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Daniele Ganser: Verbietet Hannover den Auftritt des "Verschwörungsgurus"?


"Darf nie wieder vorkommen"
Auftritt von Daniele Ganser sorgt für Verärgerung

  • Patrick Schiller ist t-online Regio Redakteur in Hannover.
Von Patrick Schiller

Aktualisiert am 10.02.2023Lesedauer: 5 Min.
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Der Schweizer Historiker Daniele Ganser während eines Vortrages (Archivbild): Im März will er in Hannover auftreten.Vergrößern des Bildes
Der Schweizer Historiker Daniele Ganser während eines Vortrags (Archivbild): Im März will der umstrittene Historiker in Hannover auftreten. (Quelle: Andreas Weihs/imago images)

Kritiker werfen dem Schweizer Historiker Daniele Ganser NS-Vergleiche und Holocaustrelativierung vor. Im März tritt er in Hannover auf. Zieht die Stadt die Reißleine?

"Warum ist der Ukraine-Krieg ausgebrochen?", lautet der Titel der Vortragsreihe von Daniele Ganser. Auftritte des umstrittenen Historikers in öffentlichen Hallen sorgen derzeit vielerorts für Protest und Empörung. In Dortmund und Nürnberg stoppte die Verwaltung geplante Auftritte. Auch in Hannover hagelt es Protest – vor allem seitens der jüdischen Gemeinde. Die wirft Ganser vor, in seinen Vorträgen den Holocaust zu relativieren. Doch Anfang März will Ganser vor Tausenden Zuschauern im Kuppelsaal des Hannover Congress Centrum (HCC) auftreten. Greift die Stadt doch noch ein?

"Wir haben da keinen Zugriff drauf", sagt René Rosenzweig (Grüne) auf t-online-Anfrage. Das Ratsmitlied sitzt im Betriebsausschuss des HCC. Das ist zu hundert Prozent eine Tochter der Stadt. "Wir würden sehr gerne einen entsprechenden Antrag in unserer Fraktion stellen, doch die rechtliche Grundlage gibt das nicht her", so Rosenzweig weiter.

Die Stadt Hannover informiere sich laut einem Sprecher der Stadt weiterhin ausführlich zur Veranstaltung und prüfe Handlungsoptionen. Es sei für städtische Einrichtungen jedoch schwierig, Veranstaltungen abzusagen, solange weder Rechtsgüter verletzt würden noch der öffentliche Frieden gefährdet sei, so der Sprecher weiter. Allerdings wurde der Termin inzwischen von der Internetseite des HCC gelöscht.

Im Stadtverband der Grünen habe man bereits ein mögliches Vorgehen diskutiert, sagt Rosenzweig – doch offenbar vergebens: "Dem HCC kann man da keine Vorwürfe machen – gerade weil es eine Tochter der Stadt Hannover ist, muss die freie Meinungsäußerung gewahrt werden", so Rosenzweig weiter.

Ganser-Auftritt in Hannover: Piraten fordern Konsequenzen

Derlei Argumente stoßen bei Thomas Ganskow (Piraten) auf wenig Verständnis: Der Vorsitzende des Stadtverbandes seiner Partei verweist auf eine Verwaltungsentscheidung aus dem Jahr 2017: Darin ging es um die Nutzung öffentlicher Gebäude für Veranstaltungen. "Da es sich beim HCC lediglich um eine ausgelagerte Tochter der Stadt handelt, hätte die Stadt hier sehr wohl Handhabe", sagt Ganskow t-online auf Nachfrage.

Dem pflichtet Parteikollege Bruno Adam Wolf bei, der als Abgeordneter im Rat der Landeshauptstadt Hannover sitzt: "Es ist keinesfalls so, dass jede Veranstaltung in den städtischen Räumlichkeiten gestattet werden muss." Die Regelung gelte nur für Veranstaltungen, bei denen Ganser offiziell für eine Partei auftritt. In dem Fall würde das Recht auf Gleichbehandlung beziehungsweise Chancengleichheit greifen – sofern die Partei auf dem Boden der Verfassung steht.

Und Wolf fügt hinzu: "Da man davon ausgehen sollte, dass die Anmietung des Kuppelsaals unter der Vorspiegelung falscher Tatsachen erfolgt ist, dürfte es auch kein Problem sein, einen entsprechenden Vertrag schadlos zu kündigen." Dies entspräche auch der Entscheidung von 2017. Sollte das zuständige Management des Kuppelsaales oder der Verwaltung jedoch wissentlich einem Vertrag mit Ganser zugestimmt haben, fordert Wolf Konsequenzen: "Vorkommen darf Derartiges nie wieder!" Die Partei prüfe nun, einen Antrag zu den Vorgängen im HCC zu stellen. Unklar sei aber, ob dieser noch fristgerecht bearbeitet werden könnte. "Wir werden nicht lockerlassen", so Ganskow weiter.

Ganser erneuert Geschwister-Scholl-Vergleich

Unterdessen hat Daniele Ganser nach der t-online-Berichterstattung seinen Vergleich zu den Geschwistern Scholl erneuert: "Der Mut braucht unbedingt die Wahrheit als Stütze. Sophie Scholl hat sich im 'Dritten Reich' gegen Hitler gewendet. Sie haben gesagt, dieser Krieg ist einfach ein Wahnsinn. (…) Sie hatten die Wahrheit auf ihrer Seite, der Krieg war auch damals ein Wahnsinn, wurden dann aber festgenommen und wurden enthauptet. Auch wenn du die Wahrheit auf deiner Seite hast, kann es sein, dass du getötet wirst", sagt Ganser in dem Clip.

Ob "Nachdenkseiten", "Rubikon" oder "KenFM": Ganser ist in den gängigsten Alternativmedien prominent vertreten. Auch "Compact" hat Ganser in der Vergangenheit Interviews gegeben. Inzwischen wird das Magazin vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch eingestuft. In einem gemeinsamen Interview mit Karl-Heinz Hoffmann, Gründer der 1980 ins Oktoberfest-Attentat verstrickten rechtsterroristischen Vereinigung "Wehrsportgruppe Hoffmann", versuchte Ganser, dessen Mittäterschaft zu widerlegen – und die Verantwortung der Nato zuzuschieben.

Nach Bekanntwerden des Ganser-Auftritts im HCC sagte Rebecca Seidler, Geschäftsführerin der Liberalen Jüdische Gemeinde Hannover, t-online: "Die Gemeinde sieht dieser Veranstaltung mit großer Irritation und Sorge entgegen". Ihr zufolge seien "krude Verschwörungserzählungen, die häufig in antisemitischen Sprachbildern enden, keine Grundlage für eine gesunde Debattenkultur, sondern schlichtweg nicht zu akzeptieren". Auch Michael Fürst, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde, unterstützt Seidler in einem Gespräch mit der "Hannoverschen Allgemeinen Zeitung" (HAZ): "Ich habe kein Verständnis für die Zurückhaltung der Stadt Hannover."

Protest kommt auch vom Humanistischen Verband in Niedersachsen: Wie die "HAZ" berichtet, hätten Geschäftsführerin Catrin Schmühl und Präsident Guido Wiesner einen Brief an Oberbürgermeister Belit Onay (Grüne) geschrieben. Ganser sei seit den Anschlägen vom 11. September 2001 in den USA "für seine demokratie- und wissenschaftsfeindlichen Aussagen bekannt", schreiben beide. Das Rathaus müsse den Auftritt unterbinden.

Veranstalter: "Hinterhältige Hetze und garstige Diffamierungen"

Auf t-online-Anfrage erklärt der Sprecher des Veranstalters Nema Entertaiment – im Auftrag von Daniele Ganser –, "dass Kritik an Regierungsentscheidungen in den Leitmedien immer weiter verloren geht und Personen, die sie dennoch üben, regelrecht bekämpft werden". Dies geschehe "durch üble Nachrede, falsche Behauptungen, hinterhältige Hetze und garstige Diffamierungen". Alle Vorwürfe gegen Ganser seien "in der Regel voneinander abgeschrieben, nicht nachrecherchiert und vollkommen haltlos".

Gänzlich anders sieht das Niedersachsens Antisemitismusbeauftragter Gerhard Wegner: "Der Auftritt des Verschwörungstheoretikers Gansers in Hannover ist problematisch", sagt er t-online. "Wir wissen aus vielen Forschungen zum Thema Menschenfeindlichkeit, dass Verschwörungsmythen der Einstieg in Formen von Menschenhass und Antisemitismus sind", so der Theologe und Sozialwissenschaftler weiter.

Gansers Aussagen seien das Gegenteil seriöser Wissenschaft. Zudem verharmlose er den Holocaust, indem er suggeriert, Ungeimpfte würden wie Juden im Nationalsozialismus behandelt, so Wegner weiter. Außerdem habe er die Situation zur Zeit von Corona mit den Killing Fields in Kambodscha verglichen. "Das kann nicht unwidersprochen stehenbleiben", sagt Wegner.

Auch Osteuropa-Experten für Auftrittsverbot

Derzeit gehen auch Osteuropa-Historiker mit breiter Front gegen Ganser vor. Darunter Martina Winkler in Kiel, Julia Obertreis in Nürnberg, Klaus Gestwa in Tübingen und Franziska Davies in München. Auch in Stuttgart und Kiel formiert sich Protest. Zuletzt hatte sich der schleswig-holsteinische CDU-Politiker Tobias von der Heide für ein Auftrittsverbot ausgesprochen: Der Staatssekretär im Wirtschaftsministerium fordert in einem Instagram-Post, dass die Show abgesagt wird.

Daniele Ganser kommt aus der Schweiz und ist in der Vergangenheit immer wieder mit fragwürdigen Aussagen zur Corona-Pandemie und anderen Themen aufgefallen. So verglich er die "Angst vor der Pandemie" mit der "Angst vor der Diktatur." Im Rahmen einer Dokumentation zur Corona-Politik sagte Ganser, es herrsche "weltweit Wahnsinn" – eine Einschätzung, die er mit einem Holocaust-Vergleich untermauert. Dessen Wahnsinn, so Ganser, sei lokal gewesen. "Die Logik seiner Aussagen lautet, wenn man es zu Ende denkt: Die Ungeimpften sind die neuen Juden. Auch das ist eine Form des Antisemitismus", sagt die Sozialpsychologin Pia Lamberty.

Verwendete Quellen
  • Schriftliche Anfrage an die Stadt Hannover
  • Telefonat mit René Rosenzweig (Grüne)
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