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Flucht aus der Ukraine mit krebskrankem Kind: "Sie haben geschrien"


Aus der Ukraine in die Uniklinik
Flucht mit krebskrankem Kind: "Sie haben geschrien und Angst gehabt"


Aktualisiert am 03.04.2022Lesedauer: 4 Min.
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Familie Korychak: Sie mussten aus der Ukraine flüchten. Der älteste Sohn Eduard ist an Lymphdrüsenkrebs erkrankt.Vergrößern des Bildes
Familie Korychak: Sie mussten aus der Ukraine flüchten. Der älteste Sohn Eduard ist an Lymphdrüsenkrebs erkrankt. (Quelle: Benedikt Kaninski)

Familie Korychak verließ unter dem Donnern der Bomben und in ständiger Angst Hals über Kopf die Ukraine. Ihr ältester Sohn Eduard kämpft nicht nur mit den Bildern des Kriegs – sondern wegen einer Krebserkrankung auch ums Überleben.

Drei Kinder spielen in einem liebevoll eingerichteten Spielzimmer. Noch vor wenigen Wochen haben Artem, Maksym und Eduard den Krieg in der Ukraine hautnah erlebt. Jetzt wohnen die Jungen im Alter von vier, sieben und elf Jahren mit ihren Eltern im sogenannten Elternhaus direkt neben dem Essener Uniklinikum. Eduard, der älteste der Brüder, ist an Lymphdrüsenkrebs erkrankt und nach der Flucht nun in Deutschland auf eine Weiterbehandlung angewiesen.

Im Elternhaus der Elterninitiative für krebskranke Kinder e.V. fühlt sich die ukrainische Familie sicher: "Wir fühlen uns hier geborgen, aber das ist natürlich nicht unser richtiges Zuhause", erklärt Vater Ihor. Die Einrichtung nimmt seit vielen Jahren Familien mit krebskranken Kindern auf. So haben die Betroffenen die direkte Anbindung zu den Ärzten, aber gleichzeitig auch ein sicheres Umfeld für sich und die Geschwisterkinder.

Durch den Ukraine-Krieg bekam das Elternhaus in Essen eine neue Bedeutung. Insgesamt gibt es 35 Wohnungen für Betroffene, die bereits fast alle vergeben sind.

Vor etwa drei Wochen zog Ihor Korychak mit Eduard ein. Ein Bus brachte die beiden gemeinsam mit 21 anderen krebskranken Kindern und deren Familien zur Uniklinik. "Zum Glück wurden die Busse von der Polizei beschützt, deswegen war die Fahrt nicht so schlimm", erinnert sich Ihor Korychak. Er durfte mit seinem Sohn flüchten, weil ihn die Grenzposten als Begleitperson des kranken Kindes durchließen.

"Kinder haben geschrien und Angst gehabt"

Vor ihrer Flucht lebten die Korychaks in Turnipol in der Westukraine. Als der Krieg in ihrer Heimat ausbrach, war für die junge Familie klar, dass sie flüchten musste. Immer wieder beschossen russische Truppen die Stadt: "Wir haben tierische Angst gehabt, besonders mit den Kindern war das wirklich schrecklich. Eigentlich kann man sich das gar nicht vorstellen. Die Kinder haben geschrien und Angst gehabt", sagt Mutter Oksana mit zitternder Stimme.

Auch Eduards Krebserkrankung spielte bei der Entscheidung zu fliehen eine Rolle, denn die Versorgung war in der Ukraine nicht mehr sichergestellt. Die fünfköpfige Familie konnte jedoch nicht gemeinsam in Richtung Westen aufbrechen – Mutter und Vater teilten sich auf: Während Ihor und Eduard einen Platz im Bus nach Essen bekamen, blieb Mutter Oksana mit Eduards jüngeren Brüdern Artem und Maksym zunächst in der Heimat zurück.

Erst vor etwa einer Woche waren die Korychaks dann endlich wieder vereint: "Den Kindern geht es jetzt wieder besser. Sie sind aber noch traumatisiert. Ihre Großeltern sind in der Ukraine geblieben, und sie verstehen, dass da Krieg ist, aber hier fühlen sie sich wohl."

"Manche haben nur eine Plastiktüte in der Hand, wenn sie ankommen"

"Es ist eine Extremsituation für diese Menschen. Sie haben ein krebskrankes Kind in der Familie. Corona spielt natürlich auch eine Rolle, weil das für das Kind gefährlich sein kann, und dann kommen sie auch noch als Flüchtlinge hierhin", beschreibt die Geschäftsführerin der Elterninitiative, Lara Krieger, die psychische Belastung der Familien.

"Wir hören täglich die grausamen Geschichten der Eltern. Die Familien haben eine Flucht hinter sich, sind bombardiert worden und zum Teil zu Fuß den Weg gelaufen. Eine Familie hat ihre zwei Kinder erst verloren und sie dann wiedergefunden. Außerdem hat uns eine Familie erzählt, dass sie in einem verlassenen Haus übernachtet hat auf der Flucht", sagt Lara Krieger. Manche Leute hätten nur eine kleine Plastiktüte in der Hand, wenn sie ankommen.

Das Erlebte allein ist schon traumatisierend – hinzu kommt die Angst um das schwerkranke Kind. Doch Eduards Vater sagt: "Die Behandlung hier ist sehr gut. Wir haben bald einen Termin beim Arzt und es sieht sehr danach aus, dass dann eine Chemotherapie ansteht." Wie es für den Elfjährigen weitergeht, ist schwer zu prognostizieren. Bereits im Kleinkindalter wurde bei Eduard eine Bewegungsstörung diagnostiziert, sein Kleinhirn arbeitet nicht richtig.

"Damit einhergeht ein Immundefekt. Er hat also keine Abwehrstoffe und ein deutlich höheres Risiko, an Leukämie zu erkranken oder ein Lymphom zu entwickeln. Solche Fälle sind sehr komplex. Wir können ihn zum Beispiel nicht röntgen, weil das noch mehr Tumore verursacht. Wir wollen ja das Lymphom heilen und keine neuen Probleme schaffen", beschreibt der Leiter der Kinderklinik im Uniklinikum, Prof. Christian Reinhardt, mit ernster Miene Eduards Erkrankung.

Krebsbehandlung in Essen: Familie will nach dem Krieg zurück in die Heimat

Ein Teufelskreis. Aufgrund der Vielzahl an Erkrankungen geht Reinhardt aktuell von einer "deutlich eingeschränkten Lebenserwartung" aus. Ohne die Grunderkrankung würden in der Regel 95 von 100 Kindern diese Tumore überleben.

Für Eduards Eltern ist es wichtig, dass sie ihren Sohn gut betreut wissen und bei ihm sein können. An die Zukunft trauen sich die Korychaks zurzeit nicht zu denken. Zu schmerzhaft und unübersichtlich ist die aktuelle Lage. "Es tut weh zu sehen, dass wehrlose Menschen in Schulen und Kindergärten ermordet werden. Das sind keine militärischen Ziele", stellt Oksana klar.

Trotzdem möchte die Familie nicht für immer in Deutschland bleiben: "Unsere Eltern sind in der Ukraine geblieben. Freunde und Bekannte sind auch noch dort und deswegen möchten wir irgendwann wieder zurückkehren." Vielleicht würde sich dann zumindest eine der vielen Sorgen im Leben der Familie Korychak lösen.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen und Gespräche vor Ort
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