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Nagelsmann-Attacke auf den WDR: Bitte mehr davon | Kommentar


Nagelsmann attackiert WDR
Traurig – aber die Wahrheit

  • David Digili
MeinungVon David Digili

Aktualisiert am 03.06.2024Lesedauer: 4 Min.
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Bundestrainer Nagelsmann (li.) und Spieler Kimmich: Aktuell bestechende Eloquenz.Vergrößern des Bildes
Bundestrainer Nagelsmann (l.) und Spieler Kimmich: Aktuell bestechende Eloquenz. (Quelle: IMAGO/Frank Hoermann / SVEN SIMON/imago-images-bilder)

Bundestrainer Julian Nagelsmann und Nationalspieler Joshua Kimmich greifen eine umstrittene Umfrage des WDR an. Und machen damit alles richtig.

"Wer im Fußball aufgewachsen ist, der weiß, dass das absoluter Quatsch ist."

"Wenn ich sowas lese, finde ich es einen Wahnsinn, wie verblendet manche sind."

Diese Sätze stammen von Bundestrainer Julian Nagelsmann und seinem Spieler Joshua Kimmich, und sie kommentieren eine vom WDR in Auftrag gegebene Umfrage zur kulturellen Vielfalt in der deutschen Nationalmannschaft. In dieser hatten 21 Prozent der Befragten angegeben, sich mehr Nationalspieler mit weißer Hautfarbe zu wünschen. Außerdem fanden es 17 Prozent der Befragten schade, dass Kapitän İlkay Gündoğan türkische Wurzeln hat. Die Umfrage wurde im Rahmen der Recherche zu einer Dokumentation erstellt.

Dass sich Nagelsmann als auch Kimmich nun derart präzise und unmissverständlich geäußert haben, ist genauso wichtig wie richtig. Gerade im Hinblick auf vergangene Gesellschaftsdebatten, in die der Deutsche Fußball-Bund und sein Aushängeschild Nationalmannschaft hineingezogen wurden, sind das erfreuliche und in ihrer Eindringlichkeit angemessene Reaktionen. Endlich.

Sie positionieren sich

Zu oft nämlich drucksten der DFB und seine Vertreter in der Vergangenheit herum, wenn es um eine konsequente Haltung zu Politik und Gesellschaft ging – das unsägliche Chaos um die Regenbogenarmbinde bei der WM 2022 in Katar war der jüngste Beleg dafür.

Die Reaktionen des Bundestrainers und eines seiner wichtigsten Spieler (ohne Migrationshintergrund) sind auch deshalb so wichtig, weil beide hier ihre exponierte Stellung für deutliche Appelle nutzen. Rassismus und Nationalismus haben keinen Platz in der DFB-Elf, im Fußball, in Deutschland. Sie stehen für Werte, für das Menschliche, das Verbindende. Sie positionieren sich gegen Diskriminierung und Hass. Deutlich. Unmissverständlich.

Richtig so. Bitte mehr davon.

Wichtig sind ihre Worte aber auch, weil sie die zu einer investigativen Hintergrundrecherche verbrämte plumpe PR-Masche eines öffentlich-rechtlichen Fernsehsenders als das entlarven, was sie letztlich eben auch ist: eine plumpe PR-Masche. Und sie sind nicht darauf hereingefallen.

Das waren übrigens die drei Fragen, die vom Westdeutschen Rundfunk in Zusammenarbeit mit Infratest dimap online und per Telefon gestellt wurden.

  • "Ich fände es besser, wenn wieder mehr weiße Spieler in der deutschen Nationalmannschaft spielen."
  • "Ich finde es gut, dass in der deutschen Mannschaft mittlerweile viele Fußballer spielen, die einen Migrationshintergrund haben."
  • "Ich finde es schade, dass der derzeitige Kapitän der deutschen Nationalmannschaft türkische Wurzeln hat."

Es konnte mit "stimme voll und ganz zu", "stimme eher zu", "stimme eher nicht zu" oder "stimme überhaupt nicht zu" geantwortet werden.

Mit gesundem Menschenverstand ist weder zu erklären noch zu verstehen, warum man in der größten Sendeanstalt der ARD sowohl die grundsätzliche Idee als auch die Umsetzung und die letztliche Veröffentlichung des Ergebnisses tatsächlich durchgewunken hat.

Zu viel moralische Flexibilität

Denn Neues hat diese Umfrage – so beschämend ihre Ergebnisse auch sind – nicht zutage gefördert. Traurig, aber die Wahrheit. Dass ein nicht unerheblicher Teil der Bevölkerung gesellschaftlich mindestens im Vorgestern lebt, ist keine bahnbrechende Erkenntnis. Die beiden ehemaligen Nationalspieler Jérôme Boateng und Patrick Owomoyela, beide mit Wurzeln in afrikanischen Ländern, waren in den letzten Jahren nur die prominentesten Opfer rassistischer Kampagnen aus dem rechten Sumpf. Der Journalist André Voigt berichtete unter Tränen von Beleidigungen der DFB-Profis Leroy Sané und İlkay Gündoğan durch Zuschauer bei einem Länderspiel (mehr dazu lesen Sie hier). Und dass kein deutsches Trikot mit der Rückennummer "88" beflockt werden darf, hat auch seine berechtigten Gründe.

Wütend machen muss allerdings, mit wie viel moralischer Flexibilität dem Resultat – natürlich – ein negativer Dreh verpasst wurde: "Rund ein Fünftel wünscht sich mehr Nationalspieler mit weißer Hautfarbe – 65 Prozent stimmen dem eher nicht oder überhaupt nicht zu", so titelt die Mitteilung des WDR. In einem positiven Dreh auf die stabile, überwältigende Mehrheit der Gesellschaft hätte sie auch andersherum formuliert werden können. Ebenso im Text, in dem es weiter heißt: "Gleichzeitig finden 17 Prozent der Befragten es schade, dass der derzeitige Kapitän der deutschen Fußball-Nationalmannschaft türkische Wurzeln hat." Die Zweidrittelmehrheit, die eben das nicht "schade" findet, ist selbstverständlich hinten angestellt.

Auch wenn jedes einzelne Prozent, das sich die DFB-Elf "weißer" und ohne Kapitän mit türkischen Wurzeln wünscht, zu viel ist: Der Verdacht drängt sich auf, dass hier tatsächlich einzig und allein auf den maximalen Empörungsfaktor der daueraufgeregten Öffentlichkeit gesetzt wurde. Und das auch noch mit einer Umfrage, die dazu zumindest in der WDR-Mitteilung unsauber formuliert und präsentiert ist. Keine begleitende grafische Aufstellung, keine Diagramme, auf denen alle Ergebnisse abgelesen werden können und alle Zahlen nachvollziehbar sind, einzig eine knappe Erklärung. Mehr Informationen sind nur bei Infratest dimap zu finden. Dort übrigens unter dem Titel: "Deutsche Fußballmannschaft 2024: Mehrheit findet multikulturelles Team gut". Aha.

Es gehört also nicht viel Gehässigkeit dazu, hinter der Aktion der WDR-Chefetage sehr wenig Vertrauen in die Substanz einer vielfach angepriesenen, mit der Umfrage verwobenen und dieser Tage erscheinenden Dokumentation zu vermuten, greifen sie doch zu solch windigen Taschenspielertricks, um der Produktion noch mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen.

Es sei "absurd", solche Fragen zu stellen, und "kontraproduktiv", sagte Kimmich weiter. Für die Nationalmannschaft gehe es beim Turnier zu Hause doch schließlich darum, "das ganze Land zu einen und gemeinsam etwas zu erreichen". Nagelsmann legte am Sonntag nach: "Ich war schockiert, dass solche Fragen gestellt werden." Und weiter: "Ich hoffe, nie wieder von so einer Scheiß-Umfrage zu lesen." Recht hat er.

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