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Schlicht, schnörkellos und punktgenau – So war der Stuttgart-"Tatort" im Stau


Der neue Stuttgart-"Tatort"
Wenn der Volkszorn entbrennt

von Verena Maria Dittrich

Aktualisiert am 11.09.2017Lesedauer: 2 Min.
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Lannert (Richy Müller) hat die Faxen dicke. Einsatzleiter Stolle (Bernd Gnann) stellt die Entscheidungen des Kommissars in Frage.Vergrößern des Bildes
Lannert (Richy Müller) hat die Faxen dicke. Einsatzleiter Stolle (Bernd Gnann) stellt die Entscheidungen des Kommissars in Frage. (Quelle: SWR/Alexander Kluge)

Feierabendstau auf der Stuttgarter Weinsteige, dazu ein totes Mädchen am Straßenrand. Lannert und Bootz ermitteln mitten im Verkehrschaos. Ein "Tatort" auf hohem Niveau.

Die Ausgangssituation des neuen Stuttgarter "Tatorts" ist banal und vertraut gleichermaßen. Ein nerviger Stau im städtischen Feierabendverkehr. Nichts geht mehr. Die Heimkehrer sind müde, latent aggressiv und folglich ziemlich leicht reizbar. Ein Wasserrohrbruch hindert die Blechlawine am Weiterkommen. Als dann auch noch Kommissar Thorsten Lannert (Richy Müller) auftaucht und die Wartenden wegen einer Unfallflucht oder sogar wegen eines mutmaßlichen Mordes an einem 14-jährigen Mädchen befragt, macht sich Unruhe breit.

Die Vorstellung der einzelnen Stauinsassen ist dabei handwerklich geschickt und mit allerlei zündendem Wortwitz inszeniert. Es ist großes TV-Kino, wie mühelos es Regisseur Dietrich Brüggemann gelingt, dieses nicht gerade kleine Schauspiel-Ensemble unter einen Hut zu bekommen. Jeder Charakter erhält genügend Aufmerksamkeit. Der Filmschnitt in einer der Eingangsszenen zwischen den einzelnen Fahrerkabinen und der dazu laufenden Musik ist ein Klasse für sich.

Treffsicheres TV-Kammerspiel auf offener Straße

Die Idee, einen "Tatort" zu drehen, dessen Handlung sich fast komplett nur um die in einem Stau stehenden Autos abspielt und das auch noch nahezu in Echtzeit, mutet zuerst seltsam an. Doch was Regie, Buch und Kamera hier in die sonntägigen deutschen Wohnzimmer schicken, ist eine perfekte Entertainment-Sinfonie aus Krimi, Unterhaltung, Wortwitz, Sound, Charakteren, Tempo und Bildern. Ein treffsicheres TV-Kammerspiel auf offener Straße, ein Referenzwert für die deutsche Fernsehzukunft: schlicht, schnörkellos und punktgenau.

Das Zusammenspiel der Akteure auf engstem Raum entwickelt eine Eigendynamik, deren Verlauf trotz des ernsten Hintergrundes einen bittersüßen Charme versprüht. Lannerts Verhöre der Verdächtigen zeichnen ein realistisches Bild des sozialen Miteinanders. Die Verantwortung liegt beim Vorder- oder Hintermann, nie bei einem selber. Die Protagonisten in ihren blechernen Karosserien bilden einen Mikrokosmos der Gesellschaft. Isoliert in ihren Kapseln treiben die Menschen eng beieinander planlos demselben Ziel entgegen.

Eine schreiende Stille

Als sich der Showdown nähert und die Ermittler von Unfalltod mit Fahrerflucht zwischenzeitlich sogar eine Vergewaltigung und einen Mord in Betracht gezogen hatten, stellt sich die erste Schlussfolgerung als die Wahrscheinlichere heraus. Doch der Rohrbruch ist mittlerweile behoben und der Stau könnte sich auflösen. Lannert und Bootz läuft die Zeit davon, denn der Mob wird wütend. Was ist die Suche nach einem Täter, der ein totes Kind auf dem Gewissen hat, noch wert, wenn das kühle Feierabendbierchen wartet?

Wenn der Volkszorn entbrennt, fühlt sich das Individuum wieder wohler in der grauen Masse. Der hässlichen Fratze der Gleichgültigkeit stehen die Kommissare ohnmächtig gegenüber. Obwohl kein Täter ermittelt werden kann, setzt sich die metallene Fahrzeugschlange wieder in Bewegung. Resigniert lässt Lannert seinen Blick über die Autodächer wandern.

Als sich einer der Wagen jedoch nicht von der Stelle bewegt, runden die letzten Sekunden des neuen Stuttgarter "Tatorts" die Inszenierung formvollendet ab. Schweigend setzt sich der Kommissar auf den Beifahrersitz einer Mutter, deren Tochter auf der Rückbank sitzt. Die Frau starrt weinend auf die davonfahrenden Autos. Selten hat eine Stille lauter geschrien.

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