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Bauernproteste: So ist die Lage der Agrar-Wirte in der Wirtschaft wirklich


Hamburg-Kolumne
Stoppt den Bauernkitsch! Ein Blick hinter das Image der Landwirte

  • Katharina Grimm
MeinungVon Katharina Grimm

14.01.2024Lesedauer: 3 Min.
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Nichts geht mehr: Landwirte protestieren als Reaktion auf die Sparpläne der Bundesregierung und machen Hamburgs Straßen dicht. (Quelle: IMAGO/xim.gs/imago)

Viel Protest, viel Zuspruch: Die Bauern werden gerade in den Städten unterstützt. Was aber, wenn das ganz falsch wäre?

Wenn man so will, hat der Bauernaufstand in dieser Woche auch etwas Gutes. Die klatschenden Großstädter am Wegesrand, Unterstützungsparolen in den sozialen Netzwerken und Solidaritätsbekundungen zeigen: Wir stehen hinter euch. Alle verbrüderten sich mit den Landwirten, die nun von der Ampelkoalition selbst zur melkenden Kuh gemacht wurden. Vor dem geistigen Auge protestiert da ein ärmlicher Bauer, gekleidet in Lumpen, dem gierige Politiker auch noch den letzten Fitzel Habseligkeit abräumen. Das erregt Mitleid, gerade in den Städten, bei denjenigen, die von der Arbeit der Bauern so sehr profitieren.

Ein großer Fehler.

Denn das ist nicht mehr als Bauernkitsch, ein verklärtes Bild einer Berufsgruppe, die es so gar nicht gibt. Die Proteste der Bauern zeigen vor allem in Großstädten wie Hamburg: Die Unterstützer aus dem urbanen Umfeld klammern sich an ein romantisiertes Bauernbild, das man so höchstens noch als Motiv alter Ölschinken findet. Sehr wahrscheinlich denken sie an glückliche Schweine und Kühe auf saftigen Wiesen und den Geruch von frisch geschnittenem Gras, wenn der Bauer die erhobene Sense durch die Wiesenhalme gleiten lässt. Dabei gibt es "die Bauern" gar nicht. Zwischen Betreibern von Bio-Kleinsthöfen bis zu riesigen Agrar-Multis mit vielen Hunderten Mitarbeitern sind das alles "Bauern". Dass da Vertreter von Großkonzern demonstrieren, die in endlos langen Stallfluchten Zigtausende Tiere zur Schlachtreife mästen, passt so gar nicht ins Bild.

Ohne Subventionen geht es nicht

Doch etwas eint diese Bauern: Sie alle bekommen Subventionen. Und je größer sie sind, umso stärker sprudeln die Geldquellen in Berlin und Brüssel. So schwappen aus der EU rund 6 Milliarden Euro an Subventionen an deutsche Bauern, dazu kommen weitere 2,4 Milliarden Euro aus Bundesmitteln. "Die Landwirte bekommen für ihre verhältnismäßig bescheidene gesamtwirtschaftliche Bedeutung bisher überproportional viel Staatshilfe", so die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" (FAZ). Sie selbst erwirtschaften nur ein Prozent der deutschen Bruttowertschöpfung, streichen aber vier Prozent sämtlicher gezahlten Staatshilfen ein. In der Rechnung fehlt sogar noch, dass sich der Bund mit weiteren vier Milliarden Euro an der Altersvorsorge und der Krankenversicherung beteiligt.

Wie reich sind die Bauern?

Also so richtig schlecht geht es den Bauern nicht. Laut dem Bauernverband erwirtschaften Betriebsinhaber 2023 rund 115.400 Euro pro Jahr, ein Jahr zuvor lag das Ergebnis bei 79.432 Euro. Die großen Höfe konnten also finanziell satt zulegen – trotz Inflation, Lieferkettenproblemen und Krisen. Ein einfacher Landwirt verdiente 43.000 Euro brutto. Und längst machen Subventionen rund die Hälfte des Gewinns auf einigen Höfen aus. Im Durchschnitt waren es 42 Prozent, berichtet "agrarheute.com".

Fällt es da ins Gewicht, ob der Diesel nun subventioniert wird? Laut niedersächsischem Landwirtschaftsministerium habe ein durchschnittlicher Haupterwerbsbetrieb rund 3.500 Euro für Agrardiesel zurückerstattet bekommen, so das Redaktionsnetzwerk Deutschland. Auch der Agrar-Professor Thomas Herzfeld beziffert die Diesel-Zuschüsse je nach Hofart auf 2.300 bis 3.900 Euro pro Jahr.

Das klingt jetzt nicht nach Unsummen. Oder wie Alfons Balmann, Agrarökonom an der Universität Halle-Wittenberg, süffisant in der FAZ bemerkt: "Die Steuernachzahlung auf das gestiegene Einkommen wird in diesem Jahr für viele Bauern vermutlich höher sein als die Dieselsteuervergünstigung." Und dafür nun der ganze Aufwand?

Mehr Kindheitserinnerung als Realität

Es ist ein sauber gezeichnetes Bild, das die Bauern präsentieren. Und von dem sich die Städter, die weit weg sind vom landwirtschaftlichen Alltag, verführen lassen. Ein bisschen Bullerbü für Barmbek, eine heile Welt mit viel frischer Luft und Gemüse, an dem noch Erde klebt. Eine Mischung aus verblassten Kindheitserinnerungen, als man auf Klassenfahrt auf einem Bauernhof im Heu schlafen durfte. Und der tradierten Darstellung in Kunst, Kommerz und Kinderbüchern. Bauernhöfe bleiben Sehsuchtsorte, gerade für asphaltsatte und nach Natur dürstende Großstädter. Da passt der Angriff auf Robert Habeck so gar nicht ins Bild, auch die Nähe zu Rechten und "Querdenkern" macht die Romantik zunichte.

Das pittoreske Bild des von Hand pflügenden Bauern auf dem Feld und der Rührbesen schwingenden Bäuerin im Garten ist romantisierter Agrar-Kitsch und sollte uns nicht von der Realität ablenken: Die Bauern (oder zumindest eine ernstzunehmend große Gruppe von ihnen) verdienen gut, in der jüngsten Vergangenheit sogar richtig gut. Sie sind ein Industriezweig, sehr gut vernetzt, kämpfen knallhart um jeden Subventionscent und sie betreiben einen Lobbyismus, der die Pharmaindustrie alt aussehen lässt. Denn im Gegensatz zu den Arzneimittelkonzernen haben sie es geschafft, sich ein erstaunlich positives Image zuzulegen.

Verwendete Quellen
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