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Geflüchtete in Hamburg: "Menschen kämpfen vor Verzweiflung um Warteplätze"


Geflüchtete in Hamburg
"Menschen kämpfen vor lauter Verzweiflung um die Warteplätze"


Aktualisiert am 16.03.2022Lesedauer: 4 Min.
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Eine ältere Frau schützt sich mit einer Erste-Hilfe-Decke in der Warteschlange an der Hammer Straße vor der Kälte.Vergrößern des Bildes
Eine ältere Frau schützt sich mit einer Erste-Hilfe-Decke in der Warteschlange an der Hammer Straße vor der Kälte. (Quelle: Marcus Brandt/dpa)

Hunderte Geflüchtete aus der Ukraine versuchen täglich, sich in Hamburg zu registrieren – viele davon vergeblich. Mehrere Tage warten Familien mit kleinen Kindern. Teilweise harren sie sogar nachts aus.

Seit mehreren Tagen herrscht großer Andrang auf das Aufnahmezentrum für Geflüchtete aus der Ukraine in Hamburg. Die Behörde für Inneres und Sport kündigte bereits mehrfach an, dass es zu langen Wartezeiten kommt. "Keine und keiner muss auf der Straße übernachten", sagte ein Behördensprecher gegenüber NDR 90,3.

Fotos der vergangenen Tage zeigen allerdings ein anderes Bild: Hunderte Menschen harren tags und nachts in der Hammerstraße aus, um am nächsten Morgen einen Termin für ihre Registrierung zu erhalten. Ein Zelt des technischen Hilfswerkes schützt sie dabei vor Nässe und Wind. (Am Montag wurde das Zelt in der Nacht geräumt, mehr dazu lesen Sie hier.)

Dennoch ist es kalt und belastend, dort warten zu müssen. Das weiß auch die Hamburgerin Iryna Thater. Mehrere Tage hat die Familie der gebürtigen Ukrainerin versucht, sich in Hamburg registrieren zu lassen. Dafür haben sie auch vor dem Zentrum übernachtet.

Hamburg: Familie wartet vier Tage auf Registrierung

Nur ein Teil ihrer Verwandten hat es bisher geschafft, berichtet Iryna Thater. "Vier Tage haben sie gewartet, um sich anmelden zu können", so die Wahl-Hamburgerin. Am ersten Tag hätten sich ihre Verwandten um 8 Uhr morgens vor dem Aufnahmezentrum angestellt, am zweiten schon um 6 Uhr. Dort hieß es dann: Warten – bis sie am Nachmittag nach Hause geschickt wurden.

Jeden Tag hätten dann immer mehr und mehr Menschen vor der Einrichtung gewartet. "Die Situation wurde immer belastender", erzählt Iryna Thater. Nachdem sich ihre Familie am Donnerstag um 3 Uhr in der Nacht in der Schlange angestellt hatte, verbrachten sie am Freitag die ganze Nacht in der Hammer Straße, um endlich eine Möglichkeit zur Registrierung zu erhalten.

Verzweiflung und Angst belasten die Geflüchteten

"Mit drei Jacken und Decken und Stühlen haben sie sich abends um 18 Uhr in der Schlange angestellt", so Thater. Alle zwei Stunden hätten sich die Wartenden ihrer Familie abgewechselt. Die Unsicherheit setze den Menschen zunehmend zu, erzählt sie. "Es kam schon fast zu körperlichen Angriffen, weil Menschen vor lauter Verzweiflung um die Warteplätze kämpfen." Die Menschen haben Angst, dass sie ohne Registrierung nicht in Hamburg bleiben dürfen, obwohl sie eine Unterkunft haben. Die Stadt müsse den Geflüchteten die Angst nehmen und diese nicht noch verstärken.

"Auch meine Verwandten waren irgendwann am Ende. Sie haben geweint und wollten nur noch nach Hause", so die Unternehmerin, die ihre Familie und andere Geflüchtete in der Hansestadt unterstützt. "Die Fahrt hierher aus der Ukraine war nicht so anstrengend wie die Registrierung." Sogar ihr Bruder aus der Ukraine habe angerufen und sich nach den schrecklichen Zuständen erkundigt. Für die Kinder sei diese Dauerbelastung schrecklich.

Nach der Registrierung folgen weitere Stunden des Wartens

Nach der erfolgreichen Registrierung sei es mit dem Warten aber noch nicht vorbei. Dann erfolge beispielsweise noch die Beantragung von Sozialhilfen.

"Die aus meiner Familie, die es geschafft haben, sich zu registrieren, haben sich dafür dann noch mal drei Tage mit einem zweieinhalbjährigen Kind in der Kälte angestellt", erzählt Iryna Thater. Erst am vierten Tag hätten sie Glück gehabt. Ein Sicherheitsmitarbeiter erkannte die Frauen und das kleine Kind wieder und habe Mitleid mit ihnen gehabt.

Warteplätze gegen Geld angeboten

Auch in den sozialen Medien gibt es zahlreiche Berichte über die prekären Zustände vor der Registrierungsstelle. Kristin Heuer hat eine Mutter und ihren Sohn bei sich untergebracht. Sie berichtet, dass nach zwei Stunden des Anstehens verkündet worden sei, dass sich in der Schlange für Kinder und Familien nur Kinder unter acht Jahren anstellen dürften. "Keine Ahnung, ob Kinder über acht fit genug sind, um zwei Tage vor der Ausländerbehörde campieren zu können", stellt sie zur Diskussion.

Bereits nach dem stundenlangen Warten am Tag sei der Junge vollkommen erschöpft und durchgefroren gewesen. Neben ihnen seien zwei Kinder gewesen, das kleinere von beiden weinte. "Ihr war kalt", so Heuer. "Dann haben wir unsere beiden Stühle nebeneinander gestellt und beide zusammen in einer Wolldecke eingewickelt. Ich finde das schon unwürdig."

Nun plant Heuer, sich um 4 Uhr morgens in der Schlange anzustellen, um einen Platz zu sichern. Ihre ukrainischen Gäste sollen dann erst morgens mit ihrem Lebensgefährten dazukommen. Im Auto hat sie für alle Fälle einen Schlafplatz vorbereitet – mit Matratzen und einem Schlafsack.

Geflüchtete in Hamburg: Ohne Registrierung kein Geld

Des Weiteren berichtet sie, dass bereits Listen mit Namen der Wartenden und der Position in der Schlange angefertigt würden. Warteplätze könnten Geflüchtete gegen Geld kaufen. Genau das, was sie Geflüchteten nicht haben. Denn wer noch nicht registriert ist, der kann auch keine Sozialhilfe und keine Krankenversicherung beantragen, erklärt sie.

Und das sei nicht nur für viele Geflüchtete in Hamburg ein Problem, sondern auch für ihre privaten Gastgeber. Bei Gesprächen in der Schlange berichteten andere Wartende, dass sie bereits mit ihren Gästen bei der Tafel gewesen seien. Für sie selbst und die Geflüchteten sei kein Geld mehr da gewesen, um Lebensmittel einzukaufen.

"Sie hat ihre Gäste gedrängt, sie müssten sich jetzt anstellen, komme, was wolle, weil das Geld alle ist", berichtet die Hamburgerin von ihren Gesprächen vor der Anmeldestelle und fügt hinzu: "Und es ist erst die Mitte des Monats. Da sind Leute dabei, die als Gastgeber nicht wissen, wie sie es finanziell wuppen sollen, wenn die Gäste keine Sozialhilfe bekommen."

Zelt vor Anmeldezentrum wird geräumt

Bisher sind etwa 9.000 Geflüchtete aus der Ukraine in Hamburg angekommen. Laut NDR sind 5.200 davon registriert. In der Nacht zum Dienstag hatte die zuständige Behörde ein Zelt räumen lassen, in dem 250 Menschen die Nacht verbringen wollten, um sich morgens direkt registrieren zu lassen.

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Später bestritt ein Sprecher die Räumung des Zeltes durch die Innenbehörde. Man habe vielmehr "versucht, die Menschen sehr intensiv zu bewegen, dort nicht die Nacht zu verbringen".

Viele Wartende seien daraufhin auf die umliegenden Gehwege umgezogen, um dort weiter zu warten, berichtete ein Reporter vor Ort.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
  • Reporter vor Ort
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