Dieselfahrverbote im Ruhrgebiet â weitere Urteile stehen bevor
Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen hat eine Dieselfahrverbotszone in Essen angeordnet. Diese betrifft erstmals auch einen Autobahnabschnitt. Pendler und Politiker toben.
Nach dem Urteil zu Dieselfahrverboten in Essen und Gelsenkirchen richtet sich der Blick auf die RuhrgebietsstĂ€dte Dortmund und Bochum. Die Deutsche Umwelthilfe hat auch gegen die LuftreinhalteplĂ€ne fĂŒr diese beiden StĂ€dte Klagen eingereicht.
Fahrverbot in Essen â einschlieĂlich Teilen der A40
Es ist aber noch offen, ob das Gelsenkirchener Verwaltungsgericht auch fĂŒr diese Verfahren zustĂ€ndig ist, oder ob die Klagen vor dem Oberverwaltungsgericht verhandelt werden mĂŒssen. Eine Entscheidung darĂŒber will das Verwaltungsgericht bis Ende des Jahres treffen. Bereits in der kommenden Woche will das Verwaltungsgericht Darmstadt ĂŒber ein mögliches Dieselfahrverbot in der hessischen GroĂstadt verhandeln.
Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen hatte zuletzt eine Fahrverbotszone fĂŒr Essen angeordnet, zu der auch die viel befahrene Autobahn 40 gehört. In Gelsenkirchen soll eine wichtige InnenstadtstraĂe fĂŒr Ă€ltere Dieselfahrzeuge gesperrt werden. Das Land Nordrhein-Westfalen will Berufung gegen das Urteil einlegen.
FDP und Verkehrsminister Scheuer ĂŒben Kritik
Der FDP-Bundestagsfraktionsvize Frank Sitta bezeichnet das Gerichtsurteil als "völlig absurd". Sitta sagt: "Das hat mit VerhĂ€ltnismĂ€Ăigkeit nun wirklich nichts mehr zu tun. Wenn im Ruhrgebiet ein totales Verkehrschaos herbeigemessen wird, kann auch niemand behaupten, dass das der Gesundheit der Bevölkerung irgendwie dienlich ist."
Auch Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) Ă€uĂert sich unzufrieden. Zwar stehe es ihm nicht zu, die Justiz zu kritisieren, sagt er der "Bild"-Zeitung. "Aber wenn eine Richterin ein Dieselfahrverbot fĂŒr eine Autobahn anordnet, halte ich das fĂŒr unverhĂ€ltnismĂ€Ăig. Das gibt es nirgendwo anders auf der Welt." Urteile wie diese gefĂ€hrdeten die MobilitĂ€t Hunderttausender BĂŒrger. "Niemand versteht diese selbstzerstörerische Debatte."
Keine Entlastung durch Bahnverkehr möglich
Der Automobilexperte Ferdinand Dudenhöffer warf den Kommunen im Ruhrgebiet vor, Chancen fĂŒr eine Reduzierung der Stickstoffdioxidbelastung vertan zu haben. DafĂŒr wĂ€re es etwa notwendig gewesen, Pendlerströme verstĂ€rkt auf den öffentlichen Personennahverkehr umzulenken, sagt Dudenhöffer. Stattdessen seien zeitweise wichtige Bahnrouten â etwa die Verbindung Essen-Duisburg â reparaturbedingt gesperrt worden.
"Zugtaktungen und -angebote blieben gleich und auch im Preissystem wurden keine WechselprÀmien oder Àhnliche Programme geboten", kritisierte Dudenhöffer. "Es ist wenig verstÀndlich, dass die StÀdte in der kritischen Situation nicht schneller versucht haben, sich mit Entlastungen durch den Bahnverkehr mehr 'Luft' zu verschaffen".
Nach Berechnungen seines Instituts an der UniversitĂ€t Duisburg-Essen verbesserte sich die Stickoxidbelastung im Ruhrgebiet in den ersten neun Monaten des Jahres kaum. Die neuesten Messwerte â etwa an der Kurt-Schumacher-StraĂe in Gelsenkirchen und der Gladbecker StraĂe in Essen â seien "ernĂŒchternd". Dort hĂ€tten sich die NO2-Messwerte lediglich um 1,8 Prozent beziehungsweise 1,1 Prozent verbessert.
"Versagen der Automobilindustrie"
Gelsenkirchens OberbĂŒrgermeister Frank Baranowski (SPD) nannte das Urteil unverhĂ€ltnismĂ€Ăig. "Jetzt mĂŒssen die Menschen in den StĂ€dten fĂŒr das Versagen der Automobilindustrie gerade stehen", erklĂ€rt er. Essens OB Thomas Kufen (CDU) fordert eine rasche Lösung vom Bund: "Es muss eine schnelle Soft- und HardwarenachrĂŒstung kommen, die nicht zu Lasten der BĂŒrgerinnen und BĂŒrger ausfallen darf."
- Neues Urteil: Gericht verhÀngt Fahrverbot in Essen
- Experten: So lange werden die Fahrverbote gelten
- Ausnahmen geplant: Diese Diesel fallen nicht unter das Fahrverbot
Bundesregierung erschwert VerhÀngung von Fahrverboten
Die Deutsche Gesellschaft fĂŒr Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP) kritisiert die von der Bundesregierung gebilligte Ănderung des Bundesimmissionsschutzgesetzes. Es gebe gute GrĂŒnde fĂŒr den niedrigen EU-Grenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft, sagt DGP-PrĂ€sident Klaus Rabe der "Neuen OsnabrĂŒcker Zeitung".
"Wenn Menschen mit Atemwegsproblemen und Lungenvorerkrankungen regelmĂ€Ăig erhöhte Werte einatmen, besteht ein Gesundheitsrisiko. Das ist durch die Datenlage bewiesen." Es handle sich nicht um eine kleine Gruppe, "sondern um eine riesige".
In dem Gesetz soll es kĂŒnftig heiĂen, dass in StĂ€dten mit relativ geringen Ăberschreitungen des Grenzwerts fĂŒr gesundheitsschĂ€dliche Stickoxide Dieselfahrverbote "in der Regel" nicht verhĂ€ltnismĂ€Ăig seien â weil andere MaĂnahmen ausreichten, um den Grenzwert einzuhalten.