t-online - Nachrichten für Deutschland
t-online - Nachrichten für Deutschland
Such IconE-Mail IconMenü Icon



HomeSportFußballChampions League

Erling Haaland und seine irre Rekordjagd: Auf dem Weg zum GOAT


Haaland auf Rekordjagd
Ist der "Donnergott" jetzt schon ein Jahrhundertspieler?


Aktualisiert am 10.05.2023Lesedauer: 6 Min.
Nachrichten
Wir sind t-online

Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.

Zum journalistischen Leitbild von t-online.
imago images 1029142201Vergrößern des Bildes
Erling Haaland: Der Norweger knackt in dieser Saison einen Rekord nach dem anderen. (Quelle: IMAGO/Martin Rickett)

Erling Haaland gilt als Naturereignis und pulverisiert Torrekorde im Wochenrhythmus. Aber wie sind seine Werte wirklich einzuordnen? Ein Versuch.

Der Rekord kam mit ganz viel Gefühl zustande. Als Erling Haaland in der 70. Minute der Partie gegen West Ham mit seinen unnachahmlich raumgreifenden Schritten von der Mittellinie in die Tiefe sprintete, sah alles nach einem typischen Torversuch des Norwegers aus.

Doch der Stürmer von Manchester City zeigte im Anschluss, wie facettenreich sein Abschlussrepertoire mittlerweile ist: Statt den Ball mit Vollspann irgendwie ins Tor zu zimmern, überwand er den verdutzten Torwart Lukasz Fabianski mit einem gefühlvollen Heber von der Strafraumgrenze.

Danach rutschte der 1,95-Meter-Hüne über den Rasen und ahmte im Schneidersitz eine Zen-Meditationspose nach. Ein Jubel, der sinnbildlich steht für die derzeitige Verfassung des Norwegers – er vereint ursprüngliche Kraft mit mönchsgleicher Ruhe. Diese Kombination führt Haaland auf Erfolgspfade, die zuvor noch kein Spieler gegangen ist – zumindest in der Premier League.

Empfohlener externer Inhalt
X
X

Wir benötigen Ihre Einwilligung, um den von unserer Redaktion eingebundenen X-Inhalt anzuzeigen. Sie können diesen (und damit auch alle weiteren X-Inhalte auf t-online.de) mit einem Klick anzeigen lassen und auch wieder deaktivieren.

Denn dort hat Haaland mit seinem 35. Saisontor den Uralt-Rekord von Andy Cole und Alan Shearer verbessert. Diese hatten den Ball in den Spielzeiten 1993/94 bzw. 94/95 34 Mal über die Linie bugsiert – allerdings in einer Liga mit 42 Spielen. Haaland gelang dieses Kunststück hingegen in lediglich 31 Partien – und er hat noch vier weitere, um seine historische Bestmarke auszubauen.

Rechnet man Haalands bisherige Torquote hoch, dürfte er am Saisonende auf 39,4 Treffer kommen. Es scheint also durchaus realistisch zu sein, dass der Ex-Dortmunder sogar die magische 40-Tore-Marke knackt – zumal unter den nächsten Gegner kein Team aus den Top 6 der Tabelle ist.

Rekorde pflastern seinen Weg

Haaland hat aktuell einen Lauf wie selten ein Stürmer vor ihm: Jüngster Spieler mit 30 Champions-League-Treffern, Torbestmarke in der Premier League, Torrekord eines Premier-League-Spielers in allen Wettbewerben (51 in 46 Partien) – für die norwegische Urgewalt scheint es keine Grenzen zu geben. Und das mit gerade einmal 22 Jahren.

Die englische Boulevardpresse betitelte den blonden Norweger – aufgrund der angeblichen optischen Ähnlichkeit – als "Donnergott" und verglich ihn mit dem Comic-Superhelden Thor. "Er schießt Tore um Tore, ist einfach eine Maschine", lobte City-Legende Yaya Touré. Im Zuge des Hypes prognostizieren einige Experten auf der Insel sogar, dass Haaland der beste Stürmer jemals oder zumindest des Jahrhunderts wird.

Aber: Ist Haaland im historischen Vergleich wirklich so gut?

Derartige Entsprechungen sind naturgemäß diffizil, denn jeder fußballerischen Epoche sind gewisse spielerische Eigenheiten und taktische Trends zu eigen. Das wirkt sich nicht nur auf die Gesamtzahl der geschossenen Tore aus, sondern auch auf Ballbesitz-, Einsatz- und Verletzungszeiten.

Marco van Basten wurde 1990 beispielsweise mit nur 19 Treffern Torschützenkönig der Serie A. Diese galt damals als beste Liga, van Bastens AC Mailand als beste Mannschaft der Welt – und zwar vor allem aufgrund einer revolutionären Defensive.

Tore schießen hatte im System von Trainer Arrigo Sacci nicht die oberste Priorität. In van Bastens 19-Tore-Saison netzte Milan insgesamt nur 56 Mal ein. Ein Jahr später, als die "Rossoneri" Meister wurden, gelang das mit gerade einmal 36 Treffern in 34 Spielen.

Van Basten wurde dennoch Weltfußballer und gewann dreimal den Ballon d’Or. Aber ist er fußballhistorisch ein schlechterer Torjäger als Haaland? Diese Frage zu beantworten, ist schwerlich möglich, da das Spiel im Übergang von den 80er- zu den 90er-Jahren völlig anders war als 2022/23.

Während zentrale Stürmer wie Haaland heute essenzieller Bestandteil der Spielstruktur ihrer Mannschaften sind, war der Mittelstürmer zu van Bastens Zeiten größtenteils abgeschnitten vom Spielgeschehen. Meistens stand ihm ein beinharter Manndecker der Marke Jürgen Kohler auf den Füßen, der übrigens als einziger klassischer Verteidiger Deutschlands Fußballer des Jahres wurde – ein weiteres Indiz für die grundständig andere Art des Spiels damals.

Zudem wurden Angreifer vom Schiedsrichter weitaus weniger geschützt. So gab es bis 1993 nicht automatisch die Rote Karte für übermäßig hartes Einsteigen bei einer "Grätsche von hinten".

Da liegt es auf der Hand, dass sich die Anzahl der Chancen eines Stürmers verändert hat. Laut dem Datenbankportal "Fbref.com" kommt Haaland allein im gegnerischen Strafraum im Schnitt auf 6,96 Ballkontakte pro 90 Minuten (untersucht wurden Liga- und Europacupspiele in den vergangenen zwölf Monaten). Derart oft berührte van Basten das Spielgerät zu seiner Hochzeit manchmal im gesamten Spiel nicht.

Leider fehlen diesbezüglich entsprechende Statistiken. Klar ist aber, dass im heutigen Fußball deutlich mehr Tore fallen: Während es in der Serie A in den Jahren 1986 bis 1990 im Schnitt nur 2,09 Treffer pro Partie gab, sind es in der Premier League aktuell etwa 2,7. In der Bundesliga waren es in den vergangenen drei Spielzeiten sogar durchschnittlich über 3.

Die Sache mit den Toren

Profitiert Haaland aktuell also nur davon, dass deutlich mehr Treffer fallen als vor einigen Jahrzehnten? Nicht nur – so banal die Erklärung seiner Rekordjagd auch wieder nicht.

Ein interessanter Wert sind in diesem Zusammenhang Haalands "Expected Goals". Dabei geht es darum, wie viele Tore ein Spieler anhand der Qualität seiner Chancen erzielt haben müsste. Obwohl die Zahl umstritten ist, weil die dahinterstehende Gewichtung von Abschlüssen natürlich schwer objektivierbar ist, gibt sie doch gewisse Anhaltspunkte zur Chancenverwertung eines Profis.

Und diese ist bei Haaland überaus beeindruckend: Prognostiziert werden ihm in der Premier League 26,8 Treffer, erzielt hat er bisher 35. Ein wichtiger Faktor ist dabei das zunehmende Leistungsgefälle in vielen Topligen. In Deutschland, Spanien und Frankreich dominieren immer dieselben zwei bis drei Teams das Geschehen – ob sie nun Real Madrid, FC Barcelona oder Paris St. Germain heißen. Und natürlich FC Bayern München, der sich anschickt, in der Bundesliga die elfte Meisterschaft in Folge zu holen.

Und auch in England war die Diskrepanz zwischen den sechs großen Klubs (ManCity, ManUnited, Chelsea, Arsenal, Liverpool und Tottenham) und dem Rest der Liga in den vergangenen Jahren überdeutlich.

Loading...
Loading...
Loading...

Kantersiege sind in den Topligen zunehmend normaler geworden. Ein 6:0 von City gegen Nottingham (mit drei Haaland-Toren) oder ein 6:1 der Bayern gegen Frankfurt verwundern mittlerweile kaum noch. Ursächlich ist dafür vor allem ein Wettbewerb, die Champions League.

"Im Jahr 1992 ändert sich im Fußball alles: Die Champions League wird gegründet", schreibt der Autor Christoph Biermann in seinem Buch "Um jeden Preis: Die wahre Geschichte des modernen Fußballs von 1992 bis heute". Durch die immensen Prämien in der "Königsklasse" hat sich innerhalb der nationalen Ligen eine deutliche Kluft zwischen regelmäßigen Champions-League-Startern und den anderen Klubs ergeben.

Haaland vs. Benzema: Das Duell der Toptorjäger

Haalands Torreigen in der Premier League ist zum Teil auch damit begründbar. Allerdings trifft der 23-fache norwegische Nationalspieler auch im direkten Vergleich der Großklubs, wie er will: Vor dem ersten Halbfinale gegen Real Madrid (1:1) am Dienstag liegt Haaland in der Champions League mit zwölf Treffern in acht Partien ebenfalls auf Rekordkurs.

Reals Superstar Karim Benzema ist er vor dem direkten Aufeinandertreffen tortechnisch bereits deutlich enteilt. Benzema hat bisher lediglich vier Treffer in der "Königsklasse" markiert.

Haaland orientiert sich auch hier an Größerem – nämlich an Cristiano Ronaldo. Der fünfmalige Weltfußballer brachte es in der Saison 2013/14 auf 17 Champions-League-Treffer. Bei Haalands derzeitiger Quote von 1,5 Treffern pro Partie und noch drei möglichen Begegnungen hat der Norweger also auch hier den Bestwert im Blick.

Zumindest in Sachen Torquote hat er Ronaldo in der Champions League mit derzeit 35 Treffern in 27 Spielen bereits überflügelt. Ebenso wie Lionel Messi. Die beiden Jahrhundertspieler kommen im Schnitt auf weniger als ein Tor pro Partie – allerdings in jeweils weit mehr als 100 Einsätzen.

Dennoch: Zumindest der Blick auf die reinen Zahlen lässt die Einschätzung, dass Haaland auf dem Weg zum größten Torjäger des Jahrhunderts ist, durchaus als realistisch erscheinen. Wohlgemerkt: des bisherigen Jahrhunderts.

Ähnliche Zahlen finden sich erst in den 1960er-Jahren wieder. Damals schoss Pelé über 1.200 Tore – in einer Zeit, in der das Spiel noch offensiver war als heute und zudem taktisch unausgeglichener.

Der für Franz Beckenbauer "größte Fußballer aller Zeiten" spielte beim FC Santos in Brasilien, und die Statistiken wurden noch nicht so akkurat erhoben wie heute. Das eine oder andere Tor wird dabei unter den Tisch gefallen sein. Auch deshalb sollte man mit mehrere Jahrzehnte übergreifenden Vergleichen vorsichtig sein – egal, wie viele Bestmarken Haaland in dieser Spielzeit noch aufstellen wird.

Verwendete Quellen
  • fbref.com: Profil von Erling Haaland
  • Christoph Biermann: Um jeden Preis: Die wahre Geschichte des modernen Fußballs von 1992 bis heute (Buch: Kiepenheuer & Witsch, 256 Seiten)
  • statistia.de. Entwicklung der durchschnittlich erzielten Tore pro Spiel in der 1. Fußball-Bundesliga von 1963/1964 bis 2021/2022
  • fbref.com: Erling Haaland
  • kicker.de: Erling Haaland: Rekordjäger der Premier League (Video)
  • kicker.de: Der Kuchen wird immer größer: Wie sind Haalands irre Zahlen einzuordnen?
  • stern.de: "Donnergott" Haaland verzückt Manchester mit seiner Haarpracht
  • weltfussball.de: Torschützenkönige der Champions League
  • londoninsider.co.uk: Michael Owen says he feels sorry for this player because of Erling Haaland (Englisch)
  • sportingnews.com: Erling Haaland goals, records for Manchester City: Updated list and latest goals (Englisch)
  • bundesliga.com: Das Tackling im Fußball – Vorschriften und Konsequenzen
  • fussballtrainer.de: Die Fußball Regelgeschichte von 1846 bis heute
  • transfermarkt.de: Spielerprofil von Erling Haaland
  • transfermarkt.de: Spielerprofil von Marco van Basten
  • transfermarkt.de: Spielerprofil von Lionel Messi
  • transfermarkt.de: Spielerprofil von Cristiano Ronalo
  • twitter.com: Account von @ManCity
  • spox.com: Als selbst die Bagger staunten
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...

ShoppingAnzeigen

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...



TelekomCo2 Neutrale Website