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Extinction Rebellion mit Rauchfackeln in Berlin: "Es wird extrem tödlich"


Öl-Attacke und Rauchfackeln in Berlin
"Es wird extrem tödlich – auch bei uns"

  • Nils Heidemann
Von Nils Heidemann

Aktualisiert am 14.04.2023Lesedauer: 5 Min.
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Aktivisten von "Extinction Rebellion" stehen auf einer Balustrade des Hotel Adlon: Die Gruppe hat ein Protestcamp im Invalidenpark aufgebaut.Vergrößern des Bildes
Aktivisten von "Extinction Rebellion" stehen auf einer Balustrade des Hotel Adlon: Die Gruppe hat ein Protestcamp im Invalidenpark aufgebaut. (Quelle: Christoph Soeder/dpa)

Lange war es still um die Umweltbewegung "Extinction Rebellion". Jetzt meldet sie sich mit Aktionen in den kommenden Tagen in Berlin zurück. Was treibt sie an?

Mit schnellen Schritten wuselt Klimaaktivist Dominik Lange aus einem großen Zelt heraus in den Berliner Invalidenpark – direkt zwischen Wirtschaft- und Verkehrsministerium. Er schaut nach links auf das Küchenteam, das gerade Gurken schneidet. Dann hebt er den Arm zu einer Gruppe mehrerer Aktivisten vor einem Infopoint. Er wirkt angespannt an diesem Donnerstagmittag, wippt von einem Bein auf das andere. Anschließend blickt er auf sein Handy. Nur noch fünf Prozent Akku. Lange steht unter Strom, sein Telefon nicht.

Lange, 29 Jahre alt, Wirtschaftsinformatiker, ist hier bei "Extinction Rebellion" eine Art Sprecher. In Deutschland war es zuletzt ruhig geworden um die Umweltbewegung, die ihren Ursprung in Großbritannien hat und mit zivilem Ungehorsam Maßnahmen gegen die Klimakrise erzwingen will. Die Aktivisten der "Letzten Generation", die sich einiges bei der Bewegung abgeschaut hatten, beherrschten zuletzt vor allem mit ihren Klebe-Aktionen die Medien. Doch nun drängt auch "Extinction Rebellion" wieder in die Öffentlichkeit und hat für diese Woche mehrere Aktionen angekündigt. Gesteuert werden diese von dem Camp am Invalidenpark. Ein gutes Dutzend Zelte haben die Aktivsten dort aufgebaut.

"Es ist ein bisschen Ernüchterung innerhalb der Bewegung eingekehrt", sagt Lange. Es sei derzeit schwer, die Massen zu mobilisieren. Das liege auch daran, dass die Aktionen der "Letzten Generation" bei den Menschen ähnliche Effekte hervorriefen, wie bei denen von "Extinction Rebellion". Um das zu ändern, sei offenbar ein Umbruch in der Bewegung notwendig. "Extinction Rebellion" setzt laut Lange auf neue kreative Protestformen, will zudem "zivilen Ungehorsam" in Zukunft verstärkt in Kleingruppen praktizieren. Und sich dabei auch mit anderen Gruppierungen zusammenschließen.

Klimaschutz bedeutet Kommunikation. Mit den Aktivisten anderer Bewegungen ist "Extinction Rebellion" deshalb in diesen Tagen im ständigen Austausch. Am Morgen hat die Gruppe bei einer Ölattacke der "Letzten Generation" auf die FDP-Parteizentrale mitgemacht. Am Nachmittag dann werden die Aktivisten im Luxushotel Adlon Rauchfackeln entzünden und ein Banner auswerfen: "We can’t afford the super rich", zu deutsch: "Wir können uns die Superreichen nicht leisten".

Lange erzählt davon an diesem Mittag nichts. Denn die Aktionen leben vom Überraschungseffekt. Er kündigt lediglich an: "Es werden weitere folgen".

Mia Sommer sitzt mit einem dampfenden Tee vor einem der Zelte des Camps. Sie ist heute etwas angeschlagen und erzählt ebenfalls von einer Art Resignation, die sie bei "Extinction Rebellion" zuletzt wahrgenommen hat: "Es ist traurig zu sehen, dass wir keine Massenbewegung mehr sind wie 2019". Trotzdem mache sie beim Camp und den Aktionen für das Klima mit. Denn: "Diese Krise wird niemals enden", sagt sie. Eine Zusammenarbeit mit anderen Bewegungen – trotz gewisser Unterschiede – sei deshalb unerlässlich.

"Niemand will eine Ökodiktatur"

"Wir stehen derzeit irgendwo zwischen 'Letzter Generation' und 'Fridays For Future'", erklärt sie. Zwischen diesen beiden Gruppierungen hatte es zuletzt Unstimmigkeiten gegeben. "Fridays for Future" hatte die Klebe-Aktionen der "Letzten Generation" kritisiert, sie spalte die Bevölkerung und schade damit dem eigentlichen Ziel. Auch ein Großteil der Politik und der Gesellschaft lehnt Aktionen wie Straßenblockaden ab.

Sommer entgegnet: "Niemand von denen will eine Ökodiktatur aufbauen. Die 'Letzte Generation' will mit den Aktionen lediglich die Leute wachrütteln." "Extinction Rebellion" habe dasselbe Ziel, versuche dies allerdings teils mit kreativeren Methoden.

Doch wie radikal werden solche Aktionen dann in Zukunft sein? Im September machte in Berlin die Gruppe "Tyre Extinguishers" auf sich aufmerksam, indem sie im noblen Charlottenburg an 22 SUVs die Luft aus den Autoreifen ließ. Solche oder ähnliche Aktionen könnte sich "Extinction Rebellion" bei ihrer Neuausrichtung in Zukunft als Vorbild nehmen.

Sommer sagt: "Ein Auto temporär lahmzulegen, ist lange nicht so schlimm wie die Ölkonzerne, die die Welt für alle Lebewesen komplett zerstören. Die Radikalität findet woanders statt". Zuletzt manipulierte "Extinction Rebellion" bereits Straßenschilder in der Hauptstadt.

An dem Küchenzelt sammeln sich die Campbewohner in einer Schlange. Dort steht Samuel Kramer hinter mehreren Kochtöpfen. Er verteilt Eintopf und Gurkensalat an die hungrigen Campbewohner. Kramer gehört nicht zu "Extinction Rebellion", sondern arbeitet für "Food That’s Left", einem Küchenkollektiv aus Berlin, welches das Camp mit Essen versorgt.

"Die wenigsten Menschen wissen, welche Auswirkungen die Klimakrise hat", moniert auch er, während er mit einer Kelle eine Portion Gurken auf einen Teller packt. "Es wird extrem tödlich – auch bei uns", sagt er.

Andere Notfälle und Katastrophen mit weniger schlimmen Ausmaß hätten in den Nachrichtensendungen deutlich mehr Sendezeit. "Eigentlich müsste man rund um die Uhr über den Klimawandel berichten", sagt er. Daher unterstützt er die Aktivisten vor Ort gerne – insbesondere mit geretteten Lebensmitteln.

Kurz nach der Mittagspause im Zeltcamp startet eine Satiredemonstration vom Invalidenpark aus zum Brandenburger Tor. Es ist eine der neuen kreativen Protestformen, die "Extinction Rebellion" nun neben Aktionen "zivilen Ungehorsams" einsetzen.

Mit dabei ist auch Maurice, ein mittelalter Mann im Anzug und mit Krawatte, der mit etwa 120 anderen dem Aufruf von "Extinction Rebellion" gefolgt ist, sich der Protestaktion anzuschließen. Er trägt eine Jeff Bezos-Maske, die die Organisatoren zuvor verteilt haben. Die Demonstration richtet sich insbesondere an die Reichen der Welt. Mit ihrem Lebensstil und Konsumverhalten trügen Multimillionäre und Milliardäre überproportional stark zur Klimakrise bei, kritisiert "Extinction Rebellion".

"Ich mache mir Sorgen um meine Kinder und um meine Enkel", sagt Maurice, deswegen nehme er teil. "Was früher keine 10.000 Jahre gedauert hat, um das Klima zu verändern, hat meine Generation in 100 Jahren geschafft". Er sieht in der aktuellen Krise die größte Bedrohung seit dem Aussterben der Dinosaurier.

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Die Aktionen der "Letzten Generation" und von "Extinction Rebellion" findet er gut, vor allem die kreativeren Protestformen. Aber auch drastischere Maßnahmen "zivilen Ungehorsams" wie die Rauchfackeln im Adlon-Hotel oder die Schmierereien an der FDP-Zentrale hält er für legitim.

Im Zentrum sollte seiner Meinung nach nicht die Zivilgesellschaft stehen: "Es ist gut, die Nutznießer der Klimakrise zu adressieren: Die Konzerne, die immer noch Geld mit den fossilen Brennstoffen machen und die Politiker, die überhaupt nichts tun, um diese Krise zu verhindern", sagt er. Kurz darauf setzt sich der Demonstrationszug in Bewegung.

Auch Lange ist dabei. Er läuft von der Mitte des Zuges grinsend an mehreren Polizisten vorbei bis zur Spitze. Die Anspannung scheint von ihm abgefallen zu sein, obwohl die große Aktion am Adlon zu diesem Zeitpunkt noch aussteht.

Im Laufe des Tages werden 60 Aktivisten wegen möglicher Straftaten bei den Aktionen an der FDP-Zentrale und beim Adlon festgenommen. Dominik Lange ist am Abend für ein Statement dazu nicht erreichbar. Ob es am niedrigen Akkustand seines Handys liegt, ist unklar.

Verwendete Quellen
  • Besuch im Klimacamp von "Extinction Rebellion"
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