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Amoktat bei Zeugen Jehovas in Hamburg: Dienstverfahren gegen Beamten


Amoklauf bei Zeugen Jehovas
Sieben Tote und ein Bauernopfer


Aktualisiert am 12.04.2023Lesedauer: 4 Min.
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Philipp F. sah sich selbst als Hobby-ErmittlerVergrößern des Bildes
Sind Hinweise auf den Amokläufer bei der Polizei in Hamburg versackt?

Am 9. März erschoss Philipp F. in Hamburg sieben Menschen. Eine Warnung vor dem Amoktäter hat die Polizei offenbar ignoriert. Informationen darüber hält sie zurück.

Eine Warnung auf Wesensveränderung des Amokläufers Philipp F. ist bei der Polizei Hamburg intern offenbar nicht weitergegeben worden. Schon im Januar hatte der Schießsportverein die Polizei Hamburg vor dem späteren Täter gewarnt. Genau dieser Hinweis hat der Mitarbeiter der Waffenbehörde, die zur Polizei Hamburg gehört, nicht weitergegeben oder als Vermerk abgelegt. Das berichtet "Die Zeit". Dem Beamten drohen nun dienstrechtliche Konsequenzen.

In der vergangenen Woche hatte t-online berichtet, der Schießsportclub sei im Januar vom Bruder des Amokläufers Philipp F. über eine "Veränderung" informiert worden. Der Hanseatic Gun Club habe diesen Hinweis sofort an die Hamburger Polizei weitergegeben, einschließlich der Information, dass der Bruder der Hinweisgeber war.

Dieser Hinweis scheint in der Behörde untergegangen zu sein. Nun stellen sich mehrere Fragen: Hätte die Tat doch verhindert werden können? Und warum haben der Polizeipräsident Ralf Martin Meyer und der Innensenator Andy Grote die Hamburger Bürgerschaft im Innenausschuss am Donnerstag nicht über diese Zusammenhänge informiert?

Hanseatic Gun Club informierte Polizei

Bereits um den 25. März 2023 fanden die Vernehmungen der Verantwortlichen des Hanseatic Gun Club statt. Sie sollten der Polizei schildern, was sie über ihr Mitglied Philipp F. wussten. Sie kannten Philipp F. nicht gut. Er sei unauffällig gewesen. Aber: Ein Sprecher des Gun Clubs sagte t-online, er habe bei den Vernehmungen zum Amoklauf die genauen Angaben des Bruders von F. dargelegt und dass er unmittelbar nach oder sogar während des Telefonats mit dem Bruder einen Mitarbeiter der Polizei über die Warnung vor Philipp F. informierte.

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Er erkundigte sich auch im Namen des Bruders von F., ob es möglich sei, den Hinweis schriftlich zu geben, ohne dass die Identität des Hinweisgebers aktenkundig werde. Der Polizeibeamte, mit dem der Gun Club regelmäßig telefonierte und der als "Ansprechpartner" bei der Waffenbehörde galt, habe gesagt, dass auch eine anonyme schriftliche Anzeige an die Polizei Hamburg bearbeitet werde, wenn sie nur ausreichend detailliert ist. Der Gun Club habe dem Bruder sogar die Adresse der Waffenbehörde, die bei der Polizei Hamburg angesiedelt ist, gegeben. Dies alles habe der Sprecher des Schützenclubs vor gut drei Wochen der Polizei geschildert. Der Behörde muss also klar gewesen sein, woher der anonyme Hinweis kam. Der Bruder wurde jedoch nicht angehört.

Philipp F. hatte am 9. März nach einer Gemeindeversammlung der Zeugen Jehovas in Hamburg-Alsterdorf mit einer halbautomatischen Pistole sechs Menschen, ein ungeborenes Kind im Mutterleib und schließlich sich selbst getötet.

t-online-Bericht um Innenausschuss bringt Grote in Bedrängnis

"Die Zeit" hatte am vergangenen Donnerstag darüber berichtet, der Gun Club habe die Polizei nicht rechtzeitig informiert. Die Version, dass der Schießsportverein wichtige Informationen zurückgehalten habe, kam Polizeipräsident Meyer und dem in die Kritik geratenen Innensenator Grote sicherlich gut zupass – kurz bevor sie dem Innenausschuss der Hamburgischen Bürgerschaft Rede und Antwort stehen mussten.

Doch t-online veröffentlichte noch während der laufenden Sitzung des Innenausschusses die andere, für die Behörden weniger schmeichelhafte Version der Ereignisse: Nämlich, dass der Gun Club sehr wohl die Polizei informiert habe. "Die Zeit" musste ihre Berichterstattung anpassen, und Andy Grote, auf die neuen Rechercheergebnisse angesprochen, orakelte, dass die Ermittlungen ja noch liefen und immer wieder "neue Erkenntnisse ans Licht kommen könnten".

Nun, wenige Tage später, eine neue Information: Gegen den Polizisten, der den Hinweis nicht weitergegeben haben soll, läuft nach der Berichterstattung von t-online ein Disziplinarverfahren. Strafrechtliche Ermittlungen gegen konkrete Personen gibt es nach Auskunft der Staatsanwaltschaft Hamburg aber nicht. Noch nicht? Die Kommunikationsstrategie der Polizei wirft nicht zum ersten Mal seit der Tat mehr Fragen auf, als geklärt werden. Wird im Beamten der Waffenbehörde sogar ein Bauernopfer gesucht, um strukturelle Probleme der Behörde zu vertuschen?

CDU-Politiker: "Aussagen des Innensenators nicht mehr haltbar"

Warum hat der Innensenator die brisanten Erkenntnisse, dass die Polizei vom Gun Club gewarnt worden war, im Innenausschuss verschwiegen? Schließlich war dies spätestens seit den Zeugenaussagen aus dem Schießsportverein klar – mindestens eine Woche vor der Sitzung des Innenausschusses.

Dennis Gladiator, innenpolitischer Sprecher der CDU-Bürgerschaftsfraktion, sagt dazu: "Sollten sich die Hinweise bestätigen, dass ein Mitarbeiter der Waffenbehörde Hinweise auf die Gefährlichkeit des Täters verschwiegen hat, sind die Aussagen des Innensenators, die Tat sei wohl nicht zu verhindern gewesen, nicht mehr haltbar." Er fordert weitere Aufklärung: "Auch um sicherzustellen, dass solche Taten künftig verhindert werden können. Dafür braucht Hamburg vor allem einen neuen Innensenator."

Die Polizei Hamburg reagierte auf Anfrage von t-online und erklärte, "dass im Innenausschuss ja bereits von der Generalstaatsanwaltschaft mehrfach deutlich gemacht wurde, dass Ermittlungen nicht kommentiert werden, solange diese nicht offen sind". Zahlreiche andere Ermittlungsdetails wurden aber von den Behörden beim Innenausschuss veröffentlicht. Auch solche, die bis dato nicht bekannt waren.

Verwendete Quellen
  • zeit.de: "Verschwieg ein Beamter die Hinweise auf den Amokschützen?"
  • Anfrage an Dennis Gladiator
  • Gespräche mit den "Hanseantic Gun Club"
  • Eigene Recherchen
  • Anfrage an Staatsanwaltschaft Hamburg
  • Anfrage an Innenbehörde Hamburg
  • Anfrage Polizei Hamburg
  • Eigene Quellen
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