Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.DFB-Frauen nach dem Aus Eine Verliererin mit der Höchststrafe

Deutschland scheidet nach einem nervenaufreibenden Krimi gegen Spanien aus der EM aus. Einige Spielerinnen brillierten auf dem Weg dahin – andere hingegen nicht.
Aus Zürich berichtet Kim Steinke
Die Europameisterschaft der Frauen in der Schweiz geht auf die Zielgerade zu. Nach einer durchwachsenen Gruppenphase, aber umso stärkeren K.-o.-Runde hat Deutschland den Einzug ins Endspiel nur denkbar knapp verpasst. Gegen Spanien schied das Team von Bundestrainer Christian Wück mit 0:1 in der Verlängerung aus.
Während der Weltmeister am Sonntag ungeschlagen auf Titelverteidiger England trifft (ab 21 Uhr im t-online-Liveticker), mussten die DFB-Frauen neben dem Aus im Halbfinale bereits im dritten Gruppenspiel einen herben Dämpfer gegen Schweden (1:4) hinnehmen. Im Viertelfinale gegen Frankreich (6:5 im Elfmeterschießen) spielte Deutschland noch einmal groß auf, kegelte den Mitfavoriten aus der EM.
Der spektakuläre Sieg und auch die Niederlagen gegen Schweden und Spanien haben dem deutschen Team einige Erkenntnisse geliefert, sowohl positive als auch negative. Überlagert wurde all das durch Verletzungen von Giulia Gwinn (Innenband) und Sarai Linder (Kapsel-Band im Sprunggelenk) sowie einer Torwartdebatte und zwei Roten Karten.
t-online zieht ein Fazit nach dem Aus im Halbfinale – und präsentiert die Gewinner und Verlierer des Turniers in der Schweiz.
Das sind die Gewinner des deutschen Teams
Deutschlands Schlussfrau Ann-Katrin Berger erlebte ein Auf und Ab der Gefühle. In der Gruppenphase wurde sie noch für ihre riskante Spielweise kritisiert, mit der sie ihre Gegenspielerinnen ein ums andere Mal ins Leere laufen ließ – oder wie gegen Schweden gleich zweimal fast ein Gegentor durch haarsträubende Pässe auflegte. Die Kritik an der 34-Jährigen wurde lauter. Bundestrainer Wück betonte, ihm gefalle die Spielart nicht, vereinzelt machten sich Kritiker für einen Wechsel im deutschen Tor stark.
Und Berger? Sie blieb unbeeindruckt. Obwohl sie in fünf Spielen insgesamt siebenmal hinter sich greifen musste, bewies sie ihre Klasse besonders in der K.-o.-Phase. Etwa als sie ganz Fußball-Deutschland im Duell mit Frankreich nach einer spektakulären Parade schwärmen ließ. "Weltklasse", urteilte "Titan" Oliver Kahn, "Wahnsinn", resümierten ihre Mitspielerinnen. Und als wäre das nicht genug, parierte sie zwei Elfmeter und verwandelte einen selbst. Berger hielt Deutschlands Traum vom EM-Finale am Leben.
Gegen Spanien blieb sie lange fehlerfrei, parierte innerhalb der 90 Minuten zweimal stark aus kurzer Distanz gegen die aktuell führende Torjägerin der EM, Esther Gonzalez. Dann kam die 113. Minute. Berger machte das kurze Eck ihres Tores auf – und Spanien bestrafte dies mit einem Geniestreich. Ein fataler Fehler, der die Klasse Bergers in ihrer Gesamtheit aber nicht infrage stellen sollte.
Die Nominierungen von Carlotta Wamser und Franziska Kett stellten sich als überraschender Erfolg heraus. Die beiden Verteidigerinnen waren mit zwei und drei Länderspielen in ihrer Vita in die Schweiz gereist. Sie wollten ohne Druck aufspielen und sich zeigen – und wurden plötzlich ins kalte Wasser geworfen. Wamser ersetzte die nach nur 36 Minuten im Auftaktspiel gegen Polen (2:0) verletzt ausgewechselte Giulia Gwinn. Gegen den EM-Debütanten und Schweden legte sie zwei Tore auf. In der Defensive blieb sie meist stabil, leistete sich dann aber einen Aussetzer.
Im letzten Gruppenspiel sah sie nach einem Handspiel im eigenen Strafraum Rot, verschuldete einen Elfmeter. Obwohl Wamser gegen Frankreich gesperrt fehlte, machte sie gegen Spanien da weiter, wo sie aufgehört hatte. Mit ihrem ersten gewonnenen Zweikampf Sekunden nach Anpfiff setzte sie ein Zeichen gegen die dominanten Spanierinnen. Auch offensiv strahlte die Neu-Leverkusenerin Gefahr aus – und hatte in der Nachspielzeit sogar die Chance auf den Siegtreffer.
Nach Wamsers Rot-Sperre erhielt dann Franziska Kett das Vertrauen vom Bundestrainer und rückte gegen Frankreich in die Startelf auf. Obwohl Torhüterin Berger in dem Spiel zur Heldin avancierte, gebührte der Münchnerin Kett der Titel der stillen Heldin. Mit ihren erst 20 Jahren spielte sie sich in den Fokus. Sie überzeugte mit Ballbehandlung, Geschwindigkeit und gutem Zweikampfverhalten, das sie auch gegen Spanien unverzichtbar machte. Kett ließ sich keinerlei Nervosität anmerken, spielte, als wären es nicht erst ihre Länderspiele vier und fünf gewesen.
Zu Beginn des Turniers wurde die Nominierung der beiden jungen Spielerinnen hinterfragt. Bundestrainer Christian Wück entschied sich schließlich gegen etablierte Profis wie Felicitas Rauch und Sara Doorsoun. Und der 52-Jährige behielt am Ende recht – für seinen Mut wurde auch er als Gewinner belohnt. Seine zuvor teilweise ungeschickte Kommunikation in der Öffentlichkeit fällt im Nachgang nicht so schwer ins Gewicht. Denn Wück sah sich durch Verletzungen, Sperren und Ausfälle wiederholt in Not – so bestätigten sich seine Worte, jede Spielerin im Kader könnte unabhängig ihrer Rolle wichtig werden.
Wie Sophia Kleinherne. Die künftige Wolfsburgerin ist schon lange im DFB-Team, kam allerdings nie über sporadische Einsatzzeiten hinaus. Obwohl sie in der Schweiz lange keine Rolle gespielt hatte, erhielt sie im Frankreich-Spiel nach der verletzungsbedingten Auswechslung von Sarai Linder das Vertrauen. Kleinherne spielte auf der rechten Außenverteidigerposition groß auf – und empfahl sich auch für das Halbfinale gegen Spanien. Dieses Mal als Innenverteidigerin.
Beide Positionen kennt sie aus ihrer Zeit in Frankfurt. Gegen den Weltmeister warf sie sich verteidigend in viele Schussversuche aufs deutsche Tor, verhinderte einen frühen Rückstand. In der 97. Minute dann der Schock: Kleinherne blieb nach einer Rettungstat liegen, haderte mit sich, ob sie weiterspielen könnte. Bundestrainer Wück sprach zu ihr: "Du musst das nicht. Wir brauchen dich auch im Finale." Ein großes Kompliment für eine eigentliche Einwechselspielerin, die aber auf den Punkt performte.
Sjoeke Nüsken wiederum gehörte bereits vor der EM zu den Leistungsträgerinnen im Team – und steigerte ihren sportlichen Wert im Turnierverlauf trotzdem noch einmal. Dass sie der Ruhepol und die Taktgeberin der Auswahl sein würde, war bereits bekannt. Aber: Als nach Giulia Gwinns Verletzung Janina Minge zur Kapitänin aufstieg, musste ihre Vertretung neu bestimmt werden. Die Wahl fiel auf Nüsken – die ihrer neuen Rolle gerecht wurde.
Im zweiten EM-Gruppenspiel gegen Dänemark (2:1) übernahm sie Verantwortung, trat an den Elfmeterpunkt und traf. Gegen Frankreich versuchte sie es nach einem Foulelfmeter erneut – scheiterte allerdings. Es spricht für ihre Klasse, dass sie sich im finalen Schießen erneut aus elf Metern traute und dieses Mal verwandelte.
Neben ihrer Torgefahr zeigte Nüsken ein gutes Gespür für den richtigen Pass. Sie weiß in einem oft wilden deutschen Spiel Ruhe auszustrahlen und ist sich nicht zu schade, einen Ball nach hinten zu spielen, um den Angriff neu aufzubauen. Im Verlauf des Turniers spielte sie sich in den Vordergrund – und ging den nächsten Schritt. Giovanna Hoffmann tat es ihr gleich.
Die Stürmerin von RB Leipzig war als Ergänzungsspielerin eingeplant. Zunächst wurde sie in den Spielen für Lea Schüller eingewechselt. Dann drehte sich der Spieß um. Gegen Frankreich wollte Bundestrainer Wück Robustheit in der Spitze und fand sie in Form von Hoffmann. Die 26-Jährige machte die Bälle fest, warf alles in die Zweikämpfe und präsentierte sich in bestechender Form. Gegen Spanien wollte sie daran anknüpfen, überzeugte dort zumindest im Dauersprint.
Das sind die Verlierer des deutschen Teams
Lea Schüller dürfte sich das Turnier ganz anders vorgestellt haben. Stand sie früher im Schatten von Ex-DFB-Star Alexandra Popp, war sie für die diesjährige EM von vornherein gesetzt. Zum Auftakt traf sie per Kopf, im Duell mit Dänemark schlenzte sie den Ball aus kurzer Distanz ins lange Eck. Doch abseits der beiden Tore ging für die Bayern-Spielerin nicht viel, sie tauchte ab. Gegen Polen kam sie auf 21 Ballberührungen, gegen Dänemark auf 14 und gegen Schweden auf 17. Im Halbfinale mit Spanien ereilte sie dafür die Höchststrafe.
Wück nahm Konkurrentin Hoffmann nach 86 Minuten aus der Partie – doch anstelle von Schüller setzte er Hoffenheims Selina Cerci in die Spitze. Bei der TSG wird sie zwar sowohl auf dem Flügel als auch im Sturm eingesetzt. Im DFB-Team kam Cerci bei einer Einwechslung allerdings sonst für die Außenspielerinnen Klara Bühl und Jule Brand ein. Schüller verlor letztlich nicht nur ihre Stammposition, sie musste dann auch noch eine Reihe tiefer agieren. Denn nach 114. Minuten gegen Spanien brachte Wück sie ins Spiel, im Mittelfeld.
Auch für Kathrin Hendrich lief nicht alles wie geplant. Die langjährige Stammspielerin in der Innenverteidigung verlor vor der EM ihren Platz an Rebecca Knaak. Nach der Rot-Sperre von Carlotta Wamser und einer neu ausgerichteten deutschen Formation bekam sie eine Chance gegen Frankreich von Beginn an. Sie wusste diese allerdings nicht zu nutzen. Nach nur 13 Minuten erlaubte sich Hendrich einen ungewohnten Fehler – und packte ihre Gegenspielerin an den Haaren. Die Folge: Rot wegen Tätlichkeit. Ein unglückliches Turnier für die 33-Jährige, die jahrelang zu überzeugen wusste.
Selbes gilt für Sara Däbritz. Mit 111 Länderspielen ist sie die erfahrenste im deutschen Kader. Unter Wück spielte sie allerdings lange kaum eine Rolle. Erstmals sammelte sie undankbare sechs Minuten bei der 1:4-Niederlage gegen Schweden. Im Duell mit Spanien wurde dann auf ihre Qualitäten im Zentrum gesetzt – ohne Erfolg. Däbritz verlor die Bälle zu oft, haderte mit Hereingaben. Es hätte ihre Chancen werden können, dem deutschen Team mit ihrer Erfahrung und Technik ihren Stempel aufzudrücken. Doch Däbritz verpasste sie.
Ambitionierter starteten derweil Linda Dallmann und Laura Freigang in die EM. Dallmann, die Spielerin mit dem Zauberfuß, erhielt den Vortritt. Doch weder gegen Polen noch gegen Dänemark konnte sie mit ihrer sonstigen Kreativität und Coolness im deutschen Offensivspiel überzeugen. Für sie kam Laura Freigang. Die Frankfurterin zeigte gute Ansätze, durfte gegen Schweden von Beginn an ran. Nach der Roten Karte für Wamser war aber klar: Freigang musste Platz machen. Nach nur 45 Minuten war für sie Schluss. Freigang und Dallmann galten im Vorfeld des Turniers als Hoffnungsträgerinnen, konnten ihre guten Leistungen allerdings nicht bestätigen.
Nicht einfach war die EM auch für Sarai Linder. Die Außenverteidigerin galt als gesetzt, zeigte auch gute Ansätze zu Beginn der EM. Im Verlauf des Turniers ließ sie sich jedoch ein ums andere Mal ausdribbeln, zeigte Schwächen im Stellungsspiel, das den Gegnern einige Chancen ermöglichte. Zu allem Überfluss verletzte sie sich dann noch gegen Frankreich.
Alles in allem lässt sich nach der EM aus deutscher Sicht festhalten: Die jungen DFB-Spielerinnen brillierten teilweise gegen Weltklasse-Akteurinnen und machen mit Blick auf die Weltmeisterschaft in Brasilien 2027 Hoffnung auf mehr. Langjährige DFB-Spielerinnen müssen derweil aufpassen, ihre Einsatzzeiten sinnvoll zu nutzen – sonst wird ihnen in naher Zukunft der Rang abgelaufen.
- Eigene Beobachtungen