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Abstieg vom Bundesligisten Schalke 04: (M)eine tragische Komödie


Abschied vom Bundesligisten Schalke
(M)eine tragische Komödie

  • Dominik Sliskovic
MeinungVon Dominik Sliskovic

Aktualisiert am 21.04.2021Lesedauer: 6 Min.
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Timo Becker: Der gebürtige Gelsenkirchener weinte nach dem Schlusspfiff in Bielefeld alleingelassen auf der Auswechselbank.Vergrößern des Bildes
Timo Becker: Der gebürtige Gelsenkirchener weinte nach dem Schlusspfiff in Bielefeld alleingelassen auf der Auswechselbank. (Quelle: Friso Gentsch/dpa-bilder)

Der FC Schalke 04 steigt zum vierten Mal aus der Bundesliga ab. Obwohl es sich seit Wochen und Monaten angedeutet hat, trifft mich als Schalke-Fan diese Endgültigkeit enorm. Zeit, Abschied zu nehmen.

Nun ist es also amtlich: Nach der 0:1-Auswärtsniederlage am 30. Spieltag gegen Arminia Bielefeld steht der FC Schalke 04 als erster Absteiger der Bundesligasaison 2020/2021 fest. Exakt 30 Jahre nach dem Wiederaufstieg in die Beletage des deutschen Fußballs, exakt 20 Jahre nach der legendären wie traumatischen Meisterschaft der Herzen, exakt 10 Jahre nach dem berauschenden Champions-League-Halbfinaleinzug und dem DFB-Pokal-Erfolg mit Matador Señor Raul muss der S04 den bitteren Gang in die Zweitklassigkeit antreten.

Die Suche nach der Ursache dieser Katastrophe würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen, zu viel liegt schon zu lange auf Schalke im Argen, Fehler türmen sich auf Fehler. Deshalb möchte ich mich im Folgenden einzig auf die vergangenen gut sieben Monate konzentrieren, in denen ich mich als Fan und Vereinsmitglied zäh und schmerzhaft auf den Abschied des Bundesligisten FC Schalke 04 vorbereiten musste.

Wut, Hoffnung, Resignation als emotionale Blaupause dieser Saison

Vor dieser historischen Saison tippte ich den S04 in unserer sportressortinternen Saisonprognose auf einen passablen achten Platz und freute mich innerlich schon auf obskure Auswärtsfahrten in der neu gegründeten Uefa Conference League. Dass Schalke zu dieser Zeit bereits seit 16 Bundesligapartien ohne Sieg war, der letzte Erfolg – ein souveräner 2:0-Heimsieg gegen Gladbach – aus dem Januar datierte, blendete ich gekonnt aus.

Was wäre ein Fußballfan denn ohne Optimismus? "Die hauen wir weg", "Selbstläufer", "Heute packen wir 'ne Sensation" gehört nicht nur in meinem Haushalt zum allwöchentlichen Wortschatz. Das hochgradig erbärmliche 0:8 gegen den FC Bayern direkt am ersten Spieltag ließ mich meine Gutmütigkeit erstmals mit vollem Schwung über Bord werfen.

Nach dieser Partie spielte sich in mir ein Gefühlschaos ab, das zur Blaupause der gesamten Saison wurde: Wut, Hoffnung, Resignation. Ich wünschte mir Straftraining und Gehaltsentzug für Spieler, Kündigungen für die sportliche Leitung, redete mir ein, dass es jetzt nur besser werden könnte, sah ein, dass diese Mannschaft keine ist.

Hier könnte meine Geschichte der Abstiegssaison grundsätzlich bereits zu Ende sein. Doch so einfach ist das Fan-Dasein nicht, besonders als Schalker. "Schalke/du alleine/bist meine Liebe/mein ganzes Leben", heißt es in einem Liedgut der Schalker Nordkurve. Und so pathetisch es auch klingt: so ist es auch. Keinem Menschen könnte ich so viele Verletzungen und Erniedrigungen verzeihen wie diesem Verein. Das habe ich in den 21 Jahren, seitdem ich als Mini-Kicker aus heiterem Himmel entschied, dass Schalke "der GEilste Klub vonne ganze Welt" ist, oft genug erfahren müssen. "Einmal Schalker, immer Schalker", das ist keine Phrase, das bedeutet etwas – auch nach einem 0:8 gegen den FC Bayern.

Und so ging der erste Trainer der Saison und kam der erste Hoffnungsträger, dann ging der erste Hoffnungsträger und übernahm der alte Knurrer, als Schalke fast ein komplettes Kalenderjahr ohne Bundesligasieg geblieben war. Oftmals war es beschämend, wie sich Schalke präsentierte, manchmal einfach nur glücklos, wie etwa beim 2:2 in Augsburg Mitte Dezember. Trotz Überzahl konnte Königsblau die knappe Führung nicht ins Ziel retten. Nach elf Spieltagen stand man bei vier Punkten. Ständig Pech ist dann halt auch Unvermögen, dachte ich mir und fragte mich, ob es nicht doch besser gewesen wäre, hätte Schalke auf Vedad Ibisevics impulsives Temperament statt auf Naldos nichtiges Sonnenscheinlächeln gesetzt.

"Also, besser als die da könnte ich das auf jeden Fall"

Es gehört ja zu einer der größten Träumereien unter Fans, dass man glaubt, man könne es besser. Besser als der Sportdirektor, besser als der Trainer. Die Zeit nach Weihnachten ließ auch in mir den Entschluss reifen: "Also, besser als die da könnte ich das auf jeden Fall."

Während Kellerkind Mainz um- und weitsichtig reagierte und die komplette Planung samt Trainerposten auf eine ligaunabhängige Neuausrichtung zur kommenden Saison umstellte, regierte auf Schalke Torschlusspanik, Engstirnigkeit und Aktionismus.

Mit Christian Gross verpflichtete der damalige Sportvorstand Jochen Schneider einen alten Bekannten, der seit fast zehn Jahren nicht mehr im europäischen Fußball tätig war und im Jahr zuvor seinen Abschied in die Trainerrente bekannt gegeben hatte, einzig auf Basis dessen, dass er in für den modernen Fußball prähistorischen Zeiten Tottenham Hotspur und den VfB Stuttgart aus ähnlich misslichen Lagen gesteuert hatte. Dass Gross sich in Folge besorgniserregende Wissenslücken leistete und von einem ominösen Massimo Schlüpp sprach, der angeblich im Schalker Kader sei, ließ mich endgültig im Glauben zurück, einer tragischen Komödie beizuwohnen.

Der anfangs erwähnte natürliche Optimismus war längst einer gesunden Skepsis gewichen, die dadurch genährt wurde, dass Schalke nicht nur für die Besetzung des Trainerstuhls auf Nostalgie, Kumpanei und Kurzfristigkeit setzte.

Abwehrtalent Ozan Kabak wurde gegen eine nicht bindende Kaufoption an den FC Liverpool verliehen und mit dem bankdrückenden Rio-Weltmeister Shkodran Mustafi nachbesetzt, in dessen Berateragentur SBE zufällig Schalkes damaliger Coach Gross als Partner involviert ist. Schalke argumentierte sowohl bei Mustafi als auch bei der Wiederverpflichtung der beiden Ex-Schalker Sead Kolasinac und Klaas-Jan Huntelaar mit der unbestrittenen Erfahrung dieser Spieler, die die verunsicherte Mannschaft stabilisieren sollte.

Doch Huntelaar fiel mit einer hartnäckigen Muskelverletzung lange aus, Kolasinac zeigte nach ersten engagierten Eindrücken schnell, dass ihm die Wettkampfhärte fehlte, und Mustafi leitete mit teils abenteuerlichen Stellungsfehlern, Patzern und Eigentoren mehrere Schalker Niederlagen ein.

Zum Hoffnungsträger wurde an ihrer Stelle ein 20-Jähriger Sonnyboy aus Kalifornien, der davon sprach, dass er seinen "Hintern sprengen" würde, um Schalke in der Bundesliga zu halten: Matthew Hoppe. Mit einem Dreierpack schoss er die Knappen am 15. Spieltag zu einem surreal anmutenden 4:0-Heimsieg gegen die TSG Hoffenheim. Ausgerechnet er, der nicht einmal im Regionalliga-Team der Schalker zu den Stammspielern zählte, verhinderte die drohende Egalisierung des historischen Bundesliga-Sieglosrekords von 31 Partien.

Es hat etwas Romantisches, dass S04 ohne Fans scheitert

So hoch Hoppe und mit ihm mein Glaube auf eine Schalker Aufholjagd flog, so schnell verglühte alle Hoffnung bereits zwei Spieltage später. Gegen den 1. FC Köln hatte Hoppe mit seinem fünften Tor im dritten Spiel zum Schalker Ausgleich getroffen. Königsblau drängte, schnürte die Domstädter ein, wollte auf Biegen und Brechen den zweiten Sieg der Saison einfahren. Doch es kam anders: Tief in der Nachspielzeit fing sich ein konfuses, unsortiertes Schalke einen Konter und mit ihm den Treffer zum 1:2 durch Jan Thielmann.

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Und das ganze Gefühlskarussell nahm wieder seinen Lauf: Wenn man nicht mal gegen einen fußballerisch so limitierten Gegner gewinnen kann, ja, gegen wen denn dann? Das war's, es gibt keine Hoffnung mehr. So viel Pech kann man nicht haben. Aber wer ständig in die Scheiße tritt, der ist halt auch selten blöd. Das wird schon werden. Wenn der "Hunter" erst mal fit ist und Seo den Jungs klargemacht hat, was hier auf dem Spiel steht...

Und wieder ging der Trainer, und mit ihm auch noch der Koordinator der Lizenzspielerabteilung, und dann auch noch der Sportdirektor. Schalke glich einer Ruine, ganz so wie mein Gemüt. Ich fand mich damit ab, dass es eigentlich ja auch etwas Romantisches hat, wenn Schalke als der Verein in Erinnerung bleibt, der ohne Fans nicht mehr gewinnen konnte und deshalb sang- und klanglos abstieg. Die TV-Option Einzelpartie Schalke wählte ich immer seltener, oftmals regte sich in mir überhaupt nichts mehr, wenn Schalke sich auch noch das dritte Gegentor fing. Ich versuche, diese Spielzeit nur noch hinter mich zu bringen.

Und selbst bei einem 0:1 gegen Sandhausen: Schalke bleibt Schalke

Und wieder kam ein Trainer, einer, der nun aber wirklich für einen mittelfristigen Plan verpflichtet wurde, und ein fähiger Funktionär bot seine Hilfe an, ehe er öffentlichkeitswirksam absprang, und wieder einmal blieb nichts als Enttäuschung und Frust zurück.

In dieser Periode der absoluten Resignation war es ausgerechnet mein Vater, der über sein halbes Leben lang nichts mit Schalke am Hut hatte und nur durch meine Leidenschaft für diesen Verein heute selbst ein eingefleischter Königsblauer ist, der mich wachrüttelte und mich an all das erinnerte, was dieser Klub uns bedeutete: das gemeinsame Zittern, Flehen und Fluchen vor dem TV, das Fachsimpeln am Telefon über Taktisches und Emotionales nach einer Niederlage, die Autofahrten über die A2 nach Gelsenkirchen, das gemeinsame Arm-in-Arm-Singen des "Steigerlieds" in der Arena.

"Und selbst wenn wir nächste Saison gegen Sandhausen spielen und 0:1 zurückliegen", sagte er, "solange wir mit 60.000 in der Arena stehen und einen Ausgleich bejubeln als gäbe es nichts Schöneres, solange wird Schalke immer Schalke bleiben."

Natürlich hat Vater recht.

"Schalke/du alleine/bist meine Liebe/mein ganzes Leben" – unabhängig von Ligen, Trainern, Spielern und Funktionären.

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