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Nachtleben in Hamburg: Angriffe mit K.o.-Tropfen häufen sich


Nachtleben in Hamburg
K.o.-Tropfen-Angriffe: "Das ist nur schwer auszuhalten"

Von Mali-Janice Paede

Aktualisiert am 29.11.2021Lesedauer: 4 Min.
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Eine volle Tanzfläche in Hamburgs Nachtleben (Symbolbild): Immer wieder kommt es zu K.o.-Tropfen-Attacken, die Polizei geht von einer hohen Dunkelziffer aus.Vergrößern des Bildes
Eine volle Tanzfläche in Hamburgs Nachtleben (Symbolbild): Immer wieder kommt es zu K.o.-Tropfen-Attacken, die Polizei geht von einer hohen Dunkelziffer aus. (Quelle: Hoch Zwei Stock / Angerer/imago-images-bilder)

Seit in Hamburg das Nachtleben wieder Fahrt aufgenommen hat, häufen sich in der Stadt die Meldungen zu K.o.-Tropfen-Attacken. Das Tückische daran hat eine junge Hamburgerin am eigenen Leib erfahren.

Lilly M. hat ihr Gedächtnis verloren. Eine ganze Nacht ist wie ausgelöscht. Die junge Frau war in Hamburg-Bergedorf feiern, als ihr schummrig wurde. Sie registrierte noch, dass jemand sie von der Tanzfläche runter- und in ein Auto bugsierte. Ab diesem Moment ist alles schwarz.

Am folgenden Nachmittag, über 16 Stunden später, wacht Lilly in ihrem Bett auf – ohne sich daran erinnern zu können, was passiert ist und wie sie nach Hause gekommen ist: "Ich hatte so gar keine Ahnung."

Alkohol kann sie als Ursache für den Blackout ausschließen. Zwei Gläser Wein, mehr hatte sie nicht getrunken. Die junge Frau ahnt: Jemand muss ihr K.o.-Tropfen ins Glas gekippt haben.

K.o.-Tropfen machen wehr- und willenlos: Unter den Begriff Knock-out- bzw. K.o.-Tropfen fallen diverse Substanzen, die dämpfend, enthemmend oder narkotisierend wirken. Gemein ist ihnen, dass sie – wie in Lillys Fall – das Erinnerungsvermögen beeinträchtigen.
Meist basieren die Tropfen auf GammaHydroxybuttersäure (GHB), auch bekannt als Liquid Ecstasy. Gering dosiert wirkt GHB entspannend sowie sexuell stimulierend. Es wird deswegen auch als Partydroge konsumiert.
Höher dosiert wirkt GHB stark betäubend. K.o.-Tropfen sind farblos und fast geschmacksneutral und lassen sich deswegen unbemerkt in Getränke oder Speisen mischen. Täter nutzen die Mittel, um ihre Opfer wehr- und willenlos zu machen – und sie anschließend auszurauben, zu misshandeln oder zu missbrauchen.

K.o-Tropfen in Hamburg: Sechs Angriffe auf St. Pauli

Lillys Erlebnis ist keine Ausnahme: Jahr für Jahr werden in Hamburg unzählige Menschen Opfer von Angriffen mit K.o.-Tropfen. Ende Oktober geriet das Partyviertel St. Pauli in die Negativschlagzeilen – die Polizei registrierte hier innerhalb eines Wochenendes sechs Fälle, bei denen Feiernden mutmaßlich Betäubungsmittel in ihre Drinks gemixt wurden.

"Eine besondere Häufung", wie es von Seiten des Landeskriminalamtes heißt. Zum Vergleich: Am ersten Novemberwochenende gab es in diesem Kontext nur zwei Meldungen – wobei die Beamten glauben, dass stets "lediglich ein Bruchteil dieser Taten angezeigt wird".

Dass die vermutete Dunkelziffer so hoch ist, liegt auch daran, dass die Delikte oft unbemerkt bleiben. Insbesondere Betroffenen, die zum Tatzeitpunkt Bier, Cocktails und Co. getrunken haben, führen Symptome wie Schwindel oder Erinnerungslücken häufig fälschlicher Weise auf ihren Alkoholkonsum zurück.

K.o.-Mittel sind nur schwer nachweisbar

Andere erkennen, was geschehen ist – betrachten eine Anzeige aber als aussichtslos. So auch Lilly, die sich gegen den Gang zur Polizei entschieden hat. Für sie ging der Vorfall zwar relativ glimpflich aus – später erfuhr sie, dass es ihre Freunde waren, die sie nach Hause und ins Bett gebracht hatten.

Opfer war sie dennoch: Laut Polizei fallen K.o.-Tropfen-Angriffe unter den Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung. Auch weil sie potenziell tödlich enden können.

Das Problem: So eine Attacke "lässt sich doch kaum beweisen", sagt Lilly. Sibylle Ruschmeier vom Frauennotruf Hamburg bestätigt das. K.o.-Tropfen im Körper sind zwar durch Urin- oder Bluttests nachweisbar, die Untersuchungen müssen allerdings "sehr schnell erfolgen". Denn der von Tätern zumeist eingesetzte K.o.-Wirkstoff GHB wird vom Organismus innerhalb weniger Stunden abgebaut. Spätestens nach 14 Stunden finden sich in Körperflüssigkeiten keine Spuren und damit auch keine Beweise mehr.

Klubs müssen ihre Gäste schützen

Die schlechte Nachweisbarkeit, Unwissenheit sowie Scham auf Seiten der Opfer führen dazu, dass keine verlässlichen Statistiken dazu vorliegen, ob Hamburg ein K.o.- Tropfen-Problem hat – oder eher: wie groß es ist. Denn, dass derartige Übergriffe überhaupt passieren, sei schon problematisch genug, so Malte L., Booker im Nachtklub "Uebel und Gefährlich" und Mitglied im "Safe Night e.V.".

Der Verein ist ein Zusammenschluss mehrerer Hamburger Klubs und engagiert sich für ein lokales Nachtleben ohne sexualisierte Gewalt. Auf der Agenda steht auch der Kampf gegen K.o.-Tropfen-Angriffe – denn Täter setzen die Mittel besonders häufig in Bars und Klubs ein. Gedränge und Dunkelheit machen es leicht, die Tropfen unbemerkt in Gläser und Flaschen zu geben.

"Wir wollen, dass die Klubs ein Safe Space für alle sind", sagt Malte L. Gäste sollen ohne Angst feiern können. Die sich nach Lockdown-Ende häufenden Meldungen zu K.o.- Tropfen-Angriffen alarmieren ihn: "Wir haben das auf dem Zettel und sensibilisieren unser Bar- und Türpersonal durch Briefings und Aushänge." Für Malte ist klar: Klubs und Bars müssen sich verpflichtet sehen, auf ihre Gäste acht zu geben – "Klubkultur 2021 geht nicht ohne Awareness."

"Wenn Sie merken, dass Sie sich komisch fühlen, ist das ernst zu nehmen."

Lilly geht nach wie vor gerne feiern. So unbeschwert wie vor der Attacke ist sie trotzdem nicht mehr: "Da ist da nun immer der Gedanke, dass es wieder passieren könnte." Wenn sie ausgeht, behält sie ihr Getränk stets bei sich und erinnert ihre Freunde daran, es ihr gleich zu tun. Trotzdem weiß sie: Zu 100 Prozent sicher ist niemand. Unachtsame Momente kann es immer geben.

Auch Ruschmeier vom Frauennotruf meint: "Man kann nicht permanent die Hand über das Glas halten". Zudem, stellt sie klar, passieren diese Angriffe "nicht nur in Klubs und Bars, sondern auch im Privaten".

Insbesondere Frauen rät sie deswegen: "Wenn Sie merken, dass Sie sich komisch fühlen, ist das ernst zu nehmen. Sie sollten sich dann, wenn es geht, an eine Vertrauensperson wenden und sich in Sicherheit begeben." Es sei wichtig, aufeinander zu achten.

K.o.-Tropfen können lebensbedrohlich werden

Wer vermutet, Opfer eines K.o.-Tropfen-Angriffs geworden zu sein oder bei anderen Personen entsprechende Symptome beobachtet, der sollte schnellstmöglich eine Ambulanz aufsuchen oder unter 112 einen Notarzt anfordern.

Insbesondere in Kombination mit Alkohol können K.o.-Tropfen schnell lebensbedrohlich werden. Die Hamburger Polizei empfiehlt zudem nachdrücklich eine – jederzeit auch anonym mögliche – Untersuchung am Institut für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf.

Durch den für K.o.-Tropfen typischen Gedächtnisverlust wissen Betroffene oft nicht, was ihnen passiert ist. "Das ist nur schwer auszuhalten und zu verarbeiten", sagt Ruschmeier. Sie und die Polizei rufen Opfer deswegen dazu auf, sich an Beratungsstellen wie den Weißen Ring oder den Frauennotruf zu wenden: "Wir unterstützen Betroffene, mit der Situation umzugehen", so Ruschmeier.

Betroffene finden Hilfe unter folgenden Kontakten:
Notruf für vergewaltigte Frauen und Mädchen e.V.
Tel.: 040-25 55 66
E-Mail: kontakt@frauennotruf-hamburg.de
www.frauennotruf-hamburg.de
Adresse: Beethovenstr. 60, 22083 Hamburg
oder
Opfer-Telefon des Weißer Ring e.V.:
Tel.: 116 006
weisser-ring.de

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
  • Gespräche mit Lilly M. (Name ist der Redaktion bekannt.),
  • Sibylle Ruschmeier vom Frauennotruf Hamburg,
  • Malte L., Booker im Nachtklub "Uebel und Gefährlich" und Mitglied im "Safe Night e.V."
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