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Deutsche Drohnen im Ukraine-Krieg: "Hat nichts mit Kriegsführung zu tun"


Video zeigt deutsche Drohnen-Technologie
"Das hat nichts mit guter Kriegsführung zu tun"

  • Lars Wienand
  • Hanna Klein
Von Lars Wienand, Hanna Klein und Adrian Röger

Aktualisiert am 14.06.2022Lesedauer: 7 Min.
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Jagd auf Drohnen: Wie die einzigartige Technik aus der Eifel funktioniert und was sie bewirken kann. (Quelle: t-online)

Ein kleines Unternehmen aus der Eifel ist Weltmarktführer bei der Erkennung von Drohnen. Die deutsche Technologie spielt in der Ukraine eine große Rolle. t-online erhielt einen exklusiven Einblick hinter die Kulissen der Firma.

Die Idee, mit der er nun sogar Weltmarktführer ist, hielt Thorsten Chmielus anfangs für eine Spinnerei. Es ist zehn Jahre her, da wollte ein Kunde nicht nur die Position von Drohnen bestimmen können, sondern auch ihre präzise Flughöhe. Chmielus' Unternehmen Aaronia, das damals auf Abschirmung und Messtechnik spezialisiert war, machte sich an die Arbeit.

Heute kann keine Firma auf der Welt Drohnen so genau erkennen. Und noch nie war die Technologie so gefragt wie derzeit. Denn im Ukraine-Krieg setzen beide Seiten auf das Know-how aus Deutschland. Oder genauer gesagt: auf das Wissen aus der Eifel.

Aaronia hat seinen Sitz in einem Fachwerk-Glasbau, der einsam auf einem Berg über dem 35-Einwohner-Örtchen Strickscheid in der Nähe von Prüm steht. Dort habe er nun "die gleichen Informationen wie Geheimdienste und Regierungen auch", sagt Chmielus. Und wegen dieser hochrangigen und sensiblen Partner lässt Chmielus sich normalerweise auch nicht in die Karten schauen. Es ist eine Besonderheit, dass er t-online exklusiv durch das Gebäude und die Montage führt. Im Video hier oder oben im Text sehen Sie Eindrücke davon.

Ausrüster für Flughäfen außerhalb Deutschlands

Chmielus kann sagen, welche Frequenzen bei den jeweils eingesetzten Drohnen benutzt werden, welcher Typ eingesetzt wird, sogar, wie oft er hier und da fliegt. Was Aaronia besonders macht: Bei dem Aartos genannten System scannen Spezialantennen einen breiten Frequenzbereich der Umgebung nach Funksignalen ab und bringen die Ergebnisse auf digitale Karten. Hinzu kommen Daten anderer Systeme wie der Radarüberwachung.

In den vergangenen Jahren hat Aaronia bereits diverse Flughäfen außerhalb Deutschlands mit Systemen zur Drohnendetektion ausgestattet – und etwa beim Nato-Gipfel in Brüssel und beim Treffen von Kim Jong-Un und Donald Trump 2018 in Singapur den Luftraum überwacht.

Doch die Produkte, die Sicherheit bieten, können natürlich auch in einem Krieg eingesetzt werden – als Waffe. "Drohnendetektion bietet hohe Missbrauchsmöglichkeiten", räumt Chmielus ein. "Eine Ausleitung der genauen Position des Ziels für eine Waffe liefern wir nicht mit und lehnen wir ab. Wir sagen, wir sind ein passives System." Dass es in der Praxis anders genutzt werde und auch Russland die Technik in seinem Angriffskrieg auf die Ukraine einsetze, könne er jedoch nicht verhindern.

Warum? Weil inzwischen zu viele Einheiten aus der Eifel in zu viele Länder verkauft worden sind. Zwar zur zivilen Nutzung. Aber wohin die Produkte dann entgegen den Verträgen weiterverkauft werden, lässt sich für Aaronia nicht kontrollieren, und die Behörden verfolgen es bei den Käufern kaum nach.

Was verkauft wurde, um den Steuerer einer Drohne in Flughafennähe ausfindig zu machen, um ihn festzunehmen, kann auch mit zusätzlicher Technik eingesetzt werden, um den Standort eines Drohnenoperators gleich unter Beschuss zu nehmen. Die Funkverbindung zur Drohne verrät schließlich auch seinen Standort.

Oleg Sobchenko weiß um die Gefahr, wenn er einen unbemannten Flugkörper in Frontnähe aufsteigen lässt. "Für die Russen sind wir nach den Kommandeuren das Ziel Nummer zwei", sagte er dem ukrainischen Portal "Texty". Über Facebook bestätigte er t-online, dass er weiterhin in der Aufklärung mit Drohnen tätig sei. "Die Russen sind sich bewusst, dass wir es sind, die ihre Positionen für den Beschuss berechnen."

Er arbeitet in der Verteidigung seines Landes eng zusammen mit Igor Lutsenko, einem Mann, der wie er bei den Maidan-Protesten 2014 sehr aktiv war. Schon damals spielten auch Drohnen eine Rolle. Lutsenko wurde danach Abgeordneter des ukrainischen Parlaments und ließ 2017 im Sitzungssaal eine Drohne aufsteigen. Der damalige Oppositionspolitiker wollte damit angeblich Betrug bei der Abstimmung dokumentieren, der Parlamentssprecher forderte nur: "Stoppen Sie diesen Zirkus."

Heute stoßen Drohnen in der Ukraine auf deutlich mehr Gegenliebe. Die türkische Bayraktar-Drohne wird sogar in einem patriotischen Song besungen, unterlegt mit Bildern von vernichtenden Angriffen aus der Luft. Ferngesteuertes Töten mischt sich mit Popkultur – was Außenstehende irritiert, ist für Ukrainer nachvollziehbar, weil die Drohnen früh Hoffnung gegeben haben gegen den mächtigen Gegner.

Drohnenoperator Sobchenko sagt: "Wir können dorthin gehen, wo die Aufklärung hingeht. Deshalb werden wir geliebt und geschätzt." Und beschenkt: Gerade erst hat er sich auf Facebook wieder bedankt, dass ukrainische Frauen ihm eine DJI Mavic 3 organisiert haben. Es ist eine Drohne für etwa 2.000 Euro, die es in Supermärkten zu kaufen gibt.

Litauer spendeten Millionen für Drohne

Der ukrainischen Armee arbeitet auch eine Gruppe von ehrenamtlichen IT-Fachleuten und Bastlern zu, die bereits 2014 nach der Annexion gegründet wurde und im vergangenen Jahr aufgelöst werden sollte: Aerorozvidka, nach eigenen Angaben eine 30-köpfige Freiwilligen-Einheit, die Drohnen aufrüstet, umbaut und steuert. Angehörigen der Gruppe werden wichtige Erfolge zu Beginn des Krieges zugeschrieben, etwa, dass der 40 Kilometer lange russische Konvoi vor Kiew gestoppt wurde.

Dabei setzen sie vielfach auf Supermarktdrohnen. Inzwischen gibt es international diverse Spendenaktionen und -organisationen, um Drohnen an die Ukraine zu liefern. In Litauen wurden binnen drei Tagen mehr als fünf Millionen Euro für eine der besungenen Bayraktar-Drohnen gesammelt, eine niederländische Organisation hat bereits mehr als 400 Stück geliefert.

In der Ukraine seien schon früh Lkw-Ladungen voller Supermarkt-Drohnen angekommen, sagt Chmielus, während er in seinem Konferenzraum in der Zentrale sitzt. Der chinesische Marktführer DJI hat Ende April den Missbrauch seiner Technik beklagt und einen Verkaufsstopp für die Ukraine und Russland verhängt.

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Chmielus sagt: "Solche Drohnen kann man kilometerlang fliegen lassen und damit praktisch den Gegner ausspähen, ohne dass er das merkt, weil die so hoch fliegen können und auch so leise sind und so klein, dass er das gar nicht mitbekommt, wenn er nicht gezielt danach Ausschau hält." Damit bekomme zum Beispiel die Artillerie Informationen, wohin sie schießen muss. Aber auch die kleinen Drohnen sind nicht nur zum Ausspähen unterwegs. "Da lässt sich auch irgendeine Handgranate oder was auch immer dranmachen, die man dann abwerfen kann", so Chmielus.

Markt wächst um 20 bis 30 Prozent

Er spricht von einer neuen Art der Kriegsführung. "Drohnen sind der große Gamechanger in der Ukraine. Das ist der große Unterschied zu früher: Drohnen spionieren praktisch alles vorher aus und man weiß ganz genau, wo der Gegner ist." Drohnendetektion sei darüber zum "Must-have" geworden. "Heutzutage hat jeder ein Drohnendetektionssystem und jeder hat ein Drohnenabwehrsystem."

Wie groß der Weltmarkt ist, ist nicht ganz klar. Chmielus geht von zwei bis drei Milliarden Euro pro Jahr aus, wobei er ein jährliches Wachstum von 20 bis 30 Prozent prognostiziert. In der Ukraine sei an Drohnen "praktisch alles im Einsatz, was man sich vorstellen kann". Die Ukraine sei derzeit ein Spielfeld für alle Hersteller: "Da gibt es große Drohnen, kleine Drohnen, da sind Drohnen, die nicht fliegen, sondern auf dem Boden rumfahren. Es gibt Unterwasser-Drohnen, es gibt Schiffsdrohnen."

Russische Drohnen mit Motor aus Hanau

"Unsere Armee ist ziemlich gut versorgt mit Drohnen", bestätigte auch Operator Oleg Sobchenko in dem Interview. Aber die Russen sind es zu seinem Leidwesen auch: "Sie nerven unsere Truppen wirklich sehr, weil sie zum Beispiel Daten darüber weitergeben, wo sich unsere Ausrüstung befindet."

Besonders verbreitet sind unter den Drohnen auf der russischen Seite "Orlans" (Adler). Sie fliegen bis zu 600 Kilometer – und das mit Motoren aus der hessischen Stadt Hanau. Firmenchef Kai Weinhold weiß davon nach eigenen Angaben nur aus den Medien. Er habe "keine Kenntnisse", wie die Motoren nach Russland gelangt seien. Seine Firma habe nichts dorthin geliefert. Vermutlich seien sie zunächst nach Tschechien transportiert und von dort weiterverkauft worden.

Das Unternehmen stand schon einmal in der Öffentlichkeit, weil Motoren aus Hanau auch die Drohnen von Huthi-Rebellen im Jemen antreiben. Auch damals hatten sie einen etwas mysteriösen Weg dorthin genommen.

Weil sich in den "Orlan"-Drohnen auch Verbrennungsmotoren befinden, sind sie aus der Nähe zu hören. Doch dann ist es oft zu spät. Auch hier helfen die Produkte von Aaronia, weil sie die Flugkörper bereits in bis zu 50 Kilometer Entfernung entdecken – wenn die Drohnen entsprechende Signale senden.

Aaronie denkt über Satelliten nach

Denn das ist das Aber. "Die Möglichkeiten der Detektion über Funk enden bisher, wenn die Drohne gar keine Signale sendet oder nicht Richtung Boden, sondern an Satelliten", erklärt Chmielus. Deshalb ist sein Unternehmen inzwischen auch in Gesprächen, selbst Satelliten zu mieten. Es geht darum, die Signale, die Drohnen Richtung Himmel senden, aufzuspüren.

Über diese Technik verfügt inzwischen auch die Freiwilligengruppe von Aerorozvidka. Ebenso verborgen sind für die Aaronia-Technik auch Drohnen, die vollkommen autark fliegen, sich selbstständig ein Ziel suchen und keine Signale senden und nichts mit einem Steuerer zu tun haben. "Da helfen nur ein Radar oder Infrarotkameras. Aber dann ist es wahrscheinlich schon zu spät", sagt Chmielus. Und da ist natürlich der rasante technologische Fortschritt. "Es ist ein ständiges Katz-und-Maus-Spiel. Wir mussten die Empfindlichkeit sehr verbessern", erzählt er.

Und während Drohnen früher vom Gegner nur gestört werden konnten, können sie heute vielfach "gepflückt" werden. "Ich kann sie übernehmen und praktisch dem Feind klauen und selbst gegen ihn benutzen." Das sei keine Raketentechnik. Davor bewahrt seien die Drohnen, die noch nicht in Datenbanken seien, wo also das Protokoll nicht bekannt sei. "Deshalb braucht es da unsere klassische Technik, die 3D-Peilung von Funk. Die Systeme ergänzen sich."

Der Firmenchef hat etwas gegen Drohnen: "Die Leute sind sich noch gar nicht bewusst, was da auf uns zurollt." Die neuesten Modelle würden einfach losgeschickt, um jeden Panzer zu zerstören, den sie finden könnten. "Das entmenschlicht Krieg total, da ist keine Hürde mehr, jemanden zu töten. Das hat nichts mehr mit guter Kriegsführung zu tun, wenn man davon überhaupt sprechen kann."

"Büchse der Pandora wurde geöffnet"

Es werde vermutlich nicht mehr allzu lang dauern, warnt Chmielus, da könne man Drohnen losschicken, um jeden zu eliminieren, der zum Beispiel ein "Z" auf der Uniform hat. "Da ist jetzt die Büchse der Pandora geöffnet worden und die muss sofort wieder geschlossen werden. Wir haben nicht nur ABC-Waffen, die verboten gehören, geächtet gehören ABCD-Waffen – und das D steht für Drohnen."

Entsprechend düster blickt der Weltmarktführer aus der Eifel auf die Zukunft: Eines nicht mehr fernen Tages könne auch "irgendwer Mini-Fliegen" bauen: "Und dann schmeißt er Millionen davon ab, die alle Menschen aufspüren, die schwarz sind und tötet sie." Ja, das klinge absurd. Aber Spinner werde es schließlich immer geben, und die Technik werde immer einfacher, schneller und billiger. Und was derzeit eigentlich das Schlimmste sei: "Es findet gar keine Diskussion über die riesigen Gefahren statt."

Es war wohl nichts, woran Thorsten Chmielus vor zehn Jahren gedacht hat, als er nach Technik zum Aufspüren von Drohnen gefragt wurde. Auf das Geschäftsmodell könne er aber gut verzichten: "Ich bin der Letzte, der sagt, ich muss die Drohnen haben, um diese Technik zu verkaufen."

Verwendete Quellen
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