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Schüler kämpft gegen "Querdenker"-Lehrer – dieser will ihn stoppen


Umstrittenes Unterrichtsmaterial
Schüler kämpft gegen "Querdenker"-Lehrer

Von t-online
Aktualisiert am 26.09.2022Lesedauer: 5 Min.
Mann mit "Querdenken"-Schriftzug auf der Oberkleidung (Archivbild): Der Verfassungsschutz will "Querdenken" noch nicht beobachten.Vergrößern des BildesMann mit "Querdenken"-Schriftzug auf der Oberkleidung (Archivbild): Ein Lehrer aus NRW tritt auf "Querdenker"-Versammlungen auf. Die Schüler machen sich Sorgen. (Quelle: Annette Riedl/dpa-bilder)
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Als ein Schüler herausfindet, dass sein Lehrer auf "Querdenker"-Demos Reden hält, meldet er das der Schule. Der Lehrer will ihn stoppen. Ein Rechtsstreit in mehreren Akten beginnt.

Ein Lehrer verklagt seinen Schüler. Klingt absurd? Aber genau das geschieht dem 18-jährigen Jan-Niklas N., als er herausfindet, dass sein Lehrer auf Kundgebungen der "Querdenker"-Bewegung Reden hält. Jan-Niklas meldet das der Schulleitung seines Berufskollegs in Ratingen. Daraufhin bekommt er Post – und wird verklagt. Der Streit zieht sich über zwei Jahre – nun könnte bald endlich ein endgültiges Urteil fallen. Was war vorgefallen?

Der Lehrer wirkt sympathisch. Er tritt bei Partys seiner Schule als Sänger auf, hält Reden und macht Stimmung; die Schüler jubeln. Jan-Niklas steht kurz vor dem Abitur. Der Lehrer ist ihm schon bald aufgefallen: In seinem Unterricht habe er immer wieder nebenbei politische Inhalte eingestreut, erzählt Jan-Niklas im Gespräch mit t-online.

Beispielsweise habe er im Mathematikunterricht als Quelle einmal auf den Verschwörungsideologen Ken Jebsen verwiesen und die Krankheit eines Schülers in Zusammenhang mit der Mund-Nasen-Maske gestellt. Der Lehrer selbst äußerte sich gegenüber t-online zu den Vorwürfen nicht.

Auf der Bühne mit Szenengrößen der "Querdenker"

Hellhörig wird die Klasse spätestens, als ihr Lehrer im Oktober 2020 bei einer großen "Querdenken"-Versammlung in Berlin auf der Bühne steht, nebst der bekannten Szenegröße Artur Helios, der wegen eines Hitlergrußes verurteilt wurde. Helios kündigt ihn an als Lehrer, Oberstudienrat und "Freund der ersten Stunde", den er im Mai bei einem "konspirativen Treffen" kennengelernt habe.

Dann übergibt Helios das Mikro an den Lehrer. Der spricht von Corona und Lobbyismus, von Microsoft und Apple, von Macht und System, vom Bankensektor und PR-Agenturen. An diesem Tag ebenfalls auf der Bühne steht ein weiteres prominentes Gesicht der Bewegung: Attila Hildmann.

Die Rede des Lehrers wird gefilmt und online gestellt. Auch auf der Homepage der den "Querdenkern" nahestehenden Partei Die Basis ist er mit Namen zu finden, da er dort zeitweise zum Landesvorstand NRW gehörte. So wird Jan-Niklas' Klasse auf das Treiben des Lehrers aufmerksam. Wäre er einfach als Privatperson auf solche Kundgebungen gegangen, sagt Jan-Niklas, hätten sie wohl nichts unternommen.

Sorge um schulische Neutralitätspflicht und jüngere Schüler

Aber dass er im Unterricht seine Thesen unterbringe und sich bei seinen Reden als Lehrer und Oberstudienrat ankündigen lässt, geht Jan-Niklas und einigen seiner Mitschüler entschieden zu weit. Sie werfen ihm die Unterstützung einer antisemitischen und rechtsoffenen Bewegung vor und sehen die schulische Neutralitätspflicht in Gefahr.

Außerdem hat die Klasse erfahren, dass der Lehrer an ein Gymnasium in Essen wechseln und dort auch jüngere Klassen unterrichten sollte. Das mache die Sache für sie noch kritischer. "Als er noch auf unserer Schule war, hat das wenigstens nur Oberstufenschüler betroffen. Wir können das eher differenziert einordnen", erklärt Jan-Niklas. "Aber jetzt unterrichtet er auch Siebtklässler. Ich befürchte, dass sie undemokratische Äußerungen von so einer Autoritätsperson unkritisch aufnehmen könnten."

Klasse fordert Konsequenzen von der Schulleitung

Jan-Niklas ist Klassensprecher, also schreibt er im Namen seiner Mitschüler im November 2020 eine E-Mail an die Schulleitung des Kollegs. Sie geht auch an den neuen Chef des Lehrers, den Leiter des Gymnasiums in Essen. In der Mail geht Jan-Niklas auf die Kritik und die Sorgen ein und verlinkt Videos und Fotos, die die Reden seines Lehrers bei der Kundgebung in Berlin und einer weiteren in Dortmund belegen und dokumentieren, dass an diesen Veranstaltungen bekannte Rechtsextremisten teilnahmen.

Am Ende der E-Mail fordert Jan-Niklas die Schulleitung dazu auf, Konsequenzen zu prüfen und mit dem Lehrer zu sprechen. Außerdem bittet er explizit darum, dem Lehrer den Absender der Mail nicht zu verraten, da die Klasse schlechte Noten im bevorstehenden Mathe-Abitur fürchte. Doch daran hält sich die Schulleitung offenbar nicht.

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Schule schweigt zu den Vorwürfen

Eine Anfrage von t-online, wieso die Schulleitung das Anliegen der Schülerinnen und Schüler ohne Konsequenzen für den Lehrer weiterreichte, ließ das Berufskolleg unbeantwortet. Das Gymnasium in Essen verweist in der Sache auf die Zuständigkeit der Bezirksregierung Düsseldorf.

Diese teilte mit: "Ist das dienstliche Verhalten einer Lehrerin oder eines Lehrers oder eines sonstigen Beschäftigten an der Schule zu beanstanden, so ist der oder die Betroffene unverzüglich unter Darlegung des Sachverhaltes darauf hinzuweisen und zur Änderung des Verhaltens aufzufordern. Wird das Fehlverhalten nicht abgestellt oder besteht der Verdacht eines Dienstvergehens, meldet die Schulleiterin oder der Schulleiter dies der dienstaufsichtlich zuständigen Schulaufsichtsbehörde, bei Personal, das nicht im Landesdienst steht, dem Schulträger oder dem jeweiligen Arbeitgeber."

In welcher Form die Schulleitung dem Lehrer den Sachverhalt erläutert hat, sei der Schulaufsicht nicht bekannt. Die Versetzung des Lehrers von Ratingen nach Essen habe aber nichts mit der Thematik zu tun.

Unterlassungserklärung lag im Briefkasten

Im Januar 2021 bekommt Jan-Niklas eine Unterlassungserklärung von einer Anwaltskanzlei, die der Lehrer beauftragt hat. Darin stehen Zitate aus der Mail des Schülers an die Schulleitung. Er wird aufgefordert, seine Kritik an dem Lehrer nicht weiterzuverbreiten. Nun soll Jan-Niklas 492,54 Euro bezahlen. Sollte er einen der genannten Punkte erneut äußern, würde eine Strafe von 5.000 Euro fällig. Doch damit nicht genug: Der Lehrer hat seinen Schüler angezeigt. Die Polizei ermittelt wegen übler Nachrede.

"Ich war überfordert, aber auch wütend und enttäuscht, dass er direkt solche Schritte einleitet", erinnert sich Jan-Niklas. Für den gerade volljährigen Schüler steht fest: Er muss sich wehren. "Ich hatte keine 500 Euro. Ich konnte diese Unterlassungserklärung also gar nicht unterschreiben", sagt er.

Außerdem habe sich alles in ihm gegen die Unterlassungserklärung gesträubt: "Da steht, dass nicht stimmt, was ich sage. Das ist aber falsch. Ich will mir nicht verbieten lassen, das zu sagen! Das verstößt gegen meine Meinungsfreiheit und gegen die Tatsachen." Der Schüler nimmt sich also eine Anwältin und zeigt sich kampfesmutig.

"Das verstößt gegen meine Meinungsfreiheit"

Die Kanzleien tauschen viele Seiten an Vorwürfen und Argumenten aus. Schließlich stellt die zuständige Staatsanwaltschaft Wuppertal das Verfahren im Mai 2021 ein: Sie sieht keinen Anlass für eine Anklage. Stattdessen treffen sich Jan-Niklas und der Lehrer im September 2021 vor einem sogenannten Schiedsgericht: Sie sollen den Konflikt beilegen. "Aber wir sind nicht auf einen gemeinsamen Nenner gekommen", berichtet Jan-Niklas.

Nach diesem gescheiterten Gespräch gibt der Lehrer noch immer nicht auf: Ein Gericht soll die Sache klären. "Ich hoffe einfach, dass er dann endlich zufrieden ist und wir Ruhe voneinander haben", sagt der Schüler frustriert. Nachdem Jan-Niklas seinen Lehrer vor dem Amtsgericht Ratingen am 23. September wiedersah, hofft der Schüler nun auf endgültiges Urteil Anfang November.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
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