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Hamburg: Legendärer Club "Große Freiheit 36" will Querdenker-Image loswerden


Neuer Betreiber
Legendärer Livemusik-Club will "Querdenker"-Image loswerden


22.08.2022Lesedauer: 4 Min.
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Am Hamburger Livemusikclub "Große Freiheit 36" auf St. Pauli hängen im März 2021 Plakate mit Kritik gegen Corona-Maßnahmen (Archivbild): Diverse Veranstalter kündigten daraufhin an, den Club zu boykottieren.Vergrößern des Bildes
Am Hamburger Livemusikclub "Große Freiheit 36" auf St. Pauli hängen im März 2021 Plakate mit Kritik gegen Corona-Maßnahmen (Archivbild): Diverse Veranstalter kündigten daraufhin an, den Club zu boykottieren. (Quelle: Hanno Bode/imago-images-bilder)

Mit Verschwörungstheorien stellten die Betreiber den Hamburger Kultclub "Große Freiheit 36" ins Abseits. Der neue Chef will jetzt alles anders machen.

Der Neustart nach Corona fiel für Hamburgs legendären Livemusik-Club "Große Freiheit 36" auf St. Pauli aus. Die Betreiber hatten sich während der Pandemie mehrfach kritisch zu Corona-Maßnahmen geäußert und teils verschwörungstheoretische Plakate aufgehängt. Die Branche wendete sich ab, Künstler machen einen Bogen um die Veranstaltungsstätte. Jetzt will ein neuer Geschäftsführer das Ruder herumreißen.

"Wir distanzieren uns ausdrücklich von dieser Praxis", heißt es in einem Statement des neuen Betreibers Benny Dianat. Gemeint sind die "Wandzeitungen", die Gründer und Ex-Betreiber Karl-Hermann Günther während der Lockdowns aufhängen ließ. "Bewaffnet Euch mit Wissen" war auf den Plakaten etwa zu lesen. Die "Wahrheit" fand Günther bei Boris Reitschuster, Wolfgang Wodarg und Ken Jebsen – dem "Who's who" der deutschen Corona-Leugner-Szene, die selbst vor Umsturzfantasien und Antisemitismus nicht zurückschreckt.

Hamburg: Gründer der "Großen Freiheit 36" mit Kontakten zu "Querdenkern"

Wie "Deutschlandfunk Kultur" berichtete, war der Clubchef selbst von einschlägigen Personen umgeben: Sein Sprecher im März 2021 war Torsten Engelbrecht, Mitautor des Buches "Virus-Wahn". Untertitel: "Wie die Medizinindustrie ständig Seuchen erfindet und auf Kosten der Allgemeinheit Milliardenprofite macht."

Günthers Anwalt ist Alexander Christ, der auch den "Querdenken"-Gründer Michael Ballweg vertritt. In dem Konzertclub wurde außerdem der Hamburger Landesverband der Querdenker-Partei "Die Basis" gegründet, berichtet die Plattform "Belltower News" der Amadeu Antonio Stiftung.

Die Reaktionen auf die "Wandzeitungen" waren scharf: Allen voran das Hamburger Clubkombinat verurteilte die veröffentlichten Inhalte scharf: "Ihr treibt damit eine bewusste Spaltung unserer Gesellschaft und vor allem auch der Club- und Kulturszene unmittelbar voran." Der Verein versteht sich als Sprachrohr der Hamburger Clubs, Veranstalter und Konzertagenturen und zählt fast 200 Mitglieder.

"Der Schaden, der durch Eure Wandaktionen an den Außenfassaden Eurer Clubs entsteht, ist groß", so die Kritik an Günther, der auch den nicht weniger bekannten Club "Docks" an der Reeperbahn gründete. Auch an Günthers Kieler Club, der "Traum GmbH", wurden Plakate aufgehängt.

Clubs und Veranstalter sagten Konzerte aus Protest ab

Auch mehrere große Veranstalter, darunter FKP Skorpio und die Karsten Jahnke Konzertdirektion, wendeten sich ab: "Indem ihr Falschinformationen streut, instrumentalisiert ihr nicht nur uns und eure eigenen Spielstätten, sondern vor allem die Künstler*innen, die maßgeblich zu eurem vormals guten Namen beigetragen haben." Die Unterzeichner des offenen Briefes auf Facebook machten eigenen Angaben zufolge mehr als 90 Prozent des Programms in der "Großen Freiheit 36" aus. "Veranstaltungen unter eurem Dach kommen unter diesen Bedingungen für uns nicht infrage." Zahlreiche schon terminierte oder wegen Corona verschobene Konzerte wurden abgesagt.

Die ehemaligen Betreiber nahmen die Kritik nur teilweise an, verteidigten gleichzeitig aber ihre Linie: "Vielleicht waren nicht immer alle Plakate ausgewogen, angemessen oder allgemeingültig. (...) Wir bieten ein Forum für Meinungen, die sonst keinen Platz mehr bekommen", hieß es in einem Beitrag vom 25. März 2021.

Große Namen in Hamburg: Prince, Robbie Williams und Coldplay waren da

In der "Großen Freiheit 36" waren fast alle. Stolz werden auf der Webseite des Konzert-Clubs die Bands und Sänger aus vier Jahrzehnten aufgelistet: Prince, R.E.M, Meat Loaf, Fanta 4, Westernhagen, Daft Punk, Robbie Williams, Placebo, Coldplay, KIZ und die Black Eyed Peas sind nur eine Auswahl. Seit mehr als zwei Jahren aber fehlen die großen Namen, was nicht nur an der Pandemie liegt. Zuletzt kamen gar keine Stars mehr – das Programm bestand vor allem aus "XXL Parties", die mit günstigem Alkohol, Bildern von jungen Menschen und freiem Eintritt beworben wurden.

Für die kommenden Monate werden auf der Club-Webseite ein paar Konzerte angekündigt: Die Rapper Joey Bada$$ und Prinz Pi sollen kommen, ebenso Popstar Mike Singer. Ob diese Bookings nur durch den Betreiberwechsel zustande kamen, ist unklar. Auf Anfrage von t-online ist der neue Betreiber Benny Dianat nicht zu erreichen – er befindet sich im Urlaub. Offen bleibt auch die Frage, wie es mit dem "Docks" am Spielbudenpatz weitergeht.

Neuer Betreiber wird optimistisch aufgenommen

Die Hamburger Clubszene zumindest reagiert vorsichtig optimistisch: Das "Statement des neuen Inhabers Benny Dianat macht uns Hoffnung, dass ein Neustart gelingen kann", antwortet Timo Wiesmann, Chef des Musikwirtschaftsverbandes "Hamburg Music", auf Anfrage von t-online.

Man wünsche sich, an die "freundschaftliche und erfolgreiche Zusammenarbeit der letzten Jahrzehnte anknüpfen" zu können. "Letztere lag nun rund zwei Jahre brach", heißt es. Der Grund: Die "Große Freiheit 36" habe demokratiefeindlichem Gedankengut sowie rechtspopulistischen und verschwörungstheoretischen Meinungen Raum gegeben.

Der neue Betreiber Dianat habe den Branchenkollegen von "Hamburg Music" demnach im persönlichen Gespräch glaubhaft gemacht, dass er sich von den Praktiken des ehemaligen Betreibers distanziere. Andere Veranstalter und Musiklabels wollen sich auf Anfrage nicht äußern und verweisen auf das gemeinsame Statement über den Verband.

Im Internet ist Benny Dianat als Chef der Firma "Security Große Freiheit" zu finden – die Straße Große Freiheit zählt zu den bekanntesten und belebtesten in dem Hamburger Kiez. Mehr ist über den Mittvierziger nicht zu finden. Die "Wandzeitungen" sind mittlerweile verschwunden. Ob die ganz großen Namen für Konzerte wiederkommen, wird sich zeigen.

Verwendete Quellen
  • Schriftliche Anfrage bei "Hamburg Music"
  • Schriftliche Anfrage an "Große Freiheit 36"
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