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Wimbledon 2022: "Angie Kerber traue ich auf Rasen immer etwas zu" – Sky-Experte Kühnen im Interview


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Vor dem Start von Wimbledon
"Diesen Spieler sehe ich ganz weit vorne"

  • David Digili
InterviewVon David Digili

26.06.2022Lesedauer: 6 Min.
Carlos Alcaraz in der Vorbereitung auf Wimbledon: Der 19-jährige Spanier gilt als kommender Superstar.Vergrößern des Bildes
Carlos Alcaraz in der Vorbereitung auf Wimbledon: Der 19-jährige Spanier gilt als kommender Superstar. (Quelle: Shutterstock/imago-images-bilder)
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Am Montag startet das traditionsreiche Turnier in London. Sky-Experte Patrik Kühnen spricht davor über die Favoriten, die Probleme der jungen Generation – und verrät, wer überraschen könnte.

Es geht endlich richtig los auf dem "heiligen Rasen": An diesem Montag startet die Hauptrunde von Wimbledon. Aus deutscher Sicht wird Alexander Zverev beim traditionsreichsten Tennis-Turnier der Welt schmerzlich vermisst werden – der Hamburger hatte sich im Halbfinale der French Open gegen Rafael Nadal schwer verletzt und wird noch länger fehlen. Jedoch: Es gibt so viele Fragen wie schon lange nicht mehr – besonders bei den Herren scheint in London 2022 alles möglich.

Auch Patrik Kühnen beobachtet die Situation mit Spannung. Der frühere Wimbledon-Viertelfinalist und Kapitän des deutschen Davis-Cup-Teams begleitet den Sport seit Jahren als Experte für Sky – der Pay-TV-Sender überträgt das Turnier auch 2022 exklusiv. Im Interview mit t-online verrät der 56-Jährige über seine Favoriten, spricht über den ausbleibenden "Generationenwechsel", erklärt, warum Serena Williams mit 40 Jahren noch einmal zurückkommt – und welche Chancen Angelique Kerber hat.

t-online: Patrik Kühnen, seit einer gefühlten Ewigkeit wird schon von einem Generationenwechsel im Tennis gesprochen…

Patrik Kühnen: Ich weiß schon, worauf Sie hinauswollen: Wann knackt es mal einer der Jungen bei einem Grand Slam?

Noch warten Alexander Zverev – der ja leider verletzt Wimbledon verpassen wird , Stefanos Tsitsipas und Kollegen schließlich auf einen Major-Erfolg, sind jetzt Mitte 20.

Ich will es zumindest mal so sagen: Ich finde, Wimbledon ist bei den Herren 2022 doch sehr viel offener als in den vergangenen Jahren. Es gibt also Chancen, auch mal den großen Wurf zu schaffen – und das könnten einige.

Dabei wird es für die aktuelle Generation nicht leichter. Jetzt kommen die 2000er-Jahrgänge um Carlos Alcaraz, Jannik Sinner oder Holger Rune nach…

Von den ganz Jungen traue ich Alcaraz in Wimbledon am meisten zu, weil er grundsätzlich ein unglaublich schnelles Spiel und ein tolles Spielverständnis hat, gute Stopps spielt, vergleichbar wie Nadal bei jedem Ball voll da ist. Das zusammen mit dem Rasen in Wimbledon – der Belag ist heutzutage ja so gut, dass da kein Ball mehr verspringt, da kann man heute auch von der Grundlinie aus viel besser spielen als noch zu meiner Zeit. Da sehe ich ihn ganz weit vorne. Aber: Genauso gut kann es ihn auch schon in der ersten Runde kalt erwischen (Alcaraz trifft am Montag auf den Deutschen Jan-Lennard Stuff, Sky überträgt die Partie live, Anm. d. Red.). Genau das macht Wimbledon dieses Jahr doch aber aus: Kommt jetzt der Durchbruch bei der Generation um Tsitsipas – oder passiert etwas bei den ganz Jungen? Ich sehe Tsitsipas übrigens nicht im engsten Favoritenkreis.

Das müssen Sie erklären.

Tsitsipas hat im vergangenen Jahr im Finale der French Open schon 2:0 nach Sätzen gegen Novak Djokovic geführt, dann aber trotzdem nicht wirklich eine Chance gehabt (Djokovic gewann am Ende 6:7, 2:6, 6:3, 6:2, 6:4, Anm. d. Red.) und auf Rasen bisher nicht wirklich gut gespielt. Ich finde auch, dass Tsitsipas’ Spiel auf dem Belag am wenigsten zur Entfaltung kommt. Ein Felix Auger-Aliassime (kanadischer Weltranglisten-Neunter, Anm. d. Red.) beispielsweise spielt auf Rasen besser, variabler – aber dieses Zwingende, dieses Durchschlagende, das haben die "Großen" aktuell noch auf ihrer Seite.

Die Erfahrung macht den Unterschied?

Bei einem Grand-Slam-Turnier über 14 Tage, sieben Siege bis zum Titel – da gibt es einfach ganz wenige, die das wirklich von Anfang bis Ende durchgespielt haben und dadurch wissen, was es dazu braucht.

Bei fünf der letzten sechs Grand Slams hieß der Sieger entweder Novak Djokovic oder Rafael Nadal…

… und für mich ist Djokovic auch in diesem Jahr klar der größte Favorit auf den Titel. Aber auch Nadal würde ich mit dazunehmen wollen.

Nadal hat die ersten beiden Grand Slams 2022 gewonnen.

Er hat in Paris gezeigt, mit wie viel Kampfgeist und mit wie viel Leidenschaft er nach wie vor spielt. Was er alles auf sich genommen hat, wie viel ihm der Titel bedeutet hat. Und dass er jetzt auch noch nach diesem großen Erfolg alles daransetzt, in Wimbledon zu spielen – das finde ich einfach enorm stark, und das zeigt auch, wie viel ihm der Tennissport noch bedeutet.

Abgesehen von den beiden Großen – wem rechnen Sie die größten Chancen aus? Zverev fehlt verletzt, Daniil Medwedew darf wegen des Ausschlusses russischer und belarussischer Spielerinnen und Spieler nicht antreten.

Da muss man schon genauer hinschauen. Matteo Berrettini hat die Turniere in Halle und Queens gewonnen, der strotzt vor Selbstvertrauen – und hat auf Rasen seinen besten Belag.

Und eine Überraschung?

Ich würde ihn nicht zum engsten Favoritenkreis zählen, aber ich bin auch gespannt auf Andy Murray, der zuletzt in Stuttgart gut auf Rasen gespielt hat, dazu noch die Unterstützung vom heimischen Publikum hat. Die Centre-Court-Atmosphäre, Wimbledon – das muss man alles dazunehmen. Es würde mich nicht überraschen, wenn er da noch mal eine ganz eigene Geschichte schreibt.

Murray hat zuletzt 2016 Wimbledon gewonnen.

Er ist bei mir in jedem Fall im Radius dabei – und er hat ja auch alles auf Wimbledon ausgerichtet, hat Ivan Lendl als Trainer dazugeholt…

… den achtmaligen Grand-Slam-Sieger…

Genau. Dazu hat er eben zuletzt auf Rasen gut gespielt, hat die Erfahrung, die Fans zuhause – das sind schon Elemente, die etwas bewegen können. Andy Murray und Wimbledon – das hat dieses Jahr für mich Potenzial. Ansonsten ist es dieses Jahr für mich ziemlich offen.

Bei den Damen scheint die Angelegenheit klarer, der Titel einzig über Iga Swiatek zu laufen…

Sie hat eine überragende Sandplatzsaison gespielt, einfach sensationell. Jetzt hat sie sogar eine kleine Pause eingelegt und geht frisch an den Start.

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35 Matches in Folge hat sie gewonnen. Was zeichnet ihr Spiel besonders aus?

Swiatek ist zwar keine Rasenspezialistin, aber einfach eine tolle Spielerin. Sie macht viel, viel Druck, ist sehr athletisch, sehr beweglich – und ist auch meine Favoritin, ganz klar. Ich bin aber auch sehr gespannt, wie sich Serena Williams präsentieren wird.

… die nach fast einem Jahr Pause zurückkehrt, mit 40 Jahren.

Ihr Comeback ist für mich ein Zeichen, dass sie an Tennis immer noch Freude hat. Dass Serena hier antritt, ist ein Ausdruck ihrer Liebe für den Sport. Und aus meiner Sicht ist der Rasen in Wimbledon auch ihr bester Belag. Sie hat einen enorm guten Aufschlag – und: Die kurzen Ballwechsel auf Rasen kommen ihr natürlich entgegen.

Was treibt sie an?

Die Begeisterung, der Wille, noch mal auf dem Centre Court zu spielen, an der Stätte ihrer größten Erfolge. Wenn sie fit ist und in der Lage ist, ihr Tennis abzurufen und sich Chancen ausrechnet – warum nicht?

Und das Ziel 24 Grand-Slam-Titel wird sie auch nicht ganz aus den Augen verloren haben. Dann hätte sie Rekordhalterin Margaret Court eingeholt.

Wir schauen uns das mal Runde für Runde an. Serena ist für eine Überraschung gut. Sie ist nicht gesetzt, und die Spielerin, die gegen sie in der 1. Runde ran muss, wird sich nicht unbedingt freuen. Auch für die Gesetzten ist eine 1. Runde gegen Serena nicht einfach.

Was ist aus deutscher Sicht für Angie Kerber möglich?

Angie traue ich auf Rasen immer etwas zu. Es ist ihr bester Belag, sie hat Erfahrung – und ich kann mir auch vorstellen, dass es ihr sogar ganz gut tut, dass sie nicht so im Fokus steht und nicht unter den Favoritinnen gehandelt wird (Kerber trifft am Montag auf die Französin Kristina Mladenovic, Sky überträgt die Partie live, Anm. d. Red.). Eine Spielerin möchte ich übrigens nicht vergessen: Emma Raducanu.

… die letztjährige US-Open-Siegerin, die in London Heimvorteil hat…

… und wir haben in den vergangenen Jahren gesehen, dass zum Beispiel Johanna Konta (ehemalige britische Weltranglistenvierte, Anm. d. Red.) unglaublich unterstützt wurde von den Zuschauern und dann zeitweise auch fantastisch gespielt hat. Jetzt kommt Emma Raducanu zurück als letztjährige US-Open-Siegerin – und als absoluter Zuschauermagnet.

Einige große Namen werden trotzdem fehlen, darunter Medwedew, Andriy Rublev und Aryna Sabalenka – wegen des Ausschlusses russischer und belarussischer Spielerinnen und Spieler im Zuge des Ukraine-Kriegs. Weltranglistenpunkte gibt es dadurch auch nicht. Was ist da falsch gelaufen?

Ich hätte mir gewünscht, dass die Verantwortlichen des Turniers und der Verbände besser kommunizieren, um eine gemeinsame Lösung zu finden. Jetzt haben wir aber die Situation, wie sie ist – und die ist für alle neu. Das wird spannend, wie vor Ort damit umgegangen wird.

Welchen Wert hat das traditionsreiche Turnier dann? Djokovic sagte ja bereits, allein wegen des Prestige würde er spielen.

Und das trifft es doch genau. Natürlich sind die Weltranglistenpunkte wichtig, aber: Wimbledon ist nun mal Wimbledon.

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