche Diskussionen über den Umgang mit Pferden im Spitzensport aus. Und auch 2022 beim Springturnier in Linz schlug er sein Pferd "Viper Z" zweimal mit der Gerte ins Gesicht.

FEI bewertet Schläge auf den Kopf als "Missbrauch des Pferdes"

Fuchs selbst sagte dem Pferdemagazin "Hooforia" dazu, dass sein Wallach damals in der Kurve verweigert habe. Da das Pferd auf die Hinterbeine gestiegen sei und nach rechts abgedreht habe, habe er die Gerte auf dem rechten Hals angewandt, um den Wallach nach vorn zu korrigieren und die gefährliche Situation zu lösen. Die Staatsanwaltschaft Linz eröffnete daraufhin ein Strafverfahren, stellte dieses jedoch wieder ein, da laut Behörden keine "rohe Misshandlung" und auch keine für "unnötiges Quälen" erforderliche Zeitdauer nachweisbar war. Fuchs hat sich auf Nachfrage von t-online bisher nicht zu den Vorwürfen geäußert.

Die Pferdesport-Dachorganisation FEI (Fédération Équestre Internationale) jedoch bewertete 2023 den übermäßigen Gerteneinsatz des Springreiters, den er auch bei der "Sunshine Tour" in Vejer de la Frontera zeigte, als "Missbrauch des Pferdes gemäß Regelwerk" und verhängte eine Verwarnung sowie eine Geldstrafe von 2.000 Schweizer Franken – das Maximum für ein geringfügiges Vergehen.

Der Einsatz der Gerte ist umstritten und nicht einheitlich geregelt

Jana Hoger ist gelernte tiermedizinische Fachangestellte, studierte Tierpsychologie und arbeitet als Fachreferentin für die Tierschutzorganisation PETA in Deutschland. Für sie ist der wiederholte Gerteneinsatz von Martin Fuchs kein "geringfügiges Vergehen". "Die Haut von Pferden ist extrem sensibel", sagt sie. "Das sieht man daran, dass die Tiere auf jede Fliege auf ihrer Haut reagieren."

Generell sei der Einsatz der Gerte im Pferdesport seit Jahren ein heftig diskutiertes und umstrittenes Thema, das sich an der Schnittstelle zwischen Tierwohl, Tradition, neuen Erkenntnissen und Trainingsmethoden bewegt. Dass hier viel gerungen wird, sei etwa daran gut zu erkennen, dass die Regularien für den Gerteneinsatz sowohl international als auch von Disziplin zu Disziplin verschieden sind. Und das, obwohl Pferde alle den gleichen Organismus haben.


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Die Haut von Pferden ist extrem sensibel. Das sieht man auch daran, dass die Tiere auf jede Fliege auf ihrer Haut reagieren.


Jana Hoger, Peta Deutschland


Im Rennsport etwa waren bis vor einigen Jahren noch fünf Schläge mit der Gerte erlaubt. Im Dressursport gibt es (außerhalb des Dressurvierecks) keine Obergrenze, doch Schläge auf empfindliche Regionen wie Kopf und Hals sind hier verboten. Im Springreiten, der Disziplin von Martin Fuchs, ist eine Gerte bis 75 Zentimeter laut FEI erlaubt, wenn sie maßvoll, nicht strafend und ausschließlich am Körper, niemals aber an Kopf und Hals eingesetzt wird.

Dressurreiter Andreas Helgstrand: Was ist vorgefallen?

Neben Martin Fuchs ist auch der Däne Andreas Helgstrand beim CHIO angetreten. Helgstrand ist einer der bekanntesten Dressurreiter und Pferdehändler Europas und steht seit 2023 wegen gravierender Misshandlungsvorwürfe in der Kritik. Für den Sport war er deshalb auch bis Januar gesperrt. Der CHIO in Aachen war nun das erste Turnier, nachdem seine Sperre aufgehoben wurde.

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Grund für die Sperre war die Enthüllungsdokumentation "Operation X: Geheimnisse des Pferdemilliardärs" des dänischen Fernsehsenders TV2. Eine Journalistin hatte sich als Pferdepflegerin auf der "Helgstrand Dressage", einem der laut Webseite "weltweit renommiertesten und erfolgreichsten Ställe für die Ausbildung und den Verkauf von Spitzendressurpferden", eingeschleust und mit versteckter Kamera gefilmt.

In der Dokumentation sind Pferde mit tiefen Gertenstriemen, blutenden Sporenwunden und Mundverletzungen zu sehen. Wenn Kunden zu Besuch auf den Hof kommen, werden die Wunden der Tiere nicht verarztet, sondern verdeckt – mal mit Decken, mal mit dunkler Schuhcreme. Die Mitarbeiter des renommierten Pferdehofs bezeichnen ihre Arbeitsstelle in der Dokumentation als "Fabrik", in der Pferde unter hohem Druck "funktionieren" müssen.


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Ein Pferd muss auch mal zurechtgewiesen werden. Wenn man nur nett ist, versteht es nichts.


Andreas Helgstrand, Dressurreiter


Andreas Helgstrand selbst wurde in der Dokumentation mit den Vorwürfen konfrontiert. Seine Reaktion: "Ein Pferd muss auch mal zurechtgewiesen werden. Wenn man nur nett ist, versteht es nichts." Der dänische Reiterverband suspendierte Helgstrand daraufhin aus dem Nationalteam. Die Tierschutzorganisation "Dyrenes Beskyttelse" erstattete Anzeige wegen Tierquälerei. Der Weltreiterverband FEI zeigte sich "besorgt" über die gezeigten Zustände. Und Helgstrand versuchte vergeblich, die Ausstrahlung der Dokumentation gerichtlich zu verhindern. Darüber berichtete unter anderem das Pferdemagazin "Cavallo".

Während der Sperre reitet Isabell Werth Helgstrands Pferd

Doch die sportliche Sperre bedeutete für Helgstrand nicht, dass er dadurch enorme finanzielle Einbußen gehabt hätte. Denn seine Spitzenpferde Jovian und Queenparks Wendy hat der Spitzensportler laut "Pferde Revue" für diese Zeit an Isabell Werth und Patrik Kittel abgegeben, die mit ihnen etwa in Paris Siege und Preisgelder einfuhren. Die Preisgelder gehen in der Regel nicht an den Reiter oder die Reiterin, sondern den Besitzer des Pferdes. Doch durch die Sperre handelte es sich im Fall Wendy dabei nicht um Helgstrand selbst, sondern Madeleine Winter-Schulze – Fachmagazinen wie pferde.de zufolge eine enge Vertraute Helgstrands.

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In der Öffentlichkeit hat Helgstrand inzwischen eingestanden, dass Fehler auf seinem Hof passiert seien. Berichten von "Equestrian Worldwide" zufolge äußerte sich Helgstrand nach Ausstrahlung der Dokumentation so: "Das ist nicht in Ordnung. Das ist schlechtes Reiten und eine Behandlung von Pferden, die wir bei Helgstrand Dressage nicht sehen wollen. Es entspricht nicht unseren Richtlinien und Werten und ist kein Ausdruck unserer Kultur. Dies müssen wir korrigieren." Aufgrund des schlechten Umgangs mit den Tieren darf sich die Helgstrand Dressage heute nicht mehr Ausbildungsbetrieb nennen. Helgstrand hat sich auf Nachfrage von t-online zu den Vorwürfen bisher nicht geäußert.

CHIO-Besucher schicken Fotos und Videos an PETA

Der Tierschutzorganisation PETA liegen nach dem diesjährigen CHIO Hunderte anonym gesendete Videos und Bilder von Helgstrands Pferd vor. Die Besucher meldeten der Tierschutzorganisation etwa, dass das Pferd deutliche Anzeichen von Angst und Stress gezeigt habe. Die Unterlippe habe stark gezittert, und es habe auch eine ältere Druckstelle am Maul des Tieres gegeben.

Das Aachener Amt für Verbraucherschutz, Tierschutz und Veterinärwesen war an allen Turniertagen und auch an den An- und Abreisetagen mit etlichen Fachkollegen vor Ort, sagt ein Sprecher der Städteregion zu t-online. Im Sinne des Tierwohls schauten sich die Fachleute alle Pferde immer sehr genau an, und nicht nur die Pferde der Reiter, die in der Vergangenheit negativ aufgefallen seien. Jedes einzelne Tier werde gründlich beim Vorab-Check begutachtet, so der Sprecher. Außerdem seien Experten in den Stallungen und zusammen mit den Stewards der FN (Fédération Equestre Nationale) beziehungsweise der FEI an den Trainings- und Abreiteplätzen sowie in den Stadien aktiv.

Scientist Circle: Proaktiver Versuch, dem Tierleid vorzubeugen

Zudem habe der CHIO, der unter ständiger Beobachtung von Tierschützern aus der ganzen Welt stehe, im Laufe der Jahre besondere Maßnahmen zum Wohle der Tiere entwickelt. Eine davon ist der sogenannte Scientist Circle.

Das ist eine 2023 vom CHIO Aachen gegründete Gruppe aus Wissenschaftlern und Tierärzten, die während des Reitturniers Daten über das Wohlbefinden der Pferde sammelt. Mithilfe von Sensoren, Kameras und künstlicher Intelligenz erfasst der Circle unter anderem Herzfrequenz, Liege- und Fressverhalten der Pferde, um objektive Erkenntnisse über mögliche Stressfaktoren und Tierwohl im Reitsport zu gewinnen. Ziel ist es, auf Grundlage dieser Daten die Diskussion ums Tierwohl zu versachlichen und potenzielle Verbesserungen anzustoßen.

Wie viel Kontrolle ist von außen überhaupt möglich?

Jana Hoger findet allerdings, dass diese auf einem öffentlichen Turnier erhobenen Daten im Falle von Tiermisshandlungen wie im Fall von Andreas Helgstrand wenig nutzen. Denn diese fänden meist nicht in der Öffentlichkeit statt. Dort sehe man nur einen Bruchteil des Ganzen. "Was hinter verschlossenen Türen auf den Höfen passiert, bleibt verborgen", sagt sie.

Im Pferdesport sei es zudem nicht üblich, dass der Ruf eines Reiters, der durch Misshandlung aufgefallen sei, nach seiner Sperre beschädigt wäre. "Sie kommen immer wieder einfach zurück, holen sich die Preise und das Geld und alles scheint vergessen. Oder wer spricht heute noch von Isabell Werths Doping-Skandal?"

Im Jahr 2009 war das Pferd Whisper der deutschen Dressursportlerin Isabell Werth positiv auf das nicht zugelassene Psychopharmakon Fluphenazin getestet worden. Daraufhin wurde sie vom FEI für sechs Monate gesperrt, konnte danach aber weiter an Turnieren teilnehmen.

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