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Brandenburg: Polizei stoppt Neonazis – Bürgerwehr wollte Grenze bewachen


Flüchtlingsjagd in Brandenburg
"Sie wollen das Gewaltmonopol des Staates aushebeln"

Von Jannik Läkamp

Aktualisiert am 26.10.2021Lesedauer: 5 Min.
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Die Polizei durchsucht den Rechtsextremen Matthias Fischer (l.): Seit Wochen nimmt die illegale Einreise von Flüchtlingen über die deutsch-polnische Grenze zu (r., Archivbild). Fischers Kleinpartei "Der Dritte Weg" will mit sogenannten Grenzgängen Migranten aufhalten.Vergrößern des Bildes
Die Polizei durchsucht den Rechtsextremen Matthias Fischer (l.): Seit Wochen nimmt die illegale Einreise von Flüchtlingen über die deutsch-polnische Grenze zu (r., Archivbild). Fischers Kleinpartei "Der Dritte Weg" will mit sogenannten Grenzgängen Migranten aufhalten. (Quelle: Danilo Dittrich/Matthias Körner/dpa/t-online-Montage/dpa-bilder)

Seit Wochen strömen Hunderte Menschen über die deutsch-polnische Grenze. Nun wollen Neonazis die Flüchtlinge stoppen. Ortsbesuch in der Grenzstadt Guben, die sich mit einer Bürgerwehr konfrontiert sieht.

Der Neonazi Matthias Fischer steht auf einer Wiese an einer Seitenstraße der Stadt Groß Gastrose – und wartet. Fischer und seine Anhänger der rechtsextremen Splitterpartei "Der Dritte Weg" sind in dieser Nacht zu Sonntag nicht weit gekommen: Die Polizei hat die Neonazis hier vor einer Wohnsiedlung angehalten und umstellt. Fischers Gruppe ist martialisch angezogen: Sie tragen Sturmhauben, Taschenlampen und Nachtsichtgeräte. Später wird bei einem aus der Gruppe ein Bajonett gefunden – und noch andere Waffen.

Fischer gilt als einer der bekanntesten Köpfe von "Der Dritte Weg". Seine Truppe war einem Aufruf der rechtsextremen Kleinpartei gefolgt, die an diesem Wochenende Großes vorhatte: Die Neonazis wollten sich in der Nacht an einem sogenannten Grenzgang an der deutsch-polnischen Grenze versammeln. Ihr angebliches Ziel: den Flüchtlingsstrom auf der Belarus-Route aufhalten.

Doch daraus wird nichts. Die Polizei greift sich einen nach dem anderen heraus, durchsucht die Männer und Frauen – und auch ihre Autos.

Grenzgang in Brandenburg: Rechte wollen Flüchtlinge aufhalten

Seit Jahresbeginn bis 21. Oktober registrierte die Bundespolizei 6.162 illegale Einreisen über die Belarus-Route. Der Brennpunkt sei dabei die deutsch-polnische Grenze. Und es werden immer mehr: Innerhalb von zwei Tagen kamen auf der neuen Migrationsroute knapp 500 Menschen unerlaubt nach Deutschland.

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Der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko hatte im Frühjahr als Reaktion auf westliche Sanktionen erklärt, er werde Migranten auf dem Weg in die Europäische Union nicht mehr aufhalten. Seitdem nimmt die Zahl irregulärer Grenzübertritte an den EU-Außengrenzen zu Belarus sowie an der deutsch-polnischen Grenze zu.

"Sie wollen Gewaltmonopol des Staates aushebeln"

Begründet wird der massive Polizeieinsatz an diesem Abend mit einem Verstoß gegen das Versammlungsrecht. "Die Aktion war nicht angemeldet. Das ist Pflicht. Mit dem, was 'Der Dritte Weg' vorhatte, hätten sie aber ohnehin keine Genehmigung bekommen. Denn sie wollten das Gewaltmonopol des Staates aushebeln", so der Pressesprecher der Polizeidirektion Brandenburg Süd, Maik Kettlitz.

Das sieht der Neonazi Fischer an diesem Abend ganz anders: "Wir haben nie vorgehabt, hier den Grenzschutz zu ersetzen. Da sind wir auch gar nicht in der Lage dazu, das ist auch gar nicht unser Ansinnen", behauptete er im Gespräch mit t-online. "Es ging lediglich darum, sich selbst ein Bild vor Ort zu verschaffen, wie die Lage tatsächlich ist." Ganz anders mutet da die Ankündigung seiner Gruppierung an, in der es heißt: "Wir schauen nicht zu, wir handeln."

Aufgrund der Polizeimaßnahmen sei es allerdings ohnehin nicht möglich gewesen, sich die Situation anzusehen, so Fischer. Und weiter: "Aber die Grenze ist 460 Kilometer lang. Und die Nacht ist noch jung." Nachdem Fischer von der Polizei durchsucht und befragt worden ist, erhält er, so wie alle Gruppenmitglieder, einen Platzverweis. Am Ende des Abends wird die Polizei 50 solcher Platzverweise ausgesprochen haben. Daraufhin verschwindet Fischer in einem dunklen Van. Wohin, bleibt unklar.

Die eigenmächtigen Aktionen der Gruppierung kommentiert Polizist Kettlitz so: "Das ist nicht normal, das darf auch nicht Normalität werden." Dennoch – ein generelles Problem. "Im südlichen Brandenburg gibt es eine starke rechte und zum Teil rechtsextreme Szene", so Kettlitz. Es gebe hier deutlich mehr rechts- als linksorientierte Straftaten, vor allem Propagandadelikte, wie den Hitlergruß, aber auch Gewaltdelikte.

"Neonazis machen mir keine Sorgen"

Von dem Blaulicht des Polizeieinsatzes angelockt, beobachten an diesem Samstag einige Anwohner die Szenerie. Einer von ihnen ist Reiner. Seit 2018 wohnt er in Groß Gastrose: "Das ist schon aufregend hier, besser als Fernsehen." Er blickt aus dem Fenster, die Ellenbogen auf den Fensterrahmen gestützt. "Sind unruhige Zeiten zurzeit." Sorgen mache er sich angesichts der Neonazis allerdings keine. "Mir ist das egal, Hauptsache, die lassen uns und unser Eigentum in Ruhe. Hier in der Gegend gab es in letzter Zeit schon genug Diebstähle." Was er mit Letzterem meint, will er nicht konkreter benennen.

Gegen den "Grenzgang" spricht Reiner sich nicht aus. "Sollen sie doch machen, wenn sie nicht schlafen können." Er selbst würde sich aber nicht an einer solchen Aktion beteiligen. "Ich habe doch ein warmes Bett und eine nette Frau."

"Die richten sich höchstens gegen Linke und Asylbewerber"

Ein anderer Anwohner, der seit 2003 im Ort wohnt und anonym bleiben möchte, beobachtet den Polizeieinsatz gemeinsam mit Freunden aus Cottbus. "Ich wusste bis gerade eben gar nicht, worum es hier geht." Die Flüchtlingsproblematik in der Grenzregion sei ihm allerdings bekannt. "Die haben hier ja schon genug Flüchtlinge aufgeschnappt. 30 oder 40 letztens erst. Das waren vor allem junge Männer, aber auch Familien."

Ebenso wie Reiner macht auch er sich keine Sorgen. "Die Rechten lassen die Anwohner in Ruhe, die richten sich ja höchstens gegen Linke und Asylbewerber." Auch er sieht die Aktion nicht als allzu problematisch an. Im Gegenteil: "Was hier passiert, ist der ganz normale Weg. Es ist deren freies Recht, hier Aktionen zu machen. Die finden das noch lustig, dass sie die Polizei hier binden."

24-Stunden-Mahnwache: "Die Nazis brauchen Gegenwehr"

Ein Zeichen gegen die Aktion der Rechten will in dieser Nacht dagegen die "24-Stunden Mahnwache" in Guben setzen. Etwa zweihundert meist schwarz gekleidete Personen demonstrieren hier mit Plakaten, Musik und Kundgebungen gegen die Neonazis. Einer von ihnen ist Moritz Haberland.

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Der 19-Jährige Student aus Cottbus, ebenfalls schwarz gekleidet, eine Antifa-Flagge umgewickelt, arbeitet als Ordner bei der Mahnwache. "Der faschistische 'Dritte Weg' will hier eine Menschenjagd veranstalten. Dagegen wollen wir ein Zeichen setzen. Wir wollen sichtbar sein, zeigen, dass hier Menschen gegen rechts sind."

Haberland sieht in dem Aufruf des "Dritten Wegs" mehr als eine einmalige Provokation. "Guben und das ländliche Brandenburg allgemein sind stark rechts orientiert. Die AfD ist hier sehr stark, in Guben sogar stärkste Fraktion."

Der "Dritte Weg" stehe für Gewalt und seine Mitglieder seien dafür bekannt, einschlägige Sporttrainings zu veranstalten, so der Student. "Die kommen hier ja auch mit Nachtsichtgeräten an. In dem Aufruf stand, man solle Waffen zu Hause lassen. Mit einem Augenzwinkern", sagt Haberland weiter. "Die Nazis brauchen Gegenwehr. Aber man darf sich nicht deren Mittel aneignen."

"Ich bin vorbereitet"

Urszula und Krzysztof Zabielski betreiben das Eiscafé Venezia in Guben, direkt gegenüber der Mahnwache. "Um die Nazis mache ich mir keine Sorgen, aber wenn sie kommen, bin ich vorbereitet. Ich habe mir schon tatkräftige Unterstützung organisiert", sagt der gebürtige Pole. Was er damit genau meint, sagt er nicht. Nur so viel: "Die AfD hat hier im Ort schließlich 30 Prozent. Das ist doch Wahnsinn."

Urszula Zabielski mache sich eher Gedanken um kriminelle Flüchtlinge als um Nazis, sagte sie. "Aber die Flüchtlinge, die ich kenne, sind alle nett."

"Guben hat ein Nazi-Problem"

Sonja Sage ist 69 Jahre alt, sie ist in Guben geboren und aufgewachsen. Samstagabend ging sie mit ihrem Hund Bolle spazieren. Sie kam zufällig an der Mahnwache vorbei. Sage: "Flüchtlinge sind Menschen, die viel Leid erfahren haben. Sie wollen zur Ruhe kommen, aber sollen jetzt hier gewaltsam in Empfang genommen werden", so die Rentnerin.

Und weiter: "Wegen der Nazis mache ich mir große Sorgen. Guben hat ein Nazi-Problem. Wir hatten das schon 2015, als hier im Ort einige Flüchtlinge aufgenommen wurden. Da gab es auch Nazi-Demos, aber die demokratischen Kräfte haben sich dagegengestellt. Da ist es zum Glück friedlich geblieben." Dass die AfD im Ort so stark ist, findet sie erschreckend. Viele Wähler wüssten ja gar nicht, was die AfD wirklich machen will.

"Das sind wir nicht gewöhnt"

Gabi Scholz ist 71 Jahre alt und ebenfalls gebürtige Gubenerin. Zusammen mit ihrem Mann besuchte sie die Mahnwache gegen rechts. Dass hier so viel los ist, finde sie toll. "Das ist man in Guben ja gar nicht gewöhnt."

Auch sie ist hier, um ein Zeichen gegen die Rechten zu setzen. "Es kann nicht sein, jemanden wegzuschicken, der Hilfe braucht. Wir haben hier schließlich viele leere Wohnungen. Wer ein besseres Leben braucht, soll es bekommen."

Verwendete Quellen
  • Eigene Beobachtungen und Gespräche vor Ort
  • Eigene Recherche
  • Pressemitteilung der Polizei Brandenburg, 25. Oktober
  • mit Material der Nachrichtenagentur dpa
  • Flyer "Der Dritte Weg": "Werde Grenzgänger – Schütze Deine Heimat vor illegal einreisenden Ausländern!"
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